X.

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„Nein, Nein, Nein", murmelte der Piraten Kapitän als er die zertrümmerte Schneiderei betrachtete. Seine Gefährten waren ein wenig ratlos über die Situation und seinen Ausbruch: Thomas Bexter war fassungslos über diese neue Seite des Captains, die er noch nie gesehen hatte; Gwen hingegen wusste was den aufgebrachten Hainsworth an die Grenzen der Verzweiflung trieb. Sie selbst hatte diese Seite von ihm nie bezeugen können, da er immer nur nostalgisch von seiner Heimatstadt und Angebeteten gesprochen hatte. Es nun aber vor ihren Augen so zu sehen war eine komplett neue Situation.

„Captain? Die feindlichen Piraten werden langsam zurückgedrängt."

Der adressierte Mann gab keine Reaktion auf den gesprochenen Kommentar; er war zu konzentriert darauf, die Trümmer und Steine brachial aus dem Weg zu räumen.

„Captain, es ist zwecklos... Und hatte die Dame nicht vorhin gesagt dass die Offiziere die Vermisste suchen?" fragte Gwen nochmals nach. Sie wollte ihn beruhigen, hatte dies schon gemacht seitdem sie sich kannten. Sie war um Jahre älter als ihn und fühlte sich wie eine große Schwester. Gwendolina war sowieso die Ansprechpartnerin der meisten Piraten an Bord. Wenn es Probleme gab, wusste sie die Lösung. Und so war es an Land nicht anders.

Wieder erschütterten Explosionen den Boden bevor Jubel ausbrach. Es waren nicht die freudigen Schreie der französischen Korsaren gewesen, sondern die der siegreichen englischen Marine – zu deren Sieg Hainsworths Mannschaft ebenfalls dazu beigetragen hatte.

„Wir müssen weg", kommentierte die braunäugige Gwen, die den Ernst der Lage erkannte: würde man sie entdecken, würden sie ebenfalls unter Verdacht geraten, mit den feindlichen Piraten zusammengearbeitet zu haben.

„Sonst werden wir verdächtigt", beendete Thomas ihren Satz, „Diese Landratte von Marineoffizier hat und schon einen Vorwurf gemacht, obwohl wir mit ihnen zusammen arbeiten."

Die Freudenschreie wurden lauter, was die zwei Mitglieder der Mannschaft dazu bewegten, ihren Captain – gegen dessen Einverständnis – aus dem halb zerstörten Gebäude zu ziehen.

Erst als sie zu ihrem Schiff rannten, erkannten sie wie ernst die Lage um die Hafenstadt war: Die Gebäude waren demoliert, die Marine demobilisiert und das Gefühl flüchten zu müssen, stieg. Sie mussten weg, so schnell es nur ging. Hainsworth selbst, den Schuldgefühle plagten, verstand dass er nicht jedes einzelne Haus durchsuchen konnte – was er wahrscheinlich getan hätte, wäre seine Crew nicht gewesen – um Adelaide zu finden. Öfters hatte Gwen ihn einen Dickkopf bezeichnet, was ihn schon öfters in gefährliche Situationen gebracht hatte.

Schweren Herzens bewegten sie sich schneller und sahen von Weiten dass der Rest der Crew Segel setzen wollten.

„Endlich", gab Scott Allington von sich. Der Steuermann hatte ungeduldig gewartet. Obwohl er seinen Captain respektierte und mochte, hatte er diese Logik des Eingreifens in die Kämpfe nicht verstanden. Er hatte einfach so aus dem Nichts befohlen, den Angriff der Franzosen zu stoppen. Scott verstand, dass es seines Captains Heimatstadt war, aber ohne Rücksicht auf Verluste in einen Kampf hineinzuspazieren, der nicht ihrer war, ließ ihn Fragen in seinem Kopf formen, welche er auch prompt – und eher dreist – stellte.

„Warum hat sich der Dickschädel entschieden mitzukämpfen?" fragte er, bis er den verzerrten Gesichtsausdruck seines Captains sah, der er fast schon als belustigend empfand. „Und warum kuckt er grimmig? Der wird heute Abend wirklich einen Schönheitsschlaf nötig haben."

Stellans Augen weitenden sich als er diese Aussage hörte, „Was?"

„Ach nichts", gab Scott zurück.

Der Captain war normalerweise immer für ein paar Späße zu gebrauchen, was die Mannschaft auch wusste, aber dieses Mal bemerkten die Mitglieder der Crew, dass etwas vorgefallen war, was Hainsworths Laune in den Keller sinken ließ.

„Schnell", schrie Gwen, bevor sie alle das Schiff betraten und das Kommando „Setzt die Segel!", das hölzerne Gefäß in Bewegung brachten.

„Wir konnten kein Proviant besorgen", teilte ihnen einer der Piraten mit, die für die Besorgungen des Essens zuständig waren.

„Ja, und das Treffen mit der Marine ist auch nicht zu Stande gekommen."

