The Games We Play (BoyxBoy)

Por SunshinePulse

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Ace hat die Nase voll von seinem Leben. In der Schule steht er an erster Stelle auf der Abschussliste der Mob... Más

Vorwort & Aesthetics
Grayton Beach, Florida
Wie ich meine Ferien verbracht habe
Schulbeginn
Willkommen zurück
Körperliche Ertüchtigung
Sommerspaß mit Freunden
//Mortal Realms
//Fremdenführer
//Gal'grim
Gay Bois hmu
//Zuflucht
//hetero
Jose
//Geringe Hoffnungen
Echte Freunde
//Tyrann
Ermüdend
Nachtwandler
//Player versus Player
Mitgefühl
Ace macht Selfies
Zwergenaufstand
Missoula
Morgen danach
Ethan ist nicht glücklich
Win some, lose some
Funkstille
Gefühlsgelaber (1)
Gefühlsgelaber (2)
Ace, der Forscher (1)
Ace, der Forscher (2)
Ace erweitert seinen Horizont (1)
Ace erweitert seinen Horizont (2)
Schulausflüge
//Ace, Herr des Chaos
Ace wird bissig (1)
Ace wird bissig (2)
Gehirntumor
Planänderungen (1)
Planänderungen (2)
Ace und die Kunst der Erpressung
Ace ist ein mieser Geheimniswahrer (1)
Ace ist ein mieser Geheimniswahrer (2)
//Wetten
Arschlochfreunde (1)
Arschlochfreunde (2)
Ace wünscht Gesellschaft (1)
Nero wählt das geringere Übel (2)
Nero wählt das geringere Übel (3)
Ace ist grundsätzlich überfordert (1)
Ace ist grundsätzlich überfordert (2)
Enthüllungen (1)
Enthüllungen (2)
Schadensbegrenzung (1)
Schadensbegrenzung (2)
Schlussstrich (1)
Schlussstrich (2)
Schlussstrich (3)
Oben in den Boonies (1)
Oben in den Boonies (2)
Oben in den Boonies (3)
Oben in den Boonies (4)
Oben in den Boonies (5)
Wie macht man dieses Flirten? (1)
Wie macht man dieses Flirten? (2)
Wie macht man dieses Flirten? (3)
Wie macht man dieses Flirten? (4)
Wie macht man dieses Flirten? (5)
Wie macht man dieses Flirten? (6)
Wie macht man dieses Flirten? (7)
Wie macht man dieses Flirten? (8)
Wie macht man dieses Flirten? (9)
Wie macht man dieses Flirten? (10)
Kein Kapitel, shame on me
Nehmt keine Drogen, Kinder (1)
Nehmt keine Drogen, Kinder (2)
Nehmt keine Drogen, Kinder (3)
Nehmt keine Drogen, Kinder (4)
Halloween (1)
Halloween (2)
Halloween (3)
Halloween (4)
Willkommen zurück
Willkommen zurück (2)
Willkommen zurück (3)
Willkommen zurück (4)
Willkommen zurück (5)
-Info für Leser-
april april
Aufrüsten

Häschen

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Por SunshinePulse

Ace hatte einen frustrierenden Mittwoch hinter sich. In der Schule hatte man ihn in Ruhe gelassen, aber das lag weniger an Ethans spontan erwachter Herzensgüte und mehr daran, dass er den ganzen Tag über gestresst und unnatürlich wachsam durch die Gänge gehuscht war, bereit, beim ersten Anzeichen von potentiell gefährlichen Mitschülern in die andere Richtung davonzulaufen. Er war einer der letzten, der sich in Klassenräumen einfand, der erste, der sie verließ, und seine Pausen wurden mit angezogenen Beinen hinter dem Bauvorhang ausgesessen.

