The Games We Play (BoyxBoy)

By SunshinePulse

175K 8.8K 16.5K

Ace hat die Nase voll von seinem Leben. In der Schule steht er an erster Stelle auf der Abschussliste der Mob... More

Vorwort & Aesthetics
Grayton Beach, Florida
Wie ich meine Ferien verbracht habe
Schulbeginn
Willkommen zurück
Körperliche Ertüchtigung
Sommerspaß mit Freunden
//Mortal Realms
//Fremdenführer
//Gal'grim
Gay Bois hmu
//Zuflucht
//hetero
Jose
//Geringe Hoffnungen
Echte Freunde
//Tyrann
Ermüdend
Nachtwandler
//Player versus Player
Mitgefühl
Ace macht Selfies
Zwergenaufstand
Missoula
Häschen
Morgen danach
Ethan ist nicht glücklich
Win some, lose some
Funkstille
Gefühlsgelaber (1)
Ace, der Forscher (1)
Ace, der Forscher (2)
Ace erweitert seinen Horizont (1)
Ace erweitert seinen Horizont (2)
Schulausflüge
//Ace, Herr des Chaos
Ace wird bissig (1)
Ace wird bissig (2)
Gehirntumor
Planänderungen (1)
Planänderungen (2)
Ace und die Kunst der Erpressung
Ace ist ein mieser Geheimniswahrer (1)
Ace ist ein mieser Geheimniswahrer (2)
//Wetten
Arschlochfreunde (1)
Arschlochfreunde (2)
Ace wünscht Gesellschaft (1)
Nero wählt das geringere Übel (2)
Nero wählt das geringere Übel (3)
Ace ist grundsätzlich überfordert (1)
Ace ist grundsätzlich überfordert (2)
Enthüllungen (1)
Enthüllungen (2)
Schadensbegrenzung (1)
Schadensbegrenzung (2)
Schlussstrich (1)
Schlussstrich (2)
Schlussstrich (3)
Oben in den Boonies (1)
Oben in den Boonies (2)
Oben in den Boonies (3)
Oben in den Boonies (4)
Oben in den Boonies (5)
Wie macht man dieses Flirten? (1)
Wie macht man dieses Flirten? (2)
Wie macht man dieses Flirten? (3)
Wie macht man dieses Flirten? (4)
Wie macht man dieses Flirten? (5)
Wie macht man dieses Flirten? (6)
Wie macht man dieses Flirten? (7)
Wie macht man dieses Flirten? (8)
Wie macht man dieses Flirten? (9)
Wie macht man dieses Flirten? (10)
Kein Kapitel, shame on me
Nehmt keine Drogen, Kinder (1)
Nehmt keine Drogen, Kinder (2)
Nehmt keine Drogen, Kinder (3)
Nehmt keine Drogen, Kinder (4)
Halloween (1)
Halloween (2)
Halloween (3)
Halloween (4)
Willkommen zurück
Willkommen zurück (2)
Willkommen zurück (3)
Willkommen zurück (4)
Willkommen zurück (5)
-Info für Leser-
april april
Aufrüsten
Sweet 18

Gefühlsgelaber (2)

1.2K 97 131
By SunshinePulse


Zwei Stunden später kehrte er in den Voice zurück, und diesmal sah er Icys Namen zwischen den anderen blinken. Nero gesellte sich hinzu, wappnete sich innerlich gegen Duffys Gequietsche und wagte aufzuatmen, nachdem der ihn in schriller Euphorie begrüßt hatte.

„Du warst mit den Nagas Mavorics laufen, oder? Warum hast du mich nicht mitgenommen?", quengelte der Junge, und Nero runzelte die Stirn.

„Woher weißt du kleiner Stalker das schon wieder? Ich war nichtmal auf meinem Main unterwegs."

„Tjaha, ich hab eben Connections." Duffy klang mehr als stolz auf die Arbeit, die es ihn gekostet haben musste, McBloodz Namen in der Gilde aufzurufen und eine Nachricht mit der entsprechenden Frage zu tippen.

„Ah ja.", kommentierte Nero nur, ehe sich H0melander einmischte, der sich unter die die Standartbesetzung des Chats geschummelt hatte.