Gwen beachtete die leichte Sorgen der Männer und schlug ihnen vor, Kurs auf das nächste Land zu legen, an dem sie unbemerkt alles besorgen könnten. Ihr Blick fiel dabei auf ihr Kapitän, der mit einem besorgten Blick die See betrachtete und seit dem Betreten des Schiffes keinen einzigen Mucks von sich gegeben hatte.

„Haben wir noch Rum?" fragte sie mit einem Seufzer nach, mit dem Wissen dass ihr Captain ihn diese Nacht brauchen würde.

„Wie bitte?!"

Edwin betrachtete das gerötete Gesicht von Gabriella, die von Wut nur so strotzte. „Französische Piraten haben uns angegriffen aber wir befinden uns auf einem Schiff von englische Piraten?" fragte die Rothaarige nochmals nach.

„In der Tat."

Er hatte ihnen von seinem Plan erzählt und dass sie keine andere Möglichkeit hatten als unter Deck zu bleiben, bis das Schiff einen Hafen erreichen würde. Da es englische Piraten waren und die Anzahl der französischen Korsaren während der Kämpfe in Highborough sehr schnell weniger geworden waren, glaubte er nicht an den Zufall, der Robin Minuten vorher geäußert hatte. Der Kutscher war sich sicher gewesen, dass die Streitkräfte Highboroughs stark genug gewesen waren, den Piraten Einhalt zu gebieten. Edwin jedoch widersprach ihm: Sie hatten Hilfe erhalten, und das in Form von Kriminellen. Egal ob es englische Soldaten oder Britische Kriminelle waren; jeder von ihnen hegte einen Hass gegen die Französische Armee und deren Untertanen. Ihm kam ein leiser Verdacht, dass dies ein Schiff war, dessen Crew im Auftrag der englischen Krone die Aufgabe hatte, mehrere Schiffe der Franzosen zu zerstören. Es war nichts neues Freibeuter einzustellen, auch wenn es recht hypokritisch war. Die Doppelmoral in Kriegszeiten war sehr oft unverständlich – jedoch für den Staat und König von äußert wichtiger Bedeutung – für die Bürger gewesen.

„Glaubt Ihr, dass sie uns nicht frühzeitig entdecken würden?"

„Ich hoffe es", teilte der schwarzhaarige Kapitän ihr mit, „Bei meinem Namen und Rang Captain Hillsfield, verspreche ich euch: Ich werde euch beschützen."

Der letzte Teil des Satzes wurde begleitet von seinem charmanten Lächeln, was er aufgesetzt hatte, um die Gemüter der Anderen zu beruhigen. Was leider nur bei zwei von ihnen erfolgreich war; Gabriella war einfach nur genervt.

„Pfft, bei eurem Namen ... Captain Höllenfeld", krächzte sie.

Ihre lautstarke Bemerkung ließ Edwins Augenbrauen zusammenzucken. „Ach ja, kleine Schneiderin, vor wenigen Minuten hatten Sie aber auch das Bedürfnis gehabt meine Hand zu halten weil sie beängstigt waren."

Gabriella schnaubte kurz, „Mir war kalt und Ihre Hände waren warm. Wie in der Hölle."

„Wenigstens habe ich warme Hände und muss dafür nicht die der Anderen anfassen", zischte der beleidigte Kapitän der auch keine Sekunde warten musste, bis Gabriella ihm wieder entgegen kam.

„Na und? Dann schneidere ich mir halt Handschuhe die mich warm halten."

„Die sie sowieso immer außerhalb ihres Zimmers tragen sollten!"

„Und wie sehe das denn aus? Ein Knabe mit Handschühchen auf einem Piratenschiff!" stöhnte Gabriella in heller Aufruhr.

Adelaide seufzte in ihre Handfläche hinein und fasste den Gedanken, warum die Beiden über Piraten und Handschuhen stritten. Man konnte schon fast glauben dass sie innig hoffte schnell an Land zukommen wegen des Vermeidens der Streitigkeiten zwischen den zwei Parteien. Würden die Piraten sie so entdecken, würden sie Gabriella und Captain Hillsfield ins Meer werfen. Die Haie würden sich jedoch auch nicht freuen, sondern schnell wieder abtauchen. Niemand wollte eine solche Auseinandersetzung bezeugen wollen.

Ahnungslos von dem ganzen Stress an Deck des Schiffes, bemerkten die Vier nicht, dass ihre Anwesenheit von einem der Piraten entdeckt worden war. Es war die Köchin gewesen, die die blinden Passagiere gehört hatte und sich auf den Weg machte, dem es Kapitän mitzuteilen. Und zwar augenblicklich.
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[A/N: Ich poste heute, da ich am Wochenende nicht zu Hause sein werde :D. Ps: Ich liebe es wenn Gabby und der Captain streiten :D]

Die Perle der SeeWhere stories live. Discover now