Er hatte die Zeit wieder mit Zeichnen verbracht, und diesmal war das Motiv ein breitschultriger, martialisch angehauchter Engel, der einen kleinen, schmaleren Jungen in den Armen hielt, die Finger in seinem Haar vergraben hatte und die Wange gegen seinen Kopf schmiegte. Selbstverständlich war das ein rein zufälliges Bild, und sämtliche Gemeinsamkeiten mit real existierenden Personen waren nicht vorgesehen... zumindest versuchte Ace, sich das einzureden, die ersten zehn Minuten lang. Seine Wangen waren brennend rot, obwohl das Motiv noch vergleichsweise unschuldig war, und als die Klingel das Ende der Pause ankündigte, steckte er das Blatt in die Mitte des Blocks, wo es keiner ohne Weiteres aufdecken würde.

Jose war tatsächlich den Tag über fortgeblieben, und in den Kursen, die sie normalerweise gemeinsam hatten, sandte Ace ihm die Arbeitsblätter, sobald er einmal im Bus nach Hause saß. Den Rest des Nachmittags verbrachte er mit zocken, und sie versuchten sich an einem der Unterbosse in Marovics Palast, aber ohne Para, Andi und andere fähige Gildenmitglieder mussten sie ihre Reihen mit fremden Spielern auffüllen und waren nach kurzer Zeit am Verzweifeln. Dodge schien abwechselnd wutentbrannt und deprimiert, schimpfte über die eigenen Spieler, die fremden Spieler und den Boss, und als Duffy es wagte anzumerken, dass er selbst auch nicht besonders gut getankt hatte, verstummte der Junge und erklärte den Raid nach weiteren zehn Minuten eisernen Schweigens für überflüssig. Ace hatte das Ganze mit zunehmendem Entsetzen beobachtet. Er war jedes Mal zusammengesunken, wenn ein Wort über die ‚Scheißheiler' fiel, und fühlte sich vor den Kopf gestoßen, als Dodge den Voicekanal verließ. Ihm fehlte bei aller Harmoniesucht die Fähigkeit, mit sowas umzugehen, und Duffy machte es selbst nicht besser mit seiner Erklärung.

„Der spielt halt auch nur im Team wirklich gut... warte, bis er wieder mit Para und Andi unterwegs ist, dann dürfen wir uns anhören, was für ein geiler Tank er doch ist.", schimpfte der Junge leise, ehe er meinte: „Macht nichts, ich geh mit ner anderen Gilde die Herzkammer laufen. Willste mit, Icy?"

Ace seufzte. „Ich glaube, nach dem Erlebnis brauche ich eine Pause."

„Kann ich verstehen. Was solls... wir sehen uns heute abend, oder so. Hoffentlich ist dann das Spinnchen schon wieder da, damit Dodge aufhört zu schmollen."

Tat er nicht, wie sie feststellen durften. Spidey erklärte ihnen seufzend, dass Dodge sich für seinen Ausbruch schämte und deshalb im Moment ungern zurückkommen wollte, was Aces schlechten Eindruck zumindest ein wenig aufweichte. Bislang dachte er, dass es Dodge scheißegal war, dass seine Worte weh getan hatten – Ace ließ sich nicht gerne als dummer Nichtskönner und lernresistent beschreiben, das hatte er in der Schule schon zur Genüge – aber vielleicht hatte der Junge es ja gar nicht wirklich so gemeint. Möglicherweise hatte er nur im Zorn geredet, ohne irgendwen verletzen zu wollen, und vielleicht lernte Ace ja auch tatsächlich langsam. Er beschloss, das Urteil aufzuschieben, bis er wusste, was los war.

Dennoch ließ es sich nicht leugnen, dass die Atmosphäre eine andere war, wenn sie derart auf sich gestellt waren. Para-Runs waren anders. An Para schien alles abzuprallen. Selbst wenn er irgendwo scheiterte, federte er das mit Lachen ab und konnte auch alle anderen ermutigen, einen neuen Versuch zu starten, und Ace hatte bislang nicht erlebt, dass er seine eigenen Patzer auf irgendwen schob außer sich. In seiner Gegenwart war ein Fehltritt kein Problem, und sie konzentrierten sich einfach darauf, Spaß zu haben ... doch wenn sie einmal allein gelassen wurden mit ihren Unzulänglichkeiten und Selbstzweifeln, war es plötzlich nicht mehr nur ein Spiel. Plötzlich fühlte man sich beobachtet und beurteilt, und sobald ein einzelner von ihnen begann zu stressen, setzte sich auch der Rest mehr oder weniger bewusst unter Druck.