„Du, Para, wenn du jetzt erstmal frei bist, brauch ich dich übrigens im PvP. Nightfoxx kann heute nicht, und ich hab eigentlich keine Lust, mich bei den Crittlern dranzuhängen."

„Fuck, ja!", erklang von Duffy an seiner Stelle. „Ich hab mich übrigens auch ein bisschen beim Schattenläufer reingespielt... Para, vorher 1v1, der Gewinner ist der neue Gildenlead?"

„Ich glaube nicht, dass unser jetziger Gildenlead da mitspielt..." Selbst wenn die Leute gerne vergaßen, dass Andi eigentlich das Sagen hatte. Es war schwer, sich gegen Neros Präsenz zu behaupten, und Andi versuchte es ja noch nichtmal. Er schien ganz zufrieden damit, dieses Tollhaus in seiner Abwesenheit in Neros Händen zu wissen.

„Also hast du Angst?", hörte er Duffy spotten und machte sich ans Einloggen. Leylee winkte ihm im Startbildschirm mit Schattendolchen zu.

„Wenn du so gierig drauf bist, aufs Maul zu bekommen, ist es nicht an mir, dass zu hinterfragen..."

„Sei lieber still, bis du mich kämpfen gesehen hast, Para-Baby.", wurde vergnügt entgegengeschmettert, und Nero, der dazu das heiter-jungenhafte Grinsen vom realen Henry vor Augen hatte, wollte lächeln, bemühte sich für den Effekt aber dennoch um eine ernste Stimme.

„Duffy... Duffy, lass es mich dir so sagen.", begann er gedehnt. „Ich hoffe, dass du auf Füße stehst, weil ich dir gleich so tief in deinen Arsch treten werde, dass du meine Zehen lecken kannst." Es dauerte ein, zwei Sekunden, bis die Geräuschkulisse bei Spidey nahelegte, dass sie ihnen gerade vom Fleck wegstarb, und auch Duffy lachte, während er versuchte, mit eigenen Herausforderungen nachzulegen. Trotzdem hätte Nero das typische Herumgeplänkel mehr genießen können, wenn Icy nicht so konsequent in die Runde schweigen würde.

„Aber was PvP angeht... Spinne, Eisprinzessin, seid ihr zwei auch dabei?"

„Immer gerne!" Nichts in Spideys Stimme deutete darauf hin, dass sie ihn seit kurzem mit neuen Augen sehen könnte. Falls Icys Zurückhaltung ihr aufgefallen war – falls die überhaupt mit Nero zusammenhing und nicht irgendwelchen anderen unerklärlichen Ereignissen – dann hatte er ihr womöglich nichts erzählt. Das würde die Angelegenheit zumindest weniger kompliziert machen ... Nero wartete noch ein, zwei Sekunden, ehe er sich räusperte.

„Icy? Hallo? Soll ich dir eine Extraeinladung schreiben oder-?"

„Was?" Die Stimme klang erschrocken, und die folgenden Worte erhärteten Neros Vermutung, dass den Jungen wirklich irgendwas beschäftigen musste. „Tschuldigung, ich war mit den Gedanken woanders... was wurde gefragt?" Allzu unsicher klang er nicht, aber das musste nichts heißen, nicht Ingame, wo ohnehin nicht am Ton mehr real war.

„Ob du mit ins PvP willst. Schnapp dir deinen Näher und los!", mischte Duffy dazwischen. Wieder folgte kurzes Zögern, bis Icy zustimmte.

„Klar. Gib mir einen Moment, dann bin ich dabei." Zugegeben, Icy klang normal – aber die kindliche Aufregung, die man sonst heraushören konnte, wenn sie ihn mitschleiften, fehlte. Nero, der sich bereits in Leylees Haut aus Schattenfetzen durch die Straßen der Tiefen Stadt bewegte, versuchte es noch einmal. Danach gehörte die Angelegenheit für Erste aus seinem Kopf verbannt, entschied er.

Leylee: alles ok :o

Leylee: ?

Der Ingamechat blieb still – abgesehen von einigen Leuten aus der Crit-Gilde, die seine Anwesenheit begrüßten – während Nero sich im Voice bei Duffy erkundigte, wo der sich nun duellieren wollte. Die Nachricht kam schließlich mit merklicher Verzögerung, wenn er bedachte, wie schnell Icy sonst Rede und Antwort stand.

