✧ Kapitel 3 ✧

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Die kleine Wohnung wirkte leblos, keine Menschenseele hielt sich darin auf, als Emma sie betrat. Sie hatte eigentlich einen entspannten, schönen Tag erwartet, zu früh musste er beendet werden.
Emma ließ sich dennoch nicht unterkriegen. Sie hastete ins Schlafzimmer und schnappte sich die Fernbedienung, um den Flachbildfernseher auf der Kommode gegenüber dem Bett einzuschalten. Zielsicher zappte sie durch die verschiedenen Kanäle, in der Hoffnung, irgendeine Berichterstattung zu dem Einsatz zu finden.
Es klingelte an der Tür, sofort sprang Emma auf. Verwundert blickte sie in das Gesicht der netten Frau vom Café, sie trug eine kleine Tüte mit sich. Sie erwiderte das Lächeln und ließ sie in die Wohnung hinein.

"Du bist Normans Freundin, nicht wahr?", fragte sie, stellte die Tüte auf dem Tisch ab und packte sie aus. Zum Vorschein kamen ein paar Stücken von verschiedenen Kuchen.
Neugierig begutachtete sie jedes einzelne Stück.
"Ist das Erdbeerkuchen?", fragte sie aufgeregt. Sie hatte bisher nur den Erdbeerkuchen aus Annas Café gegessen, und auch vom Aussehen unterschieden sich die Kuchen.
"Ja", antwortete die Frau. "Norman hat mir vor einiger Zeit Mal gesagt, welche Kuchen du gerne isst, und die habe ich alle mitgebracht."
Gerührt ließ Emma den Kopf sinken, sie machte sich erneut Sorgen.
"Lass den Kopf nicht sinken, ihm wird nichts passieren", beruhigte sie sie und berührte sie tröstend an der Schulter.
"Vertrau mir, ich habe einen Kerl geheiratet, der denkt, er müsse alleine gegen die ganze Welt kämpfen."
"Genau so ist Norman auch", entgegnete Emma belustigt. "Dein Name ist, Touka, richtig?"
Bejahend nickte sie, dann verstummte sie auf einmal. Emma spitzte die Ohren, war irgendetwas passiert?
Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, sie hatte den Fernseher noch nicht ausgeschaltet.
Touka lachte auf.
"Tut mir leid, aber du wirst keinen Bericht im Fernsehen finden. Niemand filmt so einen Kampf gerne."
Leise seufzte Emma auf und setzte sich an den Küchentisch.
"Machst du dir eigentlich große Sorgen?", fragte sie Touka und stützte ihren Kopf auf ihren Händen ab. Die Frau legte den Kopf schief.
"Natürlich mache ich mir Sorgen, aber ich weiß, dass da sehr erfahrene Kämpfer sind. Außerdem weiß ich, dass Ken sich nicht einfach geschlagen geben wird", erklärte sie und schob Emma ein Stück Erdbeerkuchen hin.
"Du solltest auch auf die Ermittler und Fahnder vertrauen. Und ich glaube, dass Norman sich mehr den Kopf darüber zerbricht, ob dir etwas passiert während er weg ist."

Emma schüttelte den Kopf.
"Ich bin doch kein Kind mehr", seufzte sie und fing sogleich an zu lachen. Sie nahm die Kuchengabel in die Hand und schob sich das erste Stück in den Mund.
"Ist dein Café eigentlich nur für die Ermittler vom CCG?", fragte Emma neugierig. Touka schüttelte den Kopf.
"Nein, das Café ist offen für alle, aber die ganzen Ermittler nutzen es als Sammelpunkt, um Mal einen Kaffee zu trinken."
Interessiert beugte Touka sich nach vorne und musterte Emma, während sie den Erdbeerkuchen genoss. Sie blickte ihr verdattert entgegen, als hätte sie etwas im Gesicht.
"Ist irgendetwas?", fragte sie irritiert. Die Ältere schüttelte verneinend den Kopf.
"Ich habe nur bemerkt, wie glücklich sich Norman schätzen sollte, jemanden wie dich Zuhause warten zu haben."
Gerührt von diesem Kompliment wollte sie etwas erwidern, doch wurde sie vom Telefon gestört. Es war Ray, der anrief.

"Ja?"
"Emma, Thoma und Lani veranstalten heute eine Grillparty, hast du Lust vorbeizukommen?"
"Bei den Temperaturen?" Emma hob eine Augenbraue.
"Nein, natürlich nicht", erwiderte Ray, "die haben meine Wohnung dafür eingenommen."
Emma musste kichern.
"Ich mach mich auf den Weg."
Sie legte das Handy wieder beiseite und warf Touka einen Blick zu.
"Magst du auch mitkommen?", fragte sie fröhlich, doch bekam sie sofort eine Absage.
"Ich muss wieder ins Café zurück, vielleicht ein anderes Mal", meinte sie entschuldigend.