Die fehlende Entspannung zog sich durch Aces Rest der Woche. Seine Flucht- und Überlebensstrategien mochten zwar funktionieren, aber sie zerrten an seinen Nerven, und Ace hatte zu wenig Ausgleich, um sich nicht zermürben zu lassen. Es fiel ihm schwerer als sonst, sich aufs Zeichnen zu konzentrieren, und am Samstagabend fühlte er sich wie gerädert. Er konnte sich noch nicht einmal zur Ablenkung einloggen, weil sein Kopf schmerzte und die virtuelle Realität das erfahrungsgemäß nicht besser machte.

Dennoch wagte Ace aufzuatmen, als er zurück im Voice war und Spideys Stimme hatte, die ihn durch Physik- und Geografiehausaufgaben leitete. Ihr Geplauder nahm ihm die Anspannung, und als er die erste Arbeitsdatei endlich schließen konnte, war sie schon dabei, ihm französische Schimpfworte beizubringen. Dennoch zählte Ace in seinem Kopf die verstreichenden Sekunden und warf immer wieder einen vorsichtigen Blick auf die Voice-Kanäle, um sicherzugehen, dass Para nicht schon zurück war und vielleicht privat mit anderen Gildenmitgliedern sprach. Sein Herz machte jedes Mal einen nervösen Hüpfer, wenn sich jemand in ihren Kanal gesellte, und er spürte jedes Mal schwache Enttäuschung, sobald es dann doch ein fremder Name aus der Gilde oder ihrer Verbündeten war, der nur Hallo sagen wollte. Zusätzlich nagten die Zweifel an ihm. Der Samstag in einer Woche wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf, und Ace, der stündlich zwischen Sorge und freudiger Erwartung schwanken konnte, wollte sich endlich sein Unbehagen nehmen lassen.

Etwa eine Stunde später erklärte ihm der Chat, dass sich jemand dazugesellt hatte. Spidey war schneller als er, und bevor Ace die Liste auch nur aufgerufen hatte, quietschte es: „Para!" Der Junge ächzte.

„Nicht so schrill. Bitte. Ich durfte mir den ganzen verdammten Nachmittag von einer Klasse Grundschulkinder die Ohren taubschreien lassen."

„Selbst Schuld, wenn du uns alleine lässt!", beschwerte sich Ace, dessen Herz viel zu schnell schlug. Er versuchte sich mit Gewalt zu beruhigen. Ja, sie hatten sich eine Woche nicht richtig gesprochen, aber das war kein Grund für so einen Aufstand! „Das war wahrscheinlich Karma."

„Ich geb dir gleich mal Karma... Spidey, was ist los? Ich darf mich schon von Duffy vollheulen lassen, dass Dodge gemein zu den anderen Kleinen ist?"

„Jaaa..." Sie seufzte tief. „Das übliche. Du kennst ihn ja. Aber er hat sich schon wieder gefangen und versprochen, dass er sich das nächste Mal zusammenreißt."

„Und wir wissen beide, wie lange das halten wird." Para schnaubte leise. „Egal. Ich red morgen mal mit ihm ... wie geht's euch beiden sonst so?"

„Tja ... Ich bin schockiert.", sagte Spidey mit einem Hauch Theatralik, ehe Ace auch nur die Möglichkeit hatte, den Mund zu öffnen. „Warum muss ich erst von Icy erfahren, dass du vorhast, das Küken nach Mississippi zu entführen?"

„Missoula.", korrigierte Ace vorsichtig von der Seite, und Para seufzte. „Icy, du bist so eine kleine Petze... Wie soll ich jetzt noch in Ruhe deine Organe verkaufen?"

„Gar nicht. Denen geht's sehr gut dort, wo sie sind."

„Immer verbietest du alles, was Spaß macht!" Para sprach in enttäuschter Empörung, und Ace spürte sich widerwillig grinsen, ehe der Junge auch schon wieder ruhiger meinte. „Ja ... keine Ahnung. Ich dachte mir, es kann nicht schaden, wenn das Kellerküken auch mal an die frische Luft kommt."

Ace, der einen Moment gebraucht hatte, das Wort zu entschlüsseln, meinte nach der nötigen Denkpause aufgebracht: „Ich sitze überhaupt nicht den ganzen Tag im Keller!... Mein Zockerzimmer ist im ersten Obergeschoss." Spidey kicherte leise, und auch Para schien amüsiert.

„Ah. Das machts natürlich besser." Bockig verschränkte Ace die Arme. Und wie es das besser machte! „Aber ... darf ich deinen Mangel an Nein eigentlich als eine Zusage interpretieren, Erstes-Obergeschoss-Küken?" Er schluckte und spürte sich dennoch nervös lächeln. Als ob Ace diese Einladung ausschlagen könnte! ... Das hieß, natürlich hatte er darüber nachgedacht, ungefähr jeden Abend, immer wenn seine Gedanken einen wilden Strudel bildeten und ihn hinabzuzerren drohten in eine Welt, wo alles an ihm verkehrt war und er sein Gesicht am besten niemals wieder der Öffentlichkeit zeigen sollte, aber jetzt gerade war diese Zeit noch nicht gekommen. Jetzt war es tagsüber – den dunklen Nachthimmel mal außen vor gelassen - und er war unter Freunden, und beides gab ihm genug Sicherheit, um seine Antwort zu formulieren.

„... Ich denke schon?... Und warte, über den Spitznamen müssen wir nochmal reden." Jede Abwandlung von Küken war ja noch einmal schlimmer als Icy. Spideys Kichern wollte immer noch nicht ganz abklingen, während Para gutgelaunt und in gedehnter Tonlage meinte: „Großartig... Hast du eigentlich noch Fragen oder haben die sich seit Dienstag auch erledigt?"

„Äh..." Ja, einige tausend? Ace räusperte sich. „Naja. Wie viel Geld brauche ich?"

„Keine Ahnung. Nimm 20 Dollar oder mehr mit, je nachdem, wie viel du vorhast zu trinken." Mit gehobenen Brauen schob Ace den Stuhl vom Schreibtisch zurück, ließ ihn über den Parkettboden in Richtung seines Bettes rollen und versuchte, sich mit minimalem Bewegungsaufwand darauf fallen zu lassen.

Das Alkoholhaltigste, was Ace jemals getrunken hatte, war ein Glas Sekt zu Elterngeburtstagen oder die Dose Bier, die ihm John vor einem Jahr beim Zelten in die Hand gedrückt hatte... und die hatte er nach zwei Schlucken wieder artig dankend zurückgegeben. Er verstand nicht, was andere Menschen an diesem Geschmack finden mochten. Während er auf die Matratze plumpste und begann, sich eine Lehne aus Kissen zu erbauen, erkundigte er sich: „Und wenn ich gar nichts trinke?"

„Dann werden wir trotzdem alle fünf Minuten ein Glas zu dir rüberschieben und dich erwartungsvoll angucken, und ich halte dich jetzt nicht unbedingt für einen Menschen, der sehr durchsetzungsfähig gegenüber Gruppenzwang ist."

„Para!", beschwerte sich Spidey, bevor Ace es selbst tun konnte. „Hab ein bisschen Verantwortungsbewusstsein! Du kannst Icy nicht einfach abfüllen!"

„Sagt doch auch keiner ... Ich wollte nur erwähnen, dass die Möglichkeit besteht, dass er sich selbst abfüllt. Entweder das oder Icy lernt sehr schnell, nein zu sagen."

„Ich kann hervorragend nein sagen.", verteidigte Ace seine Prinzipientreue und erntete Lachen.

„Wirklich?... Ich brauche im Schnitt drei Minuten, um dich unter der Woche zu mehrstünden Raids mitten in der Nacht zu überreden. Erzähl mir doch nichts."

