Kapitel 10 - Stonigton

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V's Sicht: Am nächsten Morgen wäre ich am liebsten gar nicht erst auf gestanden. Als ich aufwachte lag ich in der perfekten Schlafposition und mein ganzer Körper schrie danach noch mehr schlaf zu bekommen, als ich mich dann jedoch zu meiner linken Seite drehte merkte ich das Tanner nicht mehr da war. Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und fuhr mit meinen Händen durch die Haare. Warum konnten solche Fälle nicht, wie in einer dieser schlechten Krimis in wenigen Tagen geklärt sein? Ich hatte schon fast vergessen, wie Tanners und meine kleine Wohnung aussah. Gerade als ich halbwegs motiviert war aufzustehen, schoß die Tür zum unseren Zimmer auf. Reflexartig setzte ich mich kerzengerade hin, griff nach meiner Pistole und entsicherte sie. „Dir auch einen guten Morgen" es war nur Tanner.
Jetzt war ich hellwach.
„Du hast mich erschreckt" Ich legte meine Pistole wieder weg, als Tanner zu mir kam und mir einen guten Morgenkuss gab. Für einen Moment hätte man fast denken kennen wir wären ein normales Paar, mit einem normalen Job und die zu normalen Arbeitszeiten wieder zu Hause waren.
„Wo warst du?" fragte ich nachdem mir auffiel, dass weder etwas aus dem Auto geholt hatte noch Sportklamottem anhatte. „Voltair hat mich angerufen und sie will das wir nach Stonington fahren, dass ist einanhalb Stunden von hier entfernt" Ich sah im zu, wie er seine Tasche packte. „Und was sollen wir in Stonington?" Fragte ich, obwohl schon eine gewisse Ahnung hatte in welche Richtung sich seine Antwort bewegen würde. „Das Mädchen, dass gestern gefunden wurde ihr name ist Violet Lancaster, sie wurde vor vier Jahren entführt und ihre Eltern leben nunmal immer noch in Stonington" Ich war so froh das es nicht Scarletts Leiche gewesen war, aber durch meine Erleichterung hatte ich völlig vergessen, dass dieses Mädchen auch geliebte Menschen hatten die sie vermissten. „Wie lange fahren wir?" Es war jetzt endgültig Zeit um aufzustehen und mich fertig zu machen und aus einen mir unerklärlichen Grund war ich zum ersten Mal seitdem wir hier waren motiviert und in einer positiven Stimmung. Vielleicht, weil ich das Gefühl hatte endlich voran zu kommen und etwas zu erreichen. „Fast zwei Stunden" Tanner trotz allem manchmal immer noch ein Macho und ich war einfach für seinen Geschmack her manchmal ein bisschen zu feministischer Natur. Bevor seinen Mund erneut öffnete, hechte ich zur seiner Seite des Bettes und griff nach den Autoschlüsseln. „Ich fahre" Seinem Gesichtsausdruck nach war er nicht ganz so begeistert.