Pollux: Hast du keinen Kampf, auf den du dich konzentrieren musst? xD

Der Versuch abzulenken war ziemlich offensichtlich... aber besser als nichts.

Leylee: mach ich mit verbundenen augen

Leylee: (wortwörtlich, so spielt man schatten)

Leylee: aber zurück zum thema. was los?

Er nutzte die Pause, um die Einladung anzunehmen, die Duffy geschickt hatte, und seine Umgebung verzerrte sich im wilden Farbstrudel, ehe er sich auf dessen Heimfeste wiederfand. Zwischen wild umherstreunenden Tierbegleitern und sorglos an die Wand geklatschten Trophäen hatte Duffy in der Mitte seine eigene Mini-Arena erbaut.

Pollux: Nichts.

Oh, verdammt nochmal. Als ob er dieses Spiel nicht schon zur Genüge mit Quinn spielen durfte. Als hätte Icy seine Gereiztheit geahnt, trudelte die nächste Nachricht ganz ohne Nachfragen ein.

Pollux: Ich meine, nichts wichtiges. Ich zerdenk Sachen, aber das ist ja nichts Neues x.x Mein Kopf ist eh immer voller dämlicher Gedanken.

H0melander quengelte ihnen im Ohr, dass sie nicht zu lange warten sollten mit ihrem Kampf, damit er die ganze Gruppe in die PvP-Listen einreihen konnte. Nero beeilte sich, in die Optionen zu wechseln und das haptische Feedback auf 70 hochzuschrauben, ehe er sich noch einmal Icy widmete.

Leylee: k

Leylee: cool

Leylee: lass mich an denen teilhaben

Er wurde abgelenkt von Duffy, der mit massiver Schattengestalt in die Arenamitte tänzelte und dort die wabernden Arme anspannte. „Para, ich warte!"

„Warte weiter. Ich brauch noch nen Moment für die wichtigen Leute." So. Ein bisschen zusätzlicher Druck für Icy – wichtige Leute hatten immerhin zu antworten – und ein bisschen herzgebrochenes Jammern von Duffys Seite, und nun konnte er sich endlich auf den Kampf konzentrieren. Nero schaltete den Chat aus, um nicht versehentlich m Duell von Nachrichten erschlagen zu werden, und räusperte sich. „Spidey? Zählst du runter?"

Das Mädchen kam ihrer Rolle als Ansagerin nur zu gerne und mit aller gebührenden Dramatik nach. „Fünf!" Duffy hüpfte auf der Stelle, und die Schatten, die seinen Bewegungen nicht ganz folgen konnten, waberten traurig hinterher. „Vier!" Der Junge stellte sich breitbeinig hin, ließ die überdimensionierten Krähenschnäbel in seinen Händen schwingen und klopfte sie auffordernd aneinander. „Drei!" Das Gesicht des Schattenmannes durchlief eine Reihe von Grimassen, als würde Duffy seine verbleibenden Millisekunden damit zubringen, das richtige Triumpf-Emote aus einer Liste zu wählen. „Zwei! Eins! Go!"

Nero hatte sein Interface mit Fokus auf minimalem Aufwand aufgebaut. Einmal Fuß nach hinten rutschen lassen, und sein Körper wäre nichts mehr als Rauch... aber dazu war es zu früh. Sie konnten nicht beide in Tarnung verschwinden und dann zehn weitere Minuten darauf warten, dass es der andere war, der zuerst die Geduld verlor und erschien. Während Duffy sich in Schwaden auflöste, schätzte Nero die Entfernung und zählte geistig ab, während er die Gift-Buffs an seinen Waffen auflud.

