✧ Prolog ✧

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In dieser Welt gibt es Wesen, die sich ausschließlich von Menschenfleisch ernähren. Sie sehen aus wie Menschen, und sie verhalten sich wie Menschen.
Man nennt sie Ghule.

•••

Der Mond strahlte hell am Nachthimmel, die Straßen waren menschenleer. Alle Welt schien zu schlafen, bis auf Emma. Sie richtete sich müde in ihrem Bett auf und warf einen Blick auf die digitale Uhr auf dem hölzernen Nachttisch.

4:17 Uhr.

Träge schlüpfte sie in ihre weichen Pantoffel und schlenderte leise aus den Schlafzimmer in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Sie legte belustigt den Kopf schief, als sie eine Gestalt am Küchentisch sitzen sah, friedlich schlummerte Norman in einer ziemlich unbequemen Position. Emma war zwar nicht stark genug, ihn ins Bett zu tragen, aber immerhin konnte sie eine Decke holen. Sanft legte sie diese um seinen Oberkörper und hob seinen Kopf an, damit sie ein weiches Kissen darunter platzieren konnte.
"Arbeite doch nicht immer so lang", murmelte sie und strich ihm über die weißen Haare.
Norman widersprach dem vor kurzem, er meinte, seine Haare seien platinblond und nicht weiß, jedoch hörte Emma nicht auf und bezeichnete seine Haare weiterhin als weiß, um ihn zu necken.

Es war mittlerweile fast ein ganzes Jahr her, als sie alle in der Menschenwelt ankamen. Anfangs hatten sie einige Schwierigkeiten, vorallem bei der Orientierung, als sie von dem kleinen Dorf in die Großstadt Tokyo, die Landeshauptstadt Japans gereist waren. Sie brauchten Geld, um sich mit Nahrung zu versorgen, sie brauchten vernünftige Arbeit und einen Ort zum Wohnen. Sie brauchten einen Pass, Nachnamen, eine Adresse.
Doch sie hatten es alle geschafft und waren erfolgreich, der eine vielleicht mehr als der andere.

•••

Emma öffnete blinzelnd die Augen, es war bereits wieder hell geworden. Ausgeruht sprang sie auf die Beine und zog sich um, ehe sie dem leckeren Duft einer warmen Hühnchensuppe in die kleine Küche folgte. Norman war diesmal hellwach, eine hellrosane Schürze bedeckte ihn von vorne. Eigentlich war die Schürze einmal schneeweiß gewesen, doch Emma hatte sie dummerweise mit einem roten T-Shirt gewaschen, weshalb sie sich verfärbt hat.
Konzentriert starrte Norman auf ein leeres Blatt Papier, ein einzelner Stift lag daneben.
"Guten Morgen!", sprach Emma fröhlich und riss den Weißhaarigen aus seinen Gedanken.
"Du bist ja schon wach", erwiderte er verlegen lächelnd, doch etwas schien ihn zu bedrücken. Neugierig lugte sie über seine Schulter und las sich die kleinen, gedruckten Buchstaben am Rand durch. Es war das Logo des CCGs, einer Organisation zur Bekämpfung der menschenfressenden Ghule. Jeden Monat mussten die Ermittler und Fahnder ein Testament verfassen, auch wenn die Gefahr einer großen Schlacht durch einige Geschehnisse in der Vergangenheit ziemlich niedrig war.
Norman hatte sich schnell dafür entschieden, für diese Behörde zu arbeiten und zu kämpfen, um all die Fleischmenschen weiterhin zu beschützen, obwohl Emma dagegen heftig protestiert hat.
Jedes Mal, wenn Norman dieses Testament verfassen musste, wurde Emma ganz übel. Sie wollte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er bei einem Einsatz umkommen könnte.

"Du musst das nicht machen", versuchte Emma ihn zu trösten.
"Du musst uns nicht alle beschützen, nicht alleine..."
Norman schob den Zettel beiseite und fuhr mit seinen Händen durch seine Haare. Er drehte sich um und sah Emma mit seinen blauen Augen verzweifelt an.
"Aber was ist, wenn einem von euch etwas passiert?", fragte er traurig. Eine flache Hand traf seine Wange, sie gab ihm eine saftige Backpfeife.
"Hast du schonmal daran gedacht, was wäre, wenn dir etwas passiert?", entgegnete sie herausfordernd.
"Du hättest dir einfach einen friedlichen Job suchen sollen. Ich kann mit dem Chef reden, der hat bestimmt noch Platz für dich!"
Norman erhob sich und schloss Emma in seine Arme. Sie wusste ganz genau, dass Norman nicht so leicht aufgab.
"Selbst Ray hat einen ruhigen Job gefunden", murmelte sie weiter, denn sie wollte auch nicht so einfach aufgeben.

"Apropos Ray", meinte Norman.
"Ray kommt nachher vorbei, deshalb habe ich ein bisschen mehr Suppe aufgesetzt."
Emma löste sich aus der Umarmung und lief zum Herd. Der große Topf war randvoll gefüllt, diese Masse würde für mehr als drei Personen mehrere Tage lang ausreichen.
"Sicher dass nur Ray kommt?", fragte Emma mit großen Augen.
Norman kratzte sich etwas ertappt am Hinterkopf.
"Eventuell kommen Don, Gilda, Phil und Anna auch vorbei."

IDENTITY | [The Promised Neverland • Tokyo Ghoul FF]Where stories live. Discover now