XVIII.

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„Sie dachte auf diesem Schiff sei es sicherer?"

„Naja, die Marineflagge war gehisst und ihre Freundin hatte den Plan vorgeschlagen auf diesem Schiff solange zu verweilen, bis die Marine sie retten würde."

Stellan starrte Gwen mit einem unglaubwürdigen Blick an, zu sehr haderte er mit den neuen Informationen die er von ihr erhalten hatte.

„Ist diese Freundin auch hier? Oder ist das deine Bezeichnung von Hillsfield?"

Gwendolina bemerkte den genervten Unterton in seiner Stimme. „Ja, sie ist in Begleitung von Captain Hillsfield und putzt mit ihm die Kanonen."

Die Augenbrauen des Piratenkapitäns schossen in die Höhe als er sich an das Gespräch mit Gabriella am Kanonendeck erinnerte. „Bitte was? Dieser Bursche ist eine Frau? Die spielt ihre Rolle als Mann wirklich gut, man merkt es ihr nicht an. Ihr Benehmen entspricht auch nicht das einer Dame."

„Für dich gibt es ja auch nur die eine Frau", bemerkte die Quartiermeisterin, was den Captain erröten ließ. „Ich konnte dir die Situation nicht erklären, da du sofort aus der Kajüte herausgestürmt bist, als ich dir von Hillsfield erzählt hatte."

"Dieser verdammte Edwin", grummelte der Kapitän bevor seine Gedanken wieder von einem anderen Thema geprägt waren: die Frage ob Adelaide ihn erkannt hatte. Er fragte Gwen kurzerhand später, als beide wieder nach oben ans Deck gingen.

"Sie hat mich noch nicht aufgesucht, aber ich glaube der Dreck in deinem Gesicht hat sie daran gehindert dich zu erkennen."

Der Angesprochene zuckte kurz zusammen als ihm auffiel, dass er noch immer in seiner beschmutzten Kleidung herumlief. Er war zu sehr schockiert gewesen um auch nur einen Gedanken daran zu vergeuden, ob sein Gesicht unerkenntlich war. Sauber machen konnte er sich leider auch nicht, da Adelaide wohl noch immer damit beschäftigt war, sein privates Zimmer zu putzen. Dieser Gedanke zauberte ihm fast schon ein verträumtes Grinsen ins Gesicht. Der Vorfall mit dem Eimer war fast schon vergessen – ihr würde er alles verzeihen.

Adelaide geriet in Panik, nachdem die den Kapitän blamiert hatte. Obwohl sie aufstehen wollte, um nach Gwen zu suchen, weigerten ihre Beine sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Ihr Kopf war gefüllt mit Vorstellungen ihres Todes: Erschossen durch den Captain, erhängt wegen Verrats, ertrunken weil sie nicht wirklich schwimmen konnte und die Planke hinunter springen musste.

„Oder man verfüttert mich an die Kanonen, und die arme Gabby muss dies auch noch –"

Sie unterbrach ihren eigenen Satz als ihr bewusst wurde, dass nicht nur sie, sondern auch Gabriella, Edwin und Robin getötet werden würden, wenn der Kapitän es befahl. Diese neue Entwicklung ließ die Dunkelhaarige sofort aufstehen – das Zittern in ihren Beinen vergessen, als sie mit Entschlossenheit Richtung Deck ging. Sie würde Gwendolina auffinden und ihr alles erklären, sowie sich beim Kapitän entschuldigen – von dem sie inständig hoffte, dass er sie und ihre Freunde begnadigen würde.

Sie suchte fast eine halbe Stunde vergebens nach der Quartiermeisterin, bis sie eher unfreiwillig mit ihr zusammenstieß. Jedoch merkte Adelaide schnell genug, dass es nicht Gwen war, mit der sie kollidiert war, sondern der Pirat, den sie zuvor schon verärgert hatte.

Adelaide sprang zurück und ihr entglitt ein schwerer Atemzug von den Lippen – ein Zeichen ihrer Angst. Ohne zu zögern, blickte sie starr zu Boden, dann zu Gwen; das Betrachten jedes Objektes war ihr Recht, solange sie nicht den Captain ansehen musste. Obwohl er genau vor ihr stand und sie die Möglichkeit hatte ihn mustern zu können, traute sie sich nicht.

Während Adelaide offensichtlich ihre Scheu offen zeigte, stand Gwendolina sprachlos neben ihr und beobachtete die angespannte Situation.

Der Einzige, der wirklich von dieser Lage profitierte, war der Captain selbst: Er beobachtete Adelaide mit scharfen Augen. Der blonde Pirat musste selbst feststellen, dass sie nicht größer war als vor drei Jahren, jedoch war ihr Gesicht älter und sie wirkte umso schöner. Trotz der männlichen Kleidung, die sie trug, strahlte sie eine gewisse Eleganz aus. Jeder würde bemerken, dass sie kein Mann, sondern eine Lady war. Je mehr er sie ansah, desto mehr nervöser wurde Stellan. Adelaide würdigte ihn nicht eines Blickes, was ihn wiederrum irritierte – Sie hatte immer einen aufrechten Blick und starrte jeden an, egal ob die Person arrogant oder arm war. Nur in diesem Moment war ihr unwohl dabei. Der Captain betrachtete seine schmutzige Kleidung wieder und hatte den leisen Verdacht, dass es der Geruch sein könnte, der ihr unangenehm war.

