XVII.

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Stellan Hainsworths Hände umklammerten sanft das Schiffsteuerrad als die Mannschaft ihrer täglichen Aufgaben nachging. Einige putzten das Deck, Andere beobachteten die Handhabung der Segel, während er und Thomas Bexter das Schiff navigierten und auf den richtigen Kurs brachten. Gleich würden sie in einen kleinen Hafen einlaufen, an dem sie das Proviant kaufen würden, was sie eigentlich vorhin hätten besorgen sollten.

Hainsworths Nägel krallten sich unbewusst ins Holz des Steuerrades ein; die Wut überkam ihn als er wieder daran erinnert wurde, weshalb sie nicht in Highborough bleiben konnten. Aus Reflex griff der blonde Captain nach seinem Kragen, in der Hoffnung das Amulett seiner Familie anzufassen, was ihm immer half seine Nerven zu besänftigen.

„Was . . .", wisperte er, als er feststellte dass das Familienerbstück nicht seinen Hals schmückte. Entnervt musste er feststellen, dass er es vergessen hatte anzulegen, als er am Morgen aufgestanden war, um hastig an Deck zugehen. Ein normaler Mann würde das Schmuckstück erst wieder anlegen, wenn alle Arbeiten an Bord erledigt wären. Leider war Stellan kein normaler Mann und sehr pingelig wenn es um solche Angelegenheiten wie sein Familienerbstück ging. Hinzu kam, dass ein neuer Schiffsjunge seine Kajüte putzte, und nur Gott wusste was dieser Knabe anstellen würde. Es war jedenfalls dieser Gedanke, der ihn dazu verleitete wieder in sein Zimmer zurückzukehren – ohne auch nur eine weitere Sekunde zu verlieren.

Ohne seinem Navigator Rechenschaft zu geben, marschierte der sture Kapitän zu seinem Ziel.

Er brauchte keine Minute um vor der Tür seines Rückzugortes zu stehen; das Erste, was er wahrnahm, waren die Geräusche des Putzens, sowie das laute Seufzen, was oft der Ausdruck von Verzweiflung war. Erst als die Stimme des Schiffsjungen ertönte, sprang dem Kapitän das Herz aus seiner Brust. Es war nicht der Fakt, dass die Stimme extrem weiblich klang, sondern, dass die Stimmfarbe ihm so bekannt vorkam, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief. Es war die Stimme, die er nie vergessen konnte. Die Wut überkam ihn wieder, als er aus seiner Schockstarre aufwachte.

„Wenn die Crew mir einen Streich gespielt hat . . .", zischte er leise, nun voller Entschlossenheit, die Tür einzubrechen, um zu sehen wer die Stimme der Frau nachahmte, die noch immer in seinem Herzen war.

Stellan wollte gerade seine Ankunft laut ankündigen, als seine Füße mit dem Eimer am Boden in Kontakt kamen. Elegantes Fallen stand hier außer Frage; der Pirat flog förmlich auf den Holzboden, sein Gesicht getränkt im dreckigen Wasser, das sich noch vor wenigen Sekunden in diesem Eimer befand. „Verdammt nochmals", wollte er laut schreien, die Verantwortliche Person – welche nur der Schiffsjunge sein konnte – kommandieren und mit der Pistole bedrohen.

Er nahm noch wahr, wie der Bursche – dessen Talent im Putzen wohl nicht so präsent waren – einen schockierten Ton von sich gab. Jedoch war es Stellan egal; er war zornig, wegen des Jungen, seiner Situation und diesem verdammten Eimer. Die Worte, die er dieser Person an den Kopf warfen wollte, lagen schon auf seiner Zunge.

Seine Augen richteten sich zum Burschen, der nun verängstigt vor ihm kniete. Und es war in dem Moment, als der Kapitän seinen Ärger vergaß. Wie weggefegt waren die aufbrausenden Gefühle, als er in die hell-blauen Augen seines Gegenübers starrte. Wie konnte er diese Farbe jemals vergessen? Und nun beobachteten sie ihn von Nahem und der Mann merkte, wie jedes rationales Denken ihn verließ. Was war passiert? Warum kniete Miss Adelaide Kingston vor ihm? Weshalb die Männerkleidung? Die Panik verursachte neue wahnsinnige Ideen, die seine Wahrnehmung komplett dominierten. Stellan war sich sicher, dass der Geist von Adelaide ihn verfolgte oder der Wahnsinn seinen Körper im Griff hatte. Als sie ihn fragte, ob es ihm gut ginge, klammerte er sich an den Holzrahmen der Tür; wie verzweifelt, probierte er sich hochzuziehen. Der arme Mann war komplett überrumpelt von der Situation; die Unglaubwürdigkeit stand ihm förmlich im Gesicht.

