Kapitel 11 - der Sturm

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V's Sicht: Ich saß einfach so da, traute mich nicht zu atmen und hoffte inständig, dass wir nicht die nächsten Klippe runter fielen. „Ich kann nichts sehen" Der Regen versperrte uns die Sicht, als wolle er uns noch einmal vor Augen führen, wie wenig wir eigentlich über diesen Fall wussten. Die Tropfen waren zu dick und der Wind zu stark und die Dunkelheit hatte uns verschlungen. „Halt an" Das war das Einzig vernünftige. „Was?" Der Regen war zu stark, zu laut. „Halt an!!" Wiederholte ich mich, aber dieses mal lauter. Mit quietschenden Reifen brachte Tanner den Wagen zum rollen und ich konnte offiziell zu geben, dass ich froh war nicht fahren zu müssen. „Und jetzt?" Fragend durchbohrte mich sein Blick. Nicht wissend, was ich darauf antworten sollte, griff ich einfach nach seiner Hand. Für einen Moment hielten wir beide inne. „Ich mach mir Sorgen um Scarlett und mein Vater hat mich im Hotel angerufen und mir indirekt erzählt, dass ich den Fall nicht vermasseln soll, obwohl ich es schon längst getan habe" gab ich offen zu und war selber erstaunt, wie erleichternd es war die Wahrheit auszusprechen. „Oh, V" Er musste wirklich denken, ich wäre ein Hoffnungsloser Fall, der nicht seine Gefühle unter Kontrolle hatte. „Du brauchst dir keine Sorgen um Scarlett zu machen, Valerie hat schon alles unter Kontrolle und was dein Vater angeht" Er machte eine Pause und nahm meine andere Hand auch noch, als wolle er das ich bei seinen nächsten Worten wirklich zu hörte. „Du bist die jüngste FBI Agentin in der Geschichte des Bureaus und ziehst auch noch mit gerade mal 21 Jahren ein Kleines Mädchen auf, darauf kannst du schon stolz genug sein und außerdem hat Familie nichts mit der DNA zu tun, zu mindestens für mich nicht" So ehrlich hatten wir schon lange nicht mehr über Probleme geredet. „Ich hab die ganze Zeit das Gefühl, dass ich die Rolltreppe die nach unten geht, versuche aufzusteigen" Erklärte ich und Tanner fing an zu lachen. Er lachte so laut, dass ich kurz den Regen und den Sturm draußen vergaß. „Hast du den Vergleich von Scarlett geklaut?" Ich schüttelte schnell den Kopf, aber er hätte wirklich von ihr kommen können. „Du weißt das ich dich liebe oder?" Tanner löste seine Hand und strich über meine Wange. „Ja klar, sonst hättest du mir keinen Heiratsantrag gemacht. Es sei den" Ich stoppte und sah gespielt nachdenklich an die Decke des Autos. „Es sei den was?" „Es sei den du hast das nur gemacht, um an mein Geld ran zu kommen" stellte ich ironisch fest. „Was ? Du meinst ja wohl, dass du mich nur heiratest, weil du dir ein Florida Sunny boy angeln wolltest" Kopfschüttelnd konnte ich mir mein Lachen nicht unterdrücken und auf einmal wirkte die Welt wieder heil und sorglos, doch dann klopfte jemand an Tanners Fensterscheibe.

Scarletts Sicht: Für die Party wollten sie alle Mädchen haben, hatte Terry gesagt. Ich fand es merkwürdig, dass ich die erwähnte Chefin noch nicht kennengelernt hatte, und es schien mir kein Zufall zu sein, dass die Mädchen erzählten, sie hätten sie schon länger nicht gesehen. Ob sie Lunte gerochen hatte, und den Menschenhandelring verlassen hatte? Oder war sie vielleicht beschäftigt damit, unsere Ermittlungen zu überwachen, genau wie ich nun Undercover ihre Geschäfte näher betrachtete? Es gab im Moment keine Möglichkeit, das rauszufinden.
Dafür lernte ich mit jeder vergehenden Stunde mehr über den Alltag dieser Mädchen kennen, und auch wenn ich bei so gut wie jedem Satz schockiert war, war ich auch überrascht, dass es einige lockere Momente zu geben schien.
„Welches Kleid haben sie dir rausgesucht?", fragte Janet, die sich ein knallenges blaues Schlauchkleid vorhielt, das sie nachdem wir alle vom Duschen gekommen waren auf ihrem Bett gefunden hatte. Wir anderen hatten ebenfalls nuttige Kleider bekommen, meins war in einem billig anmutenden schillernden Kupferton und sah aus, als wäre es sogar einer Barbie zu klein.
„Meins ist ein richtiges Prinzessinenkleid", lachte Alice und präsentierte einen violetten Albtraum mit Rüschen am viel zu tiefen Decolletee.
„Enchanté eure Hoheit, mit wem habe ich die Ehre?", Janet verbeugte sich sarkastisch und gab Alice einen angedeuteten Handkuss. Mit gleichermaßen affektierter Stimme antwortete Alice: „Die Prinzessin von Southwest Harbor, momentan auf meinem Flagschiff residierend, und wer seid Ihr?"
Ich musste darüber kichern, wie sie sich einen Spaß aus der Sache machen konnten, und gleichzeitig war ich verwundert, dass sie das Vokabular für solch ein Schauspiel besaßen. Ob eines der Mädchen aus gutem Hause war, und den anderen das beigebracht hatte? Oder hatten gar mehrere höhere Bildung genossen, bevor sie entführt und hier her gebracht wurden, wo jegliche intellektuelle Förderung ein Ende gefunden hatte?
Eine Durchsage unterbrach das kleine Schauspiel, wie auch meine Gedanken, und ich zuckte zusammen, da ich bis jetzt nicht gewusst hatte, dass es so etwas wie eine Sprechanlage gab.
„Guten Abend, ich hoffe, ihr seid alle fertig umgezogen. So oder so werdet ihr in fünf Minuten abgeholt, dann geht es los auf die Feier. Und wehe, eine von euch benimmt sich daneben. Ihr wisst ja, dass das Konsequenzen hat."
Die Stimme war weich wie Samthandschuhe, und fast ein bisschen mitleidig. Außerdem ziemlich jung und... ohne Zweifel feminin.
„War sie das?", fragte ich, „Die Chefin, meine ich?"
Alice nickte.
„Dann hast du wohl heute auch mal die Ehre, sie kennenzulernen."

Bis sie stirbt I Der erste Fall Where stories live. Discover now