Scarletts Sicht: Ich zuckte zusammen und starrte auf die schockierende Szene, die sich nun vor meinen Augen abspielte. Ein Mann im mittleren Alter der eigentlich eher hager wirkte statt muskulös stieß ein Mädchen in den Raum, dem es nicht gelang, sich aufzufangen, weshalb es wie ein nasser Lappen auf den harten Metallboden aufklatschte. Sie konnte sich gerade noch so mit ihren Händen abstützen, und aus dieser Entfernung erkannte ich nichts genaues, doch sie schien entweder verletzt oder sehr geschwächt zu sein.
„Dieses Mal bist du noch einmal glimpflich davongekommen. Niemand versucht hier  ungestraft abzuhauen."
Sie setzte sich auf, sagte jedoch nichts. Der Mann schloss die Türe, allerdings schloss er sie hinter sich - was wollte er denn noch im Raum?
„Das ist Dr. Hopper", raunte mir Alice zu, die neben meinem Bett aufgetaucht war, „Er kommt jeden Morgen. Dadurch wissen wir, dass Morgen ist. Er ist kein richtiger Doktor, glaube ich, ein paar der Mädchen sagen, er wäre eigentlich Polizist oder Sheriff oder so etwas. Auf jeden Fall bringt er uns jeden Morgen sogenannte Vitamine. Ich persönlich spüle die ja im Klo runter, aber manche verstecken sie auch unter der Matratze, was ich aber zu riskant finde, falls die doch mal auf die Idee kommen sollten, die zu durchsuchen oder so."
So viele Informationen prasselten auf mich ein, dass es sich anfühlte, als hätte man mir ein Wollknäuel voller nicht zusammengehörender Wollfäden gegeben, das ich nun auseinanderwirren sollte.
„Ist denn jetzt Morgen?", war die einzige Frage, die mir einfiel.
Alice schüttelte den Kopf und presste ihre Lippen aufeinander.
„Nein, ich glaube es ist noch lange nicht Morgen. Das hier ist was anderes."
Dr. beziehungsweise Sheriff Hopper hob das Mädchen auf, als wäre sie eine übergroße Stoffpuppe und wandte sich dann in unsere Richtung. Er lächelte leicht und mir fiel auf, dass er eigentlich recht gut aussehen könnte, wenn man ihm vor einem anderen Hintergrund begegnen würde. Dennoch war da etwas fieses an ihm.
„Meine Lieben, was macht ihr euch das Leben denn selbst unnötig schwer? Ihr werdet hier nicht rauskommen, es sei denn, wir wollen es, und bei dem Versuch tut ihr euch doch nur weh."
Als sich das Mädchen ebenfalls zu uns drehte, erkannte ich, dass sie Blutergüsse und einige Schrammen am Körper hatte. Ich fragte mich, was sie wohl auf sich genommen hatte, um von hier zu fliehen - nur, um dann doch wieder in diesem stickigen Containerschiff zu landen, hereingezerrt wie ein Hund an einer zu engen Leine. Eine andere Erkenntnis schockierte mich jedoch mehr als die leichten Verletzungen: das Mädchen hatte einen völlig glasigen Blick, sie schien uns gar nicht richtig wahrzunehmen.
„Was hat er ihr gegeben?", flüsterte ich, so dass Alice es als einzige mitbekam. Sie zuckte die Schultern.
„Etwas zur Beruhigung oder so. Das wird in ein paar Stunden schon wieder vergehen."
„Wenn es euch hier an etwas fehlt, sagt mir einfach morgen früh Bescheid - vielleicht kann ich euch ja ein paar Bücher besorgen, zur Unterhaltung. Oder spielt jemand von euch vielleicht gerne Schach? Glaubt mir, ich will euch hier nicht wie Sklaven halten, wir können es gerne ein wenig angenehmer hier machen. Aber niemand. Niemand. Kommt auch nur auf den Gedanken, hier abzuhauen. Haben wir uns da verstanden?"
Sein Tonfall änderte sich so schnell wie eine farbwechselnde Lampe die Farbe änderte. Obwohl er immer noch lächelte, waren seine Augen auf einmal zu intensiv, sein Blick, obwohl er an niemandem spezifisch gerichtet war, doch so stark, als dass ich das Gefühl hatte, darunter schmelzen zu müssen.
Wie zum letzten Unterstreichen der Worte, schubste er das Mädchen, das er rein gebracht hatte gegen eines der freien Etagenbetten, auf dessen untere Matratze sie sich auch prompt fallen ließ.
„Wir sehen uns dann in ein paar Stunden. Seht zu, dass ihr ein bisschen Schönheitsschlaf bekommt."
Das kalte Grinsen war zurück und mein Magen zog sich zusammen. Außerdem atmete ich zu hastig. Erst, als Dr. /Sheriff Hopper den Raum wieder verlassen hatte, normalisierte sich meine Atmung, aber in meinem Magen blieb das unangenehme Gefühl zurück. Es war eine Schwere des Körpers, die ich sonst nur von der FBI Fitnessprüfung kannte. Es kostete mich riesigen Aufwand, mich zu dem Mädchen zu wenden, das anscheinend versucht hatte, hier abzuhauen.
„Sollten wir ihr nicht helfen?", fragte ich Alice, obwohl ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was wir oder irgendjemand hier für sie tun könnte.

Bis sie stirbt I Der erste Fall Where stories live. Discover now