‚Ihre S-Stimme ist dieselbe', dachte er, bevor er aus seiner Kajüte flüchtete, mit dem Vorhaben so viel Schnaps und Ruhm zu trinken, wie es sein Körper zulassen würde. Und momentan vertrug dieser in diesem Zustand sehr große Mengen. Einen Plan zu haben, war eine Sache, aber heil zum Ruhm am untersten Deck zu gelangen, war eine andere: Der Mann fiel öfter hin als in den letzten Jahren, die er auf dem Schiff verbracht hatte. Das Gehen war eine Unzumutbarkeit für den jungen Captain.

Als er erfolgreich sein Ziel erreicht hatte, schnappte er sich die erste Flasche und verkroch sich in eine Ecke, seine Augen an die Holzwand fixiert.

Thomas Bexter kam nach zehn Minuten, völlig entnervt von der Situation: Er musste die Arbeit verrichten, während sein Kapitän damit beschäftigt war irgendwo herumzuschlendern, um das Schiff zu begutachten. Der Navigator war verblüfft als er Stellan leicht verstört in einer dunklen Ecke vorfand, wo er sich dem Alkohol fast schon ohne schlechtes Gewissen hingab.

„Captain? Ist alles in Ordnung?" fragte er nach, sein Gesicht unsicher, bevor der Angesprochenen Kapitän mit einem leichten Kopfschütteln signalisierte, dass es ihm nicht gut ginge.

„Brauchen sie Hilfe?"

Als er diese Frage in den Raum warf, erstarrte der blonde Pirat, bevor seine geweiteten Augen Thomas intensiv anstarrten. „ . . . Das hatte sie auch gefragt . . ."

„Sie?"

„Adelaide . . . Der Geist . . . Sie verfolgt mich . . . Aus Rache, weil ich ihr nicht helfen konnte", informierte Stellan seinen Navigator, der jedoch kein Wort verstand und fassungslos den Kopf schüttelte.

„Der Captain ist wahnsinnig geworden", murmelte Thomas, der seit der Abfahrt von Highborough gemerkt hatte, dass es Stellan nicht gut ginge. Ohne lange nachzudenken, entschied er sich Gwendolina zu rufen.

„Captain, Gwen wird ihnen sicher helfen können", vermerkte er, bevor er wieder mit einem schüttelnden Kopf ans oberste Deck ging, um nach der Frau zu suchen, die mit dem Captain reden konnte – und er war sich nicht bewusst, wie sehr sie ihm helfen konnte.

„Es tut mir Leid . . .", wisperte Stellan, als er langsam das bestickte Taschentuch aus seinem Mantel nahm, das ihn Jahre lang begleitet hat. Er hielt es an seine Brust, noch immer schockiert über den Zusammenstoß mit ihr. „Ich habe sie gesehen . . . getäuscht hatte ich mich nicht."

„Was wenn es nicht sie war, sondern meine Imagination?" probierte er sich zu versichern. „Wie soll ich diesen Schiffsjunge je wieder über den Weg laufen, wenn ich ihm kein autoritäres Benehmen gezeigt habe?"

Seine Nerven beruhigten sich langsam wieder.

„Aber es war ihr Gesicht . . . Ein solches könnte man nie vergessen."

Nach wenigen Minuten hörte Stellan Schritte, die ihn kurz aufhorchen ließen. Es war ein Vorkommnis was selten auftrat – am Anfang seiner Piratenkarriere, als er in die Crew aufgenommen wurde, war er ängstlicher – und als seine Augen Gwen erfassten, versteckte er das Taschentuch wieder in seine Manteltasche.

Der Kapitän wollte ihr alles erzählen, doch als er ihren Blick sah, erkannte er, dass sie ihm etwas verheimlichte. Er sprang sofort auf seine Beine. „Gwen! Du sagst mir sofort was hier los ist."

Sie biss ihre Unterlippe, als wüsste sie, was seine Gedanken plagten.

„Thomas sagte, dass du einen Geist gesehen hast . . . Sie ist kein Geist . . . Sie hat sich aufs Schiff geschlichen", offenbarte sie ihm.

„W-Was?"

Die Wand stützte ihn wieder, als er sich an sie lehnte, die Blässe in seinem Gesicht war in der leichten Dunkelheit erkennbar.

„Wie? Warum?"

Gwen gab ihm eine Antwort in Form einen Nickens, ein Zeichen, dass sie ihm alles erklären würde – und sie hatte keine andere Wahl, als seine Augen ihre durchbohrten; der Mann war verzweifelt nach Antworten, und er würde sie auch bekommen.
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[A/N: Sry dass ich erst jetzt update, war den ganzen Tag unterwegs :'D . Habe das gerade mit den Gewittern und Regenfälle gehört :O Hoffe ihr seid alle okay. Ich selbst bin gerade in Belgien, habe jedoch nicht viel vom Unwetter mit bekommen :'D]


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