Die Schattenklasse hatte zwei Vorteile – einmal die Tatsache, dass sie ihre Waffen mit stapelbaren Effekten beladen konnte, ohne dabei einen Gegner vor der Nase zu haben. Mit ein bisschen Wartezeit zwischen den Attacken konnte man ein schönes Geflecht sich gegenseitig verstärkender Zauber um die Waffe legen, die bei der richtigen Mischung dafür sorgten, dass ein einzelner Treffer einen Lebensbalken einfach halbierte. Der zweite Vorteil war selbstverständlich die Sache mit den Schatten. Beides war jedoch mit einem großen Nachteil verknüpft, und zwar dem Umstand, dass Schattenläufer praktisch blind waren und sich genauso spielten. Die Spieler waren gezwungen, sich mithilfe einer Schallfähigkeit zu orientieren, die ihnen half, sich über Vibrationen zu verorten. Für Lebewesen, die Vibrationsertastung im Alltag höchstens bei der Handysuche im Rucksack benötigten, bedeutete das große Umstellung. Doch sobald man es einmal gelernt hatte...

Er spürte das Kribbeln an seinem Schulterblatt, noch bevor sich Duffy ganz materialisiert hatte. Nero fuhr herum, sein Dolch zischte durch die Luft, und die Klinge fraß durch Schwaden und glimmendes Fleisch. Ein halber Schritt nach hinten, und bevor Duffy zum Gegenschlag ausholen konnte, war er schon nichts mehr als eine Schattenwolke.

Nero huschte zur Seite, während sein Körper kribbelte und ihm die Konturen seines Gegners verriet. Weiter entfernt am Rande konnte er ihre Zuschauer spüren. Einmal Buff auf Zerfleischen, einmal Fuß ein wenig zurückbewegen, und er wurde in die Welt zurückgesogen. Im nächsten Moment steckten die beiden Krummdolche schon oberhalb Duffys Schulterblätter.

„Ah- au, fuck, stop!" Duffys atemlose Stimme unterbrach ihn. „Kannst Ende machen, ich bin ins Menü gewechselt... aber wie zur Hölle geht das? Hast du mich kommen gespürt?"

„Heh. Wortwahl." Nero entspannte sich und verpasste der leeren Hülle seines Gegners einen letzten Tritt, während er sich die Dolche wieder auf den Rücken schnallte. „Ich habs schonmal gesagt, die Klasse ist unglaublich einfach. Du brauchst nur zwei Dinge, hohes haptisches Feedback und nicht treffen lassen." Er holte sich den Chat zurück, und das kurze Triumpfgefühl, was gerade hatte aufkommen wollen, wurde vom Textbatzen fortgeschwemmt. Als ob er das jetzt alles lesen würde! „Nebenbei...", räusperte sich Nero. „Habt ihr was dagegen, wenn ich euch das Küken mal rasch entführe? Listet mich einfach mit, ich spiel ohne Voice." Als keine nennenswerten Einwände folgten, öffnete Nero ihren Gildenserver, schob Icy einen Kanal tiefer und folgte. Er wurde von entsetztem Schweigen empfangen – aber auch das war abzusehen gewesen, irgendwo.

„Aaalso..." Nero holte Luft. „Nochmal. Was beschäftigt dich?" Stille folgte, und als Icy diesmal antwortete, war die letzte Sicherheit, die zuvor in der Stimme gelegen hatte, verschwunden.

„Ich... hatte dir ein oder zwei Worte dazu geschrieben?" Der Junge lachte, als könnte das überdecken, dass er von vorne bis hinten Nervosität ausströmte.

„Ja. War zu faul zum lesen, und glücklicherweise leben wir nicht mehr in einem Zeitalter, wo ich mir fünf Bögen Brief geben muss, statt einfach mit dir zu reden." Er sah aus dem Augenwinkel, wie Duffy sich neben ihm aufrichtete. Die Wundeffekte waren inzwischen wohl nicht mehr zu spüren, oder er hatte die haptische Wahrnehmung wieder ausgeschaltet.

„...Man!" Icy klang ungehalten. Aber das war besser als nervös. Damit konnte er immerhin noch Sätze formen, ohne zu wirken wie ein in die Enge getriebenes Tier. „Ich hab mir die ganze Schreibarbeit doch nicht umsonst gemacht!... Außerdem kann man das nicht einfach erzählen, sonst klingt es dumm." Bei der Logik kam Nero nicht ganz hinterher.

„Aber wenn ich es lese, klingt es nicht dumm, oder wie?"

„Nein!", ertönte grollend, und dann, nach kurzer Pause, ein schwächeres: „Nicht ganz so dumm." Nero grinste unwillkürlich.

