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In den letzten Tagen war es für mich zur Angewohnheit geworden, jeden Morgen auf die Website der ‚La Stampa‘ zu gehen, um nachzuschauen, ob die dort irgendetwas über mich geschrieben hatten. Die ersten Male war ich nie fündig geworden, auch andere Neuigkeiten hatte ich nicht gesehen. Den Gedanken an Lydia hatte ich schon fast komplett aus meinem Gedächtnis verbannen können. Alles war in letzter Zeit so schön, so perfekt, da konnte ich es mir einfach nicht erlauben alles durch schlimme Gedanken kaputt zu machen. 

Doch heute war an sie zu denken nicht vermeidbar.

Nicht mehr nachdem ich geschockt die große Headline auf der Startseite las.

Vermisstes Mädchen tot aufgefunden.

Stand da fett. Nein, die sprachen nicht von Lydia. Nein. Das Pochen meines Herzens drohte meine Rippen zu zerbersten und mit meiner zitternden Hand hielt ich die Maus fest umklammert. Es werden täglich hunderte Leute vermisst, versuchte ich mir einzureden. Die können von sonst wem sprechen, aber nicht von Lydia.

Ich überlegte kurz, ob ich den Artikel überhaupt anklicken sollte. Wollte ich das überhaupt wissen? Verzweifelt biss ich mir auf die Unterlippe. Ich zuckte völlig zusammen, als auf einmal ein Rauschen von nebenan ertönte.

Im nächsten Moment hätte ich mich am liebsten selbst ohrfeigen können. Das war doch bloß Sami, der die Dusche anmachte. Gott, was war mit mir los?

Ich atmete einmal tief durch.

Einfach die Seite schließen, das konnte ich nicht. Dann würde ich mir den ganzen Tag meinen Kopf darüber zerschlagen. Ich war zu neugierig.

Unentschlossen starrte ich auf die über den Bildschirm flimmernden Buchstaben. Wer weiß, vielleicht würde ich den Artikel gar nicht verstehen. War schließlich auf Italienisch. Und die Zeitungen dort hatte ich schon immer gehasst. Okay, Verständnisprobleme hatte ich eigentlich nie gehabt. Aber wer weiß, es konnte ja sein, dass ich in den letzten Wochen ein wenig die Sprache verlernt hatte? Okay, nein konnte nicht sein. Ich hatte doch vor ein paar Tagen erst mit Claudia italienisch geredet.

Seufzend drückte ich meinen Zeigefinger auf die Maustaste und der Artikel öffnete sich. Ich kann ihn ja mal ins deutsche übersetzen.

Vermisstes Mädchen tot aufgefunden.

Mailand – tragischer Tod einer 17-Jährigen erschüttert die gesamte Lombardei.

Die seit dem 13. September vermissten Lydia D. wurde gestern früh von zwei Touristen leblos in einem See wenig außerhalb von Mailand entdeckt. Erste gerichtsmedizinische Untersuchungen und DNA-Abgleiche brachten Gewissheit darüber, dass es sich hierbei tatsächlich um die 17-Jährige handelt. Zur genauen Todesursache machte die Polizei gegenwärtig noch keine Angaben, ein Gewaltverbrechen sei nicht ausgeschlossen. Laut Polizeisprecher Flavio Diavelli stamme das Mädchen aus einem sozial schwachen Umfeld und habe zuletzt in einem gesonderten Heim für Schwererziehbare gelebt.

Den Rest konnte ich mir nicht mehr antun. Selbst wenn ich gewollt hätte, eine dicke Schicht von Tränen versperrte meine Sicht und ich konnte mich null auf den Text konzentrieren. Das konnte nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein. Und das alles nur wegen mir. Ich Vollpfosten hatte sie überredet mitzukommen. Sie wollte doch anfangs gar nicht. Sie war diejenige gewesen, die daran die ganze Zeit gezweifelt hatte. Dann hatte ich sie auch noch aus den Augen gelassen. War doch klar, dass sie sich nicht verlaufen hatte. Keine Ahnung, was mit ihr passiert ist, aber jetzt ist es auch egal.

Jetzt ist sie tot.

Wegen mir. Ich hab sie umgebracht.

Ich schluchzte laut auf und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Warum war das Leben so unfair? Warum? Es schien mir wie eine Ewigkeit, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte, um in der Lage zu sein, die Website zu schließen und den Laptop auszumachen. Am Ende des Artikels hatten sie noch irgendetwas von mir geschrieben, dass wir ja anscheinend zusammen unterwegs gewesen waren, und dass ich bereits vor ein paar Wochen von der deutschen Polizei aufgegriffen worden sei. Nun, das entsprach zugegebenermaßen ja auch der Wahrheit. Total fertig mit den Nerven versuchte ich mich aufzurichten, kam jedoch nicht weit. In Tränen aufgelöst sackte ich im nächsten Moment wieder in mich zusammen und blieb an der Wand gelehnt auf dem kühlen Fußboden sitzen. Ich versuchte mir immer wieder einzureden, dass das nicht meine Schuld war, und dass Lydia vielleicht von sich aus irgendwann abgehauen wäre, und das gleiche passiert wäre. Aber überzeugen konnte ich mich damit nicht.

Ich war so damit beschäftigt in meine Hände zu weinen und mir Vorwürfe zu machen, dass ich erst gar nicht wahrnahm, wie sich jemand neben mich setzte. Erst als ich die Arme spürte, die mich festhielten und die Hand, die sanft über meinen Rücken strich, schaute ich hoch und blickte in Samis besorgte Augen.

,,Was ist los Demi?“

Mit dem Handrücken wischte ich mir über die nassen Augen, und versuchte zu antworten. Doch mehr als ein Krächzen kam nicht aus meinem Hals. Irgendwann schaffte ich es dann das Wort ‚Lydia‘ hinzu stottern. Beim Klang ihres Namens bahnte sich wieder eine Träne ihren Weg über meine Wange. Sami hob seine Hand und wischte sie sanft weg.

,,Was ist mit ihr?“

Seinem Gesichtsausdruck zu Urteilen hatte er schon eine Vorahnung. Die richtige.

,,Sie ist tot“, mehr als ein flüstern brachte ich nicht zustande. Ich traute mich nicht ihm in die Augen zu sehen. Brauchte ich auch nicht. Keine paar Sekunden später packten mich zwei starke Arme ganz vorsichtig und trugen mich in Richtung Sofa. Dort angekommen ließ er mich runter, ehe er sich zu mir legte. Dankbar legte ich meinen Kopf an seinen Oberkörper, während seine Arme den meinen umschlangen. 

(Sami Slimani Fanfiction) when a hero comes alongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt