14. Kapitel

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Ich verstehe einfach nicht, wie meine Gefühle solch eine Wendung nehmen konnten. Im einen Moment heule ich mir die Augen aus dem Kopf wegen Bruno, weil unsere ganze Zukunft nun dahin ist. Und jetzt? Jetzt wache ich am Morgen nach der Party, an der ich einfach mal unvernünftig sein wollte, auf dem Sofa meines Lehrers auf, der mich mitten in der Nacht betrunken und verheult aus einem Park abgeholt hat und bei sich aufgenommen hat, weil ich keinen anderen Ausweg als ihn gesehen habe.

Eingemurmelt in die Decke die er mir gegeben hat. Keinen halben Meter entfernt von mir, an die andere Seite des Sofa gelehnt, schläft er, nachdem wir unsanft aus dem Beinah-Kuss ins Hier und jetzt gerufen wurden.

Der Moment, in dem ich mich bloß ein paar Zentimeter hätte weiter zu ihm vorbeugen müssen, um seine Lippen auf meinen zu fühlen, wurde jedoch durch das Klingeln meines Handys unterbrochen. Marlon hat versucht mich zu erreichen. Ich bin jedoch nicht dran gegangen, habe ihm eine Nachricht geschrieben, dass alles gut sei und ich bei Thea bin. So sehr ich Lügen auch hasse, kann ich ihm nicht die Wahrheit sagen, er würde das nicht verstehen.

Doch der Moment zwischen Nick und mir war vorbei. Leider oder doch zum Glück?

Ich kann nicht länger abschreiten, dass ich mich nicht von ihm angezogen fühle. Immer wenn wir uns nach dem Unterricht unterhalten, beim Klettern zufällig treffen oder auf mysteriöser weise privat sehen, fühle ich mich so unheimlich geborgen und sicher bei ihm. Das zwischen uns ist kein typisches Lehrer-Schüler-Verhältnis, nicht mehr oder war es das überhaupt jemals? Nick würde nicht einfach seine private Nummer irgendeinem seiner Schüler geben, mit den Worten „Du kannst mich jederzeit erreichen“, nein, das glaube ich nicht.

Er muss das gleiche fühlen, denn was wäre passiert, wenn mein Handy nicht laut geklingelt hätte? Wäre ich mutig genug gewesen oder er? Er war mir so nah, dass ich seinen heißen Atem auf meiner Haut gefühlt habe. Hatte er wirklich vor mich zu küssen oder nur aus dem Affekt heraus, dass wir die gleiche Geschichte teilen?

Erschrocken über unsere gemeinsame Handlung ist er von mir weggerückt und hat sich verlegen am Hinterkopf gekratzt. Eine Geste, die ich schon einige Mal an ihm beobachtet habe, wenn er sich unsicher ist. Irgendwie süß. Doch der Augenblick zwischen uns war dahin und nicht wiederherstellbar.

Ernüchternd atme ich aus und sacke ein Stück tiefer in das Sofa zurück und sehe rüber zu Nick. Ich betrachte sein Gesicht von der Seite aus, seine unglaublich langen Wimpern werfen Schatten unter seinen Augen, seine blonden fast goldenen Strähnen, die ihm auf die Stirn fallen. Alles an ihm wirkt zu friedlich und ich würde gerne meine Fingerspitzen vorsichtig über die Konturen seiner markanten Wangenknochen streichen, wieder das Gefühl seiner Haut auf meiner spüren. Aber wenn ich das mache, besteht die Gefahr, dass er die Augen aufreißt und mich zu nah bei ihm sitzen sieht. Er wird denken, ich sei irre.

Bedacht ihn nicht zu wecken setze ich mich langsam auf und stelle meine Füße auf dem Boden ab. Obwohl ich mich wie in Zeitlupe bewege, schmerzt die kleinste Bewegung in meinem Kopf und lässt mich leise aufstöhnen. Ich werfe einen prüfenden Blick zu Nick, doch er schläft noch und erhebe mich, um mich auf die Suche von einer Toilette und einem Waschbecken zu machen, das ganze Gedanken-Gefühlschaos wegzuspülen.

Leise tapse ich aus dem Wohnzimmer durch den Flur in das kleine Badezimmer, in dem ich mich heute Nacht schon aufgehalten habe und werfe mir erneut kaltes Wasser ins Gesicht. Und hoffe, dass ich so einen klaren Kopf bekomme.

So leise ich es eben aus dem Wohnzimmer geschafft habe, gehe ich auf Zehnspitzen zurück in Richtung des Sofas. Ich will mich gerade auf meinen Platz sinken lassen, als mir etwas auf dem Wohnzimmertisch ins Auge sticht. Es ist meine Bewerbungsmappe. In der ich meinen Lebenslauf und meine Zukunftspläne verschriftlicht habe, unsere erste Hausaufgabe die wir in diesem Schuljahr von ihm aufbekommen haben.

Es muss ein Geheimnis bleibenWhere stories live. Discover now