„Das ist in Ordnung. Dann gib mir eben die dumme Variante."

„Aber-... Ich will nicht... Argh!" Es war erstaunlich, was für ein lebhaftes Bild von Icys Ausbruch er vor Augen hatte, ohne den Jungen jemals in seinem Leben gesehen zu haben. „Warum bist du so?!", hörte er ihn sich beschweren, und dann, um Ruhe bemüht: „Ich mach mir totale Sorgen, weil ich das gegoogelt habe, was du gestern erzählt hast, und quasi das ganze Internet mir erstmal irgendwelche ‚Wie entfernst du dich gefahrlos von den Soziopathen in deinem Bekanntenkreis'-Artikel ausspuckt, und ich dachte vorher, ich weiß, wer du als Mensch bist, aber jetzt bin ich wieder an einem Punkt, an dem ich keine Ahnung habe, und ich weiß nicht, was du tust, und warum du mit mir redest, und was du dir davon versprichst, und ob ich überreagiere oder nicht-"

„Icy?", unterbrach ihn Nero, während er sich immer noch ein wenig begossen vom Wortschwall fühlte. „...Hol mal Luft." Wieder folgte die Stille, ehe er den Jungen aufgebracht Schnaufen hörte. Neros Mundwinkel zuckten, und er fügte an: „Gut so. Darfst weitermachen."

„Und... und..." Die Worte klangen anfangs knurrig – wobei knurrig in Icys Fall der falsche Ausdruck war. Es hatte mehr etwas von fauchender Babykatze. „...Und ich hab den Faden verloren. Darum solltest du dieses Zeug lesen, statt mich reden zu lassen!" Wieder ein frustrierter Laut, der von kurzem Schweigen gefolgt wurde. Als Icy weiterredete, klang er schon wieder schwächer. „Ich weiß nicht, woran ich bei dir bin. Vielleicht sollte ich nichtmal mit dir reden, denn genau das sagen die ersten zehn Ergebnisse bei Google. Und irgendwie ist es auch ziemlich dumm von mir, ausgerechnet einen Psychopathen zu fragen, ob es okay ist, in der Nähe von Psychopathen zu bleiben, und ich habe keine Ahnung, ob ich gerade einen Fehler begehe oder... keine Ahnung."

„Soziopath.", verbesserte Nero ohne langes Nachdenken und wurde wieder mit Knurren belohnt.

„Ja, was auch immer... wo ist der Unterschied?"

„Soweit ich weiß, ist es die Frage von Genetik oder Sozialisation... und bei Soziopathen hast du immer noch sowas wie Gefühle."

„Ja, das..." Icy stockte. „Okay. Warum eigentlich ‚sowas wie Gefühle?"

Nero war gerade in Versuchung zu fragen, ob Icy eigentlich mehr als nur die Überschriften seiner Google-Artikel gelesen hatte, als der Junge noch hinzufügte: „Ich meine, da stand was von Gefühlskälte, aber ich dachte, das heißt einfach, dass man scheiße zu anderen Leuten sein kann?"

„Ja und nein." Als die Einladung für das PvP-Match aufploppte, war Nero im ersten Impuls versucht abzulehnen. Ein Teil von ihm wollte argumentieren, dass er doch eigentlich seit gestern wissen sollte, dass er solche Gespräche nicht nur mit halber Aufmerksamkeit führen sollte. Letzten Endes überwog der Beschäftigungsdrang. Er nahm an und beobachtete, wie sich der bunte Strudel des Wartebildschirms formte. „Ich gehe davon aus, dass die meisten ... Leute wie ich nicht die angenehmsten Zeitgenossen sind. Aber Gefühlskälte hat nicht nur mit Beziehungen zu tun, sondern meint tatsächlich Gefühle." Er wollte gar nicht wissen, welches abstruse Szenario Icy daraus wieder formen konnte, und versuchte zu erklären. „Stell dir vor, dass das meiste, was du an Emotionen spürst, sehr, sehr leise gestellt ist ... Musik, die aus Lautsprechern nahe bei den Restauranttoiletten kommt, während du ein, zwei Türen weiter auf der Terrasse sitzt. Manchmal bemerkst du sie, und wenn du dich darauf konzentrierst, kannst du sie lauter stellen, aber den Großteil des Tages läufst du einfach im Werkszustand rum." Er grübelte noch auf der Startplattform, ob die Metapher überhaupt hinkam, bis seine Gedanken von Icy unterbrochen wurden. Diesmal klang der Junge leiser.