Dagegen konnte er schlecht argumentieren. Zur Abwechslung versuchte es Ace mit der moralischen Schiene. „Du könntest ja auch einfach versuchen, mir keinen Alkohol anzudrehen." Er legte sein Handy vor sich. Jetzt, wo das Bedürfnis schwand, alle fünf Minuten die Sprachkanäle durchzustalken, traute Ace sich auch wieder mit anderen Dingen zu befassen, und er rief die Zeichnung auf, an der er sich für seine eigenen Gesichtsskizzen orientieren wollte.

„Schaffst du es denn, ohne Alkohol entspannt zu sein?"

„Natürlich!" Ace schnaubte leise. Er war doch nicht wie diese Leute aus seiner Schule, die sich erst besaufen mussten, um überhaupt Spaß zu haben!

„Also ... willst du mir erzählen, dass du nicht den ganzen Abend bei uns in der Ecke hocken und mit großen, verschreckten Augen auf tanzende Leute starren wirst?" Aces Finger, die gerade noch durch seine Stiftmappe gewühlt hatten, verharrten. Moment, was, tanzen? Ace konnte sich in seinem Bett zusammenschrinken fühlen. Er konnte nicht tanzen. Er wollte auch nicht tanzen, das war ja schon hinter seinen geschlossenen Augen eine Horrorvorstellung. Das würde doch auch keiner von ihm erwarten, oder?

„Ähm.", meinte er sehr beredet.

„Dachte ich mir.", hörte er, was das Gefühl der Hilflosigkeit in seiner Magengrube nicht unbedingt einschränkte. Der Bleistift in seiner Hand fühlte sich schwer an.

„Hör auf, mir Angst zu machen! Niemand hat von Tanzen geredet", meinte er beinahe jammernd und klopfte mit der Stiftspitze den Kissenbezug entlang, während seine Gedanken sich wieder selbstständig zu machen drohten. „Sonst überlege ichs mir doch noch anders und habe plötzlich ganz, ganz wichtige Termine am Samstag."

„Ja ... Nein. Du wirst da sein."

„Du kannst mich nicht zwingen.", brummte Ace. Er war sich nicht sicher, ob Paras forsche Art ihn verärgerte oder er sich nicht lieber freuen sollte, dass jemand seine Anwesenheit wünschte, statt sie nur zu dulden.

„Theorethisch kann ich das nicht..." Para hielt einen Moment inne. „Aber andererseits hab ich für dich schon Eintritt und Getränkepauschale mitbezahlt, weil die Reservierungsliste begrenzt ist, und ich wäre ein unglücklicher Para, wenn ich dieses Geld verschwendet hätte." Erschrocken richtete Ace sich auf. Als so fest eingeplant hatte er sich eigentlich gar nicht betrachtet.

„Ich kann dir das zurückgeben. Du schickst mir einfach dein Paypal oder so und-"

„Werde ich nicht. Wenn überhaupt, gibst du mir das Geld in Missoula... und wenn du dort nicht auftauchst, werde ich rumsitzen und traurig sein." Das Grinsen, dass in Paras Stimme schwang, sprach vom Gegenteil. Unruhig stupste Ace mit seiner Zunge an der Innenseite seiner Wange entlang und knurrte schließlich.

„Das ist Erpressung."

„Stimmt." Para klang auch noch, als würde er sich darüber amüsieren.

„Und bis eben hattest du nie etwas von Reservierungen erwähnt!" Ace richtete sein Blick aufs Handy, wo eine Nachricht von Spidey eintrudelte.

theSpidergirl: Jammer nicht so viel! Geh hin! Und dann erzähl mir alles, ich muss das wissen D:

„Ich hatte auch nicht vor, das zu erwähnen, aber du zwingst mich ja, dich ein bisschen zu schubsen. Das Geld ist mir sowas von scheißegal. Aber wenn ich es benutzen kann, um dich aus deinem Zimmer rauszubewegen..." Und wieder das Grinsen, was in der Stimme mitklang. Ace war hin- und hergerissen zwischen Erheiterung und der stillen Frage, wie er Para eigentlich aushielt.

StrangeGuy12: Aber ich hab Angst q.q Ist das normal, Angst vor sowas zu haben?

