XV.

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Der Piratenkapitän fand erst nach wenigen Sekunden seine Stimme wieder, als er sich zu Edwin dreht und mit dem Finger auf Gabriella zeigte. „Alkoholisiert die Kanonen zu putzen ist unklug", verkündigte er mit einem entnervten Blick, bevor er fortfuhr, „Ist er einer deiner Soldaten? Dann wundert es mich nicht, dass du ihnen das Trinken auch gelehrt hast."

Edwin zog seine Nase hoch, „Und das sagt mir ein Pirat, der nur so nach Rum stinkt."

Diese Aussage traf einen Nerv, als der Pirat ihn beim Kragen nahm und dann zu Boden warf. „Du hast keine Ahnung", zischte er mit dunklen Augen, „Erledige deine Arbeit, du bist nicht auf diesem Schiff um gastfreundlich behandelt zu werden . . . Ich hätte dich ebenso in die Zellen werfen können!"

Mit diesem Satz verließ Hainsworth das Kanonendeck.

„Er hat sich kaum verändert, genauso grimmig wie vor Jahren", kommentierte Edwin, dessen Stimme nun trotz allem trauriger wirkte als vorhin. Der Schock, dass der einstige Gentleman nun als Pirat über die Weltmeere segelte, saß noch immer tief. Niemand hatte noch daran geglaubt, dass er am Leben sei, und Edwin wunderte sich, ob die Hainsworths dies wussten und bewusst vor der Gesellschaft versteckten – was normal war, denn niemand wollte einen persönlichen und familiären Skandal im Vereinigten Königreich preisgeben – oder ob seine Familie genauso ahnungslos war, wie Edwin. Doch er wusste es besser, und der Gedanke es Adelaide mitzuteilen, ließ ihn nicht los.

„Woher kennen Sie ihn?"

Die Frage riss Edwin wieder aus seinen Gedanken, als er Gabriellas neugierige Augen sah. Er wusste nicht wieviel Adelaide ihr anvertraut hatte; aber genug um seine Eskapaden auf den Londoner Bällen zu kennen. Er unterdrückte ein genervter Seufzer, der riskierte seinen Lippen zu entfliehen.

„Er ist eine Bekanntschaft."

„Eine Bekanntschaft?" Ihre Frage drückte aus, wie unglaubwürdig seine Antwort war.

„Ja, und wir alle dachten er sei tot", bestätigte er, „und nun stand er dennoch vor mir, als Pirat."

Seine grauen Augen wanderten durch den Raum, bevor er sich wieder zur Kanone hinkniete und mit dem Lappen alles sauber polierte. „Wenn wir nie auf diesem Schiff gelandet wären, hätte ich es nie gewusst . . ."

„Dann war mein Plan doch nicht so blöd", vermerkte die Rothaarige mit einem dreisten Grinsen und Edwin hatte den Drang ihr den Lappen an den Kopf zu werfen.

Adelaide betrachtete ihre Finger, nachdem sie die Zitronen geschnitten hatte. Obwohl mehrere kleine Schnitte ihre Hand schmückten, sahen die Zitrusfrüchte schlimmer aus. Kein einziger Schnitt war glatt und die Hälfte des Saftes in der Frucht lag am Boden. Das Talent zu kochen, wurde Adelaide nicht in die Wiege gelegt und sie war sich dessen auch bewusst gewesen. Sie warf Ophelia einen zaghaften Blick zu und hoffte, dass die Köchin ihr eine positive Antwort gab. Diese jedoch rang mit sich, versuchte die Wörter zu finden, die nicht allzu negativ waren.

„Ehm . . . Ich bin mir nicht sicher, ob man die Zitronen so noch gebrauchen kann."

Adelaide lächelte entschuldigend, „Ich verstehe, es tut mir leid."

Die beiden verstanden sich trotz der Situation gut, sehr zum Missfallen von Robin. Dieser saß nicht weit von ihnen; Sein Gesicht trug eine finstere Miene als er die Damen beobachtete. Natürlich, dachte er sich, konnte Adelaide nicht hilfreich in der Küche sein. Sie war nicht für solche Tätigkeiten ausgebildet worden.

„Das Schneiden und das kulinarische Wissen sind nicht meine Talente", gab die Dunkelhaarige mit geröteten Wangen zu. Niemals zuvor musste sie sich für irgendetwas rechtfertigen.

