Nummer 13 - Todessohn II

Kapitel 3.1

,,Now I'm giving up, I'm never looking back
Here we go again
You keep giving me a taste of your venom"¹, sang Matt. Erstaunlich dramatische Zeilen für einen Rocksong. Mein Blick glitt wieder zu Seth, der in einer hinteren Ecke der Bühne stand. Er hatte den Kopf so geneigt, dass seine Haare den Großteil seines Gesichts verbargen, aber er nickte im Takt der Musik, während seine Finger über die Gitarrensaiten glitten, als täte er den ganzen Tag nichts anderes. Der zweite Song war wesentlich rockiger als der erste und Seths Kopfnicken verwandelte sich in ein ausgebautes Headbangen, motiviert genug, um den blauhaarigen Emo hinter ihm mit seinen Haaren zu attackieren. Ich erwischte mich ebenfalls dabei, wie ich anfing, mit dem Kopf zu nicken, aber da war ich nicht die Einzige. Die Band war wirklich nicht schlecht und Matt ein verdammt guter Sänger.

,,Ich dachte, die Band wäre schlecht", sagte ich stirnrunzelnd zu Zeke.

,,Oh, früher haben sie sich auch furchtbar angehört", erwiderte Zeke grinsend, ,,aber seit sie Matthew als Sänger haben ging es bergauf und dass Seth Gitarre spielen kann ist ja allgemein bekannt." Ja, vor allem bei Menschen wie mir, die seinen Instagram Account stalkten.
Dawson lehnte sich interessiert in unsere Richtung und mischte sich ins Gespräch ein. ,,Ich muss zugeben, dass Blondchen erstaunlich gut Gitarre spielen kann, aber die Musik gibt mir trotzdem das Gefühl, gleich meine Emo-Halsbänder auspacken und mir schwarz unter die Augen schmieren zu müssen." Emo-Dawson? Nette Vorstellung. Ich grinste ihn an. ,,Ich werde dich nicht aufhalten."
,,Ja, das hab ich bereits befürch- Oh, das ist Linkin Park. Halt mal." Dawson drückte mir seinen Bierbecher in die Hand und schloss sich Revs Wischmopp-Headbangen an. Ich wollte nicht wissen, wie viele Schüler Morgen im Training aufgrund von fieser Nackenschmerzen fehlen würden. Die Tatsache, dass der aktuell gespielte Song ausgerechnet 'Rebellion' hieß brachte mich zu der Überlegung, dass Seth ihn möglicherweise vorgeschlagen hatte. Es wäre jedenfalls seine Art von Humor.
Dawson hob den Kopf und sah uns erwartungsvoll an. ,,Hat jemand Lust auf einen Moshpit?"
Oh nein. Diese organisierten Schlägereien konnten für laufende Meter wie mich gefährlich enden. ,,Das ist eine furchtbare-", setzte ich an, wurde aber sogleich von Rev unterbrochen.
,,...großartige Idee!" Rev rempelte mich an und von diesem Zeitpunkt war das Geschehen nicht mehr zu stoppen. Also schubste ich mich mit Chris, Rev, Zeke, Dawson, Rev und noch ein paar anderen lebensmüde Schülern vor der Bühne herum und brachte damit einige Lehrer, die augenscheinlich nicht wussten, ob sie eingreifen sollten, zur Verzweiflung. Wider Erwartens machte mir das allerdings verboten viel Spaß, auch wenn ich andauernd diversen Ellenbogen ausweichen musste.

,,We are the fortunate ones
Who've never faced opression's gun
We are the fortunate ones
Imitations of Rebellion" ²

Dawson boxte mich grinsend in die Seite. ,,Verdammt, ich hab das schon viel zu lange nicht mehr gemacht."
Ich hätte seit meinem ersten Moshpit gut darauf verzichten können, aber dieser hier, mit all meinen Freunden -und Dawson- war tatsächlich irgendwie cool. Mit möglichst viel Wucht rempelte ich Dawson an und schenkte ihm ein überhebliches Lächeln, als er einen Schritt zur Seite stolperte. Er revanchierte sich mit einem so starken Schubsen, dass Zeke mich auffangen musste, da ich sonst mit dem Boden Bekanntschaft gemacht hätte. ,,Danke", murmelte ich und starrte finster Dawson hinterher, der gerade von Chris geschubst wurde.
,,Kein Ding." Zeke ließ mich los und stürzte sich erneut ins Getümmel.
Als der Song zuende war, wurde auf der Bühne umgebaut. Matthew nahm sich eine Gitarre aus der Halterung und Seth schraubte an dem Mikrofon herum. Seltsamerweise blieb er dort stehen, statt sich wieder in seine Ecke zu verziehen. Oh. Moment. Als Matt sich zu ihm stellte und ihn fragend ansah, nickte er langsam. Daraufhin begann die Band zu spielen, als wären sie alle mental miteinander verbunden. Smells like Teen Spirit - Nirvana. Gespannt sah ich Seth an, der das Mikrofon anstarrte, als würde es ihn gleich aufessen, während seine Finger wie von selbst über die Saiten seiner Gitarre strichen.
,,Jetzt bin ich aber gespannt", bemerkte Dawson, während er einen Schüler von sich fort schob. Da waren wir schon zu zweit.