„Das heißt... du kannst keine Gefühle spüren?" Nero seufzte innerlich.

„Doch." Manchmal, zumindest. „Aber ich spüre sie erst, wenn ich will. Sie treten nur selten auf, und wenn ich sie nicht brauche, dann lasse ich sie gar nicht erst zu... zumindest die meisten. Bei Wut fällt mir die Kontrolle schwer." Er verschwand in den Schatten, als das Tor vor ihnen aufschwang, und tastete sich durch die Dunkelheit, bis die schwingenden Wellen, die seine Umgebung erfassten, fremde Gestalten wahrnahmen.

„Das stelle ich mir irgendwie ziemlich schrecklich vor." Nero ließ sich gerade von der Decke auf sein erstes verblüfftes Opfer stürzen, während er die Stirn runzelte. Hatte Icy nicht zugehört?

„Eher im Gegenteil... es ist wahnsinnig entspannend." Seine Krummdolche fuhren durch Haut und Fleisch. Nero war verschwunden, ehe sein Gegner auch nur ganz ausgeholt hatte, während er noch darauf achtete, seiner Stimme einen warmen Klang zu verpassen, der es Icy erleichterte, sich mit dem Konzept anzufreunden. „Immerhin reden wir von allen Gefühlen. Vor allem die Schlechten. Stell dir vor, du könntest selbst entscheiden, ob du traurig bist... oder dich schämen willst, in Selbstzweifeln versinken willst, Angst spüren willst-"

„Was ist mit positiven Gefühlen?", mischte sich der Junge ein. „Glück, Liebe, Geborgenheit, Freude – sowas?" Nero stellte fest, dass die Tonlage sich wieder geändert hatte. Er klang ehrlich niedergeschlagen. ‚Dieses Zeug beeinträchtigt dich nicht lange genug, dass es störend wirken könnte' kam ihm trotz aller Logik nicht wie eine Antwort vor, die akzeptiert werden würde.

„Wenn du es bemerkst, dann kannst du es lauter stellen.", rettete er sich in eine nichtssagende Aussage und hörte leises Schnauben. Ganz glücklich schien der Junge damit nicht.

„Und wenn du es nicht bemerkst? Läufst du dann den ganzen Tag rum und schwankst zwischen nicht kontrollierbarer Wut und... gar nichts?" Nero spürte sich grinsen, fast gegen seinen Willen.

„Wenn du es unbedingt so ausdrücken willst, klingt es natürlich ein klein wenig negativ-"

„Ja, weil es absolut beschissen sein muss!" Er lachte leise, aber irgendwie war das wohl nicht, was Icy hören wollte. „Ich meine, das ist... ich könnte so nie... ich hätte gar nicht mehr das Gefühl, menschlich zu sein." Icys Ausbruch war genau so schnell verschwunden, wie er aufgekommen war. Die letzten Worte klangen geknickt.

„Keine Panik. Frag Duffy, rein äußerlich bin ich immer noch hundert Prozent Mensch.", flachste er, während er versuchte, sich einen Reim auf die wilden Chatnachrichten seiner Gruppenmitglieder zu machen. Mit ein wenig mehr Ernst in der Stimme fügte Nero hinzu: „Und mir ist klar, dass der Gedanke ungewohnt für dich ist... aber glaub mir, es ist nichts Schlimmes. Eher im Gegenteil. Du würdest nicht glauben, wie unglaublich angenehm es ist, solche Kontrolle über deine Taten und Emotionen zu haben... aber ich definiere Menschlichkeit auch nicht rein über Gefühle." Erst nach einer Weile anhaltenden Gemetzels fiel ihm auf, dass Icys Mundwerk kurzfristig ausgefallen schien, und er wollte sich gerade danach erkundigen, als die leisen Worte erklangen.

„Und für andere Menschen hast du auch keine Gefühle?" Mit der Frage hätte er eigentlich rechnen sollen. Icy betrachtete ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit als... irgendwas in seinem Freundeskreis, und es war nur natürlich, dass er Neros Worte früher oder später auf sich bezog.