•••

Die Wohnung war gefüllt von Menschen, und von ihrem Lärm. Nat spielte verschiedene Stücke an einem elektrischen Keyboard, Thoma und Lannion waren bereits etwas angetrunken und beschäftigten sich viel mehr mit ihren eigenen Freunden. Währenddessen versuchte Don, der ebenso ein wenig rot um die Nase war, sich irgendwie in die Gruppen einzugliedern.
Sie konnte sogar Sanya entdecken, sie versuchte sich an die fremden Typen heranzuschmeißen.
Emma wusste sofort, dass diese Party aus dem Ufer zu laufen schien, und Ray wäre davon ganz und gar nicht begeistert.
Normalerweise wäre sie ziemlich leicht für Partys zu begeistern gewesen, jedoch nicht bei diesen Mengen an alkoholisierten Leuten.

"Emma!"
Sanya torkelte zu ihr und ließ sich auf die Couch fallen.
"Guck Mal, wie viel Spaß wir hier haben!"
Unsicher stimmte Emma ihr zu, jedoch war sie da anderer Meinung.
"Hey, Sanya!", versuchte Ray die Lautstärke zu übertönen und trat zu den beiden.
"Draußen warten Lucy und Anni auf dich, du solltest Mal rausgehen", schlug er vor und sah ihr zu, wie sie zur Tür schwankte.
Ray zwinkerte Emma zu. "So werden wir die Leute hier schneller los."
Emma verstand seinen Plan. Sie erhob die Stimme, übertönte selbst den lautesten Schreihals unter ihnen und schrie:
"Polizei kommt!"
Panisch bewegte sich die Masse von Betrunkenen zum Ausgang, in Windeseile hörte man nur noch das Keyboard.
Zurück blieben Ray, Gilda, der betrunkene Don, Nat, Lucas und Yugo. Verwundert trat Lucase vom Balkon in die Wohnung.
"Wo sind denn alle hin?", fragte er mit einem Teller voller Hamburger.
"Gott sei Dank, Emma", seufzte Gilda erleichtert auf und fiel ihr in die Arme.
"Jetzt kann ich endlich hier weg." Die Brillenträgerin sah verzweifelt zu Don.
"Ich helfe dir", meinte Anna und hievte Don hoch, Nat sprang ebenso auf und half mit.
"Geht's Kimi gut?", fragte Lucas und stellte den Teller in den Kühlschrank statt auf den Küchentisch.
"Ja", antwortete Ray.
"Ich habe sie nur in ihrem Zimmer eingesperrt, damit kein Vollidiot auf die Idee kommt, da reinzugehen."

Der Schwarzhaarige schloss die Tür auf und betrat das Zimmer.
Völlig verängstigt hockte das kleine Mädchen auf ihrem Bett und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Ray nahm sie fest in den Arm und tröstete sie.
"Äh, ich und Lucas sind dann auch weg", kündigte Yugo an, dann schloss sich die Haustür entgültig.
"Papa, kannst du mir das Lied singen?", bat Kimi, als sie sich allmählich beruhigt hatte.
Ray nahm sich eine kleine Gitarre, die am Bett lehnte, und stimmte eine sanfte Melodie an. Er summte zu der lieblichen Melodie, sodass selbst Emma Tränen in den Augen hatte. Kimi schloss die Augen und lauschte beruhigt, Ray spielte so lange, bis sie schließlich einschlief.
"Das war Mamas Lieblingslied", flüsterte er Emma zu und erhob sich, leise verließ er den Raum.
"Ihr hätte das Leben in dieser Welt bestimmt gefallen", meinte Emma, dann herrschte Stille.

"Soll ich dich nachhause bringen?", bot Ray nach einer Weile an. Sie schüttelte den Kopf.
"Brauchst du nicht, ist ja nicht weit von hier", gab Emma zurück und grinste ihn frech an.

•••

Der Himmel war bereits dunkel, die Nachtluft war außerordentlich kalt.
Es war keine Menschenseele auf der Straße, und doch hatte Emma das ungute Gefühl, jemand beobachtete sie. Automatisch verschnellerte sie ihr Tempo. Zügig lief sie unter einem Gerüst hindurch, doch plötzlich spürte sie etwas an ihrer Schulter. Erschrocken wirbelte sie herum und blickte in ein rot glühendes Augenpaar.
Es war ein Ghul.

Das Wesen sprang nach vorne und schnappte nach ihrem Arm, mit seinen Krallen erwischte er sie und riss ihr ein tiefes Loch in die Schulter. Emma stolperte nach hinten und prallte gegen die gerade erst aufrechtgestellte Häuserwand. Sie saß in der Falle.
Der Ghul stürzte direkt auf sie zu, Emma duckte sich und kroch zur Straßenseite, aber der Ghul sprang wie ein Flummi von der Wand ab und krachte in das Gerüst, welches nicht mehr standhalten konnte. Die Stahlträger stürzten auf sie hinab, es gab kein Entkommen.

Emma spürte unglaublichen Schmerz, und kalte Schneeflocken auf ihrem heißen Gesicht.

IDENTITY | [The Promised Neverland • Tokyo Ghoul FF]Where stories live. Discover now