„Vielleicht ist das Putzen besser für dich geeignet", vermerkte Ophelia und lief ebenso rot an, als sie feststellte, dass man diese Aussage auch negativ aufnehmen konnte.

„J-ja, vielleicht", antwortet sie, bekam trotzdem ein mulmiges Gefühl in ihrer Bauchregion. Sie wusste, dass die verschiedenen Decks und Zimmer später schmutziger sein würden als vorhin.

„Alan, ich werde dir nachher alles zeigen, die verschiedenen Decks und das Material, allerdings musst du beim Captain einige Details wissen . . . Er ist sehr pingelig, wenn es um seine persönliche Habe geht."

Adelaide schluckte kurz; sie hatte sich noch immer nicht mit dem Gedanken angefreundet die Kajüte des Piratenoberhaupts zu säubern. Die fantasievolle Darstellung vom Kapitän mit einer Augenklappe, einem Holzbein und einem ungeheuren gruseligen Lachen, kam ihr immer wieder in den Sinn. Wenn sie nur wüsste, wer er war, würde sie sicherlich nicht solche Bilder im Kopf haben.

Robin stand hastig auf und forderte, genauso an der Putzaktion teilhaben zu dürfen, wie Adelaide, und Ophelia konnte ihm das unmöglich verwehren – seine Stimme klang bedrohlich und seine Augen hatten sie zu viel im Bann, um das Wort Nein auch nur irgendwie formulieren zu können.

Nach Stunden des Schneidens und Kochen in der Kombüse, fragte sich Adelaide, wann sie endlich zu Bett gehen konnte, da sie doch recht müde war. Die Erlebnisse des letzten Tages hatten an ihren Nerven gezerrt und sie glaubte, dass sie in einem Roman gefangen war. Diese beinhaltete viele unrealistische Tatsachen, mit denen sie gerade konfrontiert wurde. Und trotzdem war es weder ein Traum, noch ein Buch, in dem sie sich befand. Bevor sie es sich zweimal überlegen konnte, sprach ihr Mund auch die Gedanken aus, die ihr gerade in den Sinn gekommen waren.

„Wo schlafen wir?"

„In der Koje", gab Ophelia ihr zu verstehen, bevor sie kurz in die hintere Ecke des Raumes verschwand.

Adelaide schoss Robin einen perplexen Blick zu und flüsterte, „Der was?"

Er lächelte kurz, da er wusste, dass sie nicht die Begriffe der Nautik verstand. „Es ist eine Schlafkammer für die Mannschaft."

„Oh", murmelte sie bevor sich ihr müdes Gesicht in eine schockierende Grimasse verwandelte. „D-die gesamte Mannschaft?! In einem Raum?"

Robin nickte stumm, das Zittern in ihrer Stimme war bemitleidenswert. Natürlich war sie es nicht gewohnt, ihren Schlafplatz mit anderen zu teilen. Was diese Situation verkomplizierte, war die Tatsache, dass sie und Gabriella nun in Anwesenheit all dieser Männer schlafen mussten. Und nicht irgendwelche Männer, sondern Piraten – Robin holte tief Luft und versuchte die Wut in ihm zu unterdrücken.

„Es ist eine unangenehme Situation, aber ich bin bei Ihnen und werde Sie beschützen", deklarierte er mit seriöser Stimme. Die Angesprochene lächelte nur – obwohl die Mundwinkel nicht sehr hoch gezogen waren, was auf ein falsches Lächeln hinwies. Sie hoffte, dass sie bald vom Schiff durfte, denn sie hatte keine große Lust auf diesem Gefährt zu arbeiten und mit jeder Sekunde zu riskieren, dass jemand ihr und Gabriellas wahres Geschlecht entdecken könnte. Hinzu kam, dass sie das Schwingen des Schiffes nicht so gut vertrag. Und das Risiko jederzeit von anderen Piraten angegriffen zu werden, erhöhte sich von Tag zu Tag. „Jetzt fehlt nur noch das Vorhaben, dass sie einen Schatz finden möchten", wisperte sie, ohne damit Robin anzusprechen, der sowieso nichts von ihren lauten Gedanken mitbekommen hatte.
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[A/N: Entschuldigt bitte die Verspätung; am Wochenende hatte ich nicht viel Zeit zum Schreiben. Vielen Dank nochmal an all die Votes und Kommis und Hinzufügen auf Leselisten :D ]

*Kombüse ist die Schiffsküche.


Die Perle der SeeWhere stories live. Discover now