„Sagen wir es so..." Nero holte kurz Luft. Warme, freundliche Tonlage, sonst würde der Teil nur noch schwieriger werden. „Andere Menschen sind mir egal – zum Großteil. Aber manche sind es nicht, und um die bemühe ich mich. Entweder, weil sie Nutzen für mich haben, oder weil sie einfach angenehme Personen sind, mit denen man sich gerne umgibt." Wobei es auch genug Fälle gab, in denen Nero beides zu kombinieren musste. Und obwohl er vermieden hatte, die Frage konkret zu beantworten, vermutete er, dass Icy sich den Rest selbst zusammenreimen konnte.

„Hah." Icy wollte wahrscheinlich belustigt klingen, aber man konnte irgendeine Art von Schrecken hören, die immer noch in seiner Stimme nachhallte. „Ähm. Falls die Frage nicht zu nahe geht oder so – welche von beiden Optionen bin ich?"

„Ich will das ja eigentlich ungern in der Art formulieren... aber, Icy, du bist absolut und sowas von fucking nutzlos." Nero sprach trocken, und einen Moment lang war er sich nicht sicher, ob er damit zu weit gegangen war, ehe er das Lachen hörte. Icy klang tatsächlich erleichtert.

„Fick dich.", gluckste es noch, ehe der Junge versuchte, sich zu fangen. „Aber, trotzdem... wie macht man das, Bindungen zu anderen Menschen zu erhalten, wenn man nichts für sie fühlt?"

In den meisten Fällen hält man keine langen Bindungen' wollte Nero sagen und verkniff es sich. Er wollte den erheiterten Icy nicht wieder gegen einen niedergeschlagenen tauschen müssen. „Hm... Wenn du merkst, dass jemand aufrichtig zu dir ist und versucht, sich um dich zu bemühen, und außerdem nach unterhaltsamer Gesellschaft klingt, dann behälst du ihn in deiner Nähe. Mehr oder weniger." Nero glaubte nicht an gute Menschen, aber er glaubte an Menschen, die gut zu ihm waren – und wenn das nicht nur aus Verzweiflung oder selbstsüchtigen Motiven heraus geschah, sondern einfach, weil sie konnten, dann gab er sein Bestes, sie zum Bleiben zu bewegen, indem er ihnen eine angenehme Version von sich zeigte. Aber das war eine recht neue Philosophie, und eine, die er sich hatte erarbeiten müssen – vor zwei Jahren noch hätte er gelacht beim Gedanken an sowas wie aufrichtige Beziehungen zwischen Menschen.

„Aber... das, was sie für dich fühlen, könntest du nicht erwidern. Oder?"

„Nicht in der Art, wie es normale Menschen tun." Nero richtete sich ingame auf, noch über den Überresten seines letzten Gegners thronend, als der Auswertungsbildschirm des Spiels ihre Welt füllte. „Aber das lässt man sie nicht merken. Dieses Zeug mit der Manipulation mache ich ja nicht nur, weil ichs geil finde, andere Menschen zu verarschen... es ist einfach notwendig, damit andere Leute mich verstehen. Ein bisschen Lächeln und Körpersprache faken ist um einiges einfacher, als ihnen einen Aufsatz darüber zu halten, warum ich sie in meiner Nähe dulde." Wobei Icy der Erste war, der vermutlich beides verlangen würde.

„Okay, aber ist das anstrengend für dich, dich so zu verstellen, oder-"

„Icy.", unterbrach ihn Nero, nicht ganz sicher, ob er gerade belustigt oder verzweifelt sein wollte. „Ist das wirklich eine der Fragen, die du noch für deine abschließende Beurteilung brauchst?"

„...Abschließende Beurteilung?" Der Junge schien komplett planlos, als hätte er die letzte halbe Stunde ohne Ziel vor sich hingeplaudert.

„Ja? Du weißt schon, ‚Google hat mir Angst gemacht und jetzt will ich Aufklärung oder weglaufen'?... Ich dachte, darum ging es?" Einen Moment antwortete ihm Schweigen.