Adelaide empfand sein Starren als verstörend – sie war schon verängstigt, nun kam das Gefühl des Unbehagens in ihr hoch. Als er dann noch an seinem Hemd schnupperte, wusste sie, dass dies eine Geste war, der ihr beweisen sollte, dass der Mann noch immer wütend über den Vorfall war – und ihr die Schuld gab. Schnell entschied sie sich dazu sich nochmals bei ihm zu entschuldigen.

„Es tut mir aufrichtig leid, Sir", sprach sie mit einer leicht zitternden Stimme, „Es war nicht mit Absicht geschehen."

Adelaide richtete ihre Augen auf ihn, um ihr ehrliches Vorhaben auch non-verbal darzustellen. Sie erwartete ein arrogantes Schnauben oder eine finsternde Miene. Zu behaupten, dass sie überrascht war, als er sie mit einem perplexen Geschichtsausdruck ansah, war untertrieben. Adelaide war sprachlos als die Visage des Captains rot anlief. Die einzige Erklärung die sie für dieses Verhalten hatte war der Verdacht, dass im Putzwasser Gift oder Alkohol gewesen war.

„Alli– Allen!" rief Gabriella, als sie und Edwin an Deck gingen und die Dunkelhaarige entdeckten. Ihre Körperhaltung schrie förmlich nach Hilfe, als die Schneiderin zu ihr lief. Nachdem die Rothaarige und Hillsfield die Kanonen gesäubert hatten, wollten beide nach frischer Luft schnappen – und pausieren; Gabriella brauchte eine mentale Pause vom Captain, der ihrer Kreativität ihm neuen „Spitznamen" zugeben, ziemlich viel abverlangte. Ihre Diskussionen wurden auch den anderen Mitgliedern der Crew zu viel, welche beide aufforderten, ihre Streitereien gefälligst woanders auszutragen.

Edwin folgte ihr prompt, als Gabriella sich nach dem Wohlbefinden ihrer Freundin erkundigen wollte. Erst als beide den Piratenkapitän in seiner „eleganten" Kleidung vorfanden, wurde die Lage ernster. Der Captain der Piraten durchbohrte seinen ehemaligen Rivalen mit seinem Blick; und je mehr Zeit verging, desto größer wurde die Anspannung zwischen den zwei Parteien.

„Der C-Captain?" fragte Gabriella verdutzt nach.

„Ja", bekräftige der Angesprochene, dessen Augenbrauen zusammen gezogen waren, als er daran dachte, dass vor ihm nicht ein Bursche, sondern die Frau stand, die Adelaide auf sein Schiff gezerrt hatte. Irgendwie war er froh, dass sie bei ihm war, dennoch war er wütend, dass die rothaarige Schneiderin ihre Freundin einer solchen Gefahr ausgesetzt hatte. Der Ozean war gnadenlos; man wusste nie wann ein Sturm aufziehen würde, feindliche Piraten angreifen würden oder die Mannschaft einen Schiffbruch erleiden könnte. Stellan richtete seine Augen wieder auf Edwin, der offensichtlich versuchte einen Lachanfall zu unterdrücken. Der Anblick Stellans in dieser Kleidung – sowohl auch sein beschmutztes Gesicht – war ihm zu viel des Guten. Er biss sich gezwungen auf die Unterlippe, konnte sein dreistes Grinsen dennoch nicht verstecken.

Als ob Gott Stellan nicht schon genug gestraft hätte, musste er nun auch noch erleben, wie man ihn auslachte – schon wieder.

„Wage es ja nicht", zischte Stellan mit drohender Stimme. Seitdem die Mannschaft Highborough verlassen hatte, wurde er ständig mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Aber das Auslachen, das er immer ertragen musste, war eines der Dinge, die ihn frustrierten – und diese Lage wieder zu erleben, vor den Augen Adelaides, war dem Piraten mehr als peinlich.

Edwin beruhigte sich ein wenig – seine ernste Miene kehrte jedoch nicht ganz zurück.

„Ja doch, Captain Hainsworth."

Ohne darüber nachgedacht zu haben, wieso er diesen Namen aussprach, musste Edwin feststellen, dass er wohl der Einzige von den neuen Mitgliedern der Crew war, der von Stellan wusste. Gabriella – die ihn nur aus Adelaides Erzählungen kannte – starrte fassungslos auf den Piratenkapitän, bevor sie ihre Augen wieder auf ihre Freundin richtete.

„Was?" flüstere die Adelaide, die mit geweiteten Augen ihren ehemaligen Freund ansah. Der Schock war mehr als präsent in ihrem Gesicht.


Die Perle der SeeWhere stories live. Discover now