„Oh. Ja. Das war... natürlich noch genau das, was mich beschäftigt hat.", tönte schließlich schwach, und Nero ließ den Kopf seiner Spielfigur herabsacken. War das sein Scheißernst?

„Du musst ja wohl irgendein Ziel verfolgt haben, wenn du mir seit einer halben Stunde im Kopf rumstocherst!" Vielleicht auch schon länger. Nero hatte die Match-Zeit nicht ganz im Blick gehabt.

„Ich war neugierig!", hörte er Icy protestieren und schnaubte.

„Schön. Jetzt, wo ich deine Neugierde zur Genüge befriedigt habe-"

„Ich bin immer noch neugierig!"

„So funktioniert das nicht!", meinte Nero, der sich wieder nicht ganz sicher war, ob die Erheiterung oder Frustration überwog. „Es geht nicht, dass ich so gut wie nie was über dich erfahre, aber du mal eben meinen Geist sezieren darfst!" Vor allem, weil es für gewöhnlich Nero war, der sich Dinge erzählen ließ. Es war ein ungewohntes Gefühl, dieselbe Aufmerksamkeit auf seine eigene Person gerichtet zu sehen.

Icy versank in Schweigen, bis er sich zu einem Friedensangebot herabzulassen schien. „Okay. Du hast eine Frage." Du kleiner Scheißer-

„Das war aber gerade weit mehr als eine Frage."

„Selbst schuld, du hättest doch stop sagen können." Es war, als könnte er das Lächeln unter dem unbedarften Tonfall heraushören. Nero war hin- und hergerissen. Einerseits hielt er es für gut, dass Icy sich traute, aus seiner Schale herauszukriechen... andererseits hätte er es bevorzugt, nicht höchstpersönlich als Testobjekt für die neu gefundene Dreistheit des Jungen herhalten zu müssen.

„Sei vorsichtig, sonst kriegst du das irgendwann zurück.", meinte er nur – darauf achtend, dass Icy es als Scherz verstehen konnte – und überlegte kurz. „Eine Frage, ja?"

„Jap." Und er klang auch noch stolz auf sich. Eigentlich hätte Nero es genossen, Icy bei diesen Gehversuchen in Selbstbehauptung zu beobachten, aber der Gedanke blieb, dass er das gefälligst an jemand anderem ausprobieren sollte.

„Okay, eine Frage..." Nero verstummte einen Moment, größtenteils um der Dramatik willen. „Wie sieht dein Gesicht aus, Icy?" Ganz konnte er die gehässige Note im Tonfall nicht zurückhalten, und wie erwartet blieb die freche Antwort diesmal aus. Ein wenig erheitert erkundigte er sich erneut: „Icy?"

„...Eine andere Frage?"

Nero lachte. „Angsthase..." Er hörte ein Pinggeräusch und wechselte zum Gildenserver, wo Duffy ihn angestupst hatte mit der Frage, wann sie da oben endlich fertig wären. Jetzt, wo die Gefahr gebannt schien, dass Icy schlaflose Nächte über irgendwelchen Pseudo-wissenschaftlichen Blogposts aussaß, sprach eigentlich auch nichts mehr gegen eine Rückkehr. „Ich heb sie mir auf. Man verlangt schon wieder nach unserer Anwesenheit."

Icys Schweigen war diesmal vermutlich ein Ausdruck von Erleichterung. 

Continue Reading

You'll Also Like

16.5K 521 13
Nachdem ihre Eltern und ihre Schwester bei einem schwerem Autounfall ums Leben gekommen sind, ist Zoey Cooper gezwungen, in ihre Heimatstadt zurückzu...
67.2K 1.5K 38
,,Wo willst du hin, mi Amor?", ich erstarre, nicht fähig mich zu bewegen. Doch ich sammle meinen ganzen Mut ,,Na ganz weit weg von euch. Es ist doch...
132K 5.4K 56
Vlorë, Albania DARK ROMANCE | ABGESCHLOSSEN Er, der König der Unterwelt, der nicht nur in der Dunkelheit lebt, sondern sie leitet. Sie, die Prinzes...
63.1K 3.6K 35
"Lindy..." Seine Stimme ist rau und weht wie ein Sandsturm über meine Lippen. "Wenn du mich noch einmal so ansiehst, besteht die Gefahr, dass ich ver...