„Du bist ein fieser Dreckskerl.", beschwerte Ace sich schließlich.

„Kann ich nicht widersprechen. Aber ist das ein Zusage?"

„Ja.", knurrte er ergeben und schrieb:

StrangeGuy12: Manchmal fordert er es echt heraus >.<

Nach einer Sekunde des Überlegens fügte er hinzu: „Sollte ich irgendwas anziehen?"

„Ne Hose wär schonmal nicht verkehrt." Spidey klang einen Moment, als würde sie ein bisschen an einem Getränk ersticken, und in Einklang mit ihrem Husten und Kichern schimpfte Ace ungeachtet der feinen Röte auf seinen Wangen: „Was du nicht sagst... ich hatte nicht vor, nackt zu gehen."

„Wenn du das sagst... Ansonsten Oberteil, Schuhe, wenn du es ganz ausgefallen machen willst, auch noch Unterwäsche-"

„Du bist nicht hilfreich!" Ace musste die Stimme heben, um sich Gehör zu verschaffen zwischen Spideys einzelnen Hustern. „Sollte ich nicht irgendwas tragen, was ... ich weiß nicht, bei dir und deinen Freunden nicht auffällt?"

„Ist doch egal. Zieh was an, womit du dich wohl fühlst."

theSpidergirl: Ich bin auch immer aufgeregt, wenn ich mich mit Freunden treffen will. Aber kein Grund zur Panik. Para frisst dich schon nicht, weil er es sonst mit mir zu tun bekommt ᕦ(ò_ó )ᕤ

StrangeGuy12: Sehr beruhigend xD

theSpidergirl: Aber was fordert er heraus? :o :o

StrangeGuy12: Mich! Irgendwas... böses zu tun! Ihm fiese Spitznamen zu geben!

Ace war noch am Tippen, als Para sich räusperte. „Okay, ich bekomme hier gerade vage Drohungen von Spidey zugesendet... soll ich euch zwei einen Moment allein lassen oder so?"

„Ich will nur sichergehen, dass Icy auch wohlbehalten zurückkehrt.", mischte Spidey sich nun wieder zuckersüß ein, und Ace wollte bis zu beiden Ohren grinsen. Sah sein Kopf immer noch eine Million Fallstricke und mögliche Komplikationen? Ja. Freute er sich dennoch darauf, das verwirrende Herzklopfen einmal beiseite? Aber absolut.

Ace wusste nicht, womit er es verdient hatte, aber irgendjemand im Himmel musste es wirklich, wirklich gut mit ihm meinen. Ethan hatte sich irgendwann am Dienstag im Training den Knöchel verstaucht, und seit er mit grimmiger Miene und aufgezwungener Sportbefreiung durch die Schule humpelte, wurde Aces Urteil Tag für Tag aufgeschoben. Devon und Nero hielten sich gleichermaßen zurück, und was auch immer ihre Zeit so beanspruchen musste, Ace hoffte, dass es noch eine Weile anhielt. Wenn das so weiterging, durfte seinetwegen alle zwei Wochen ein superwichtiges Spiel anstehen, bis zum Ende des Schuljahres, und er würde sich nicht einmal mehr beklagen, wenn die Sonderbehandlung der Sportler in der Schülerschaft ihre Gottkomplexe weiter stärkte.

Sicher, er erntete Lachen, oder Blicke, oder dumme Kommentare, oder jemand schmierte ihm ein ‚Loser' auf den Tisch, aber das waren Dinge, die er in den Griff bekommen konnte. Im absoluten Ernstfall sprach er ein paar niedergeschlagene Worte zu Spidey, und sie erschlug ihn in Bildern von Babykatzen, bis er es schaffte, über die Einfallslosigkeit seiner Klassenkameraden zu lächeln.

So durchlebte er die Woche mit steigender Nervosität, überzeugt, dass seine Glückssträhne irgendwann abreißen mochte und die Welt über ihm einstürzen würde und ihm all die Dinge reinwürgte, denen er es bislang wie durch ein Wunder geschafft hatte zu entgehen. Dafür, dass er Freitag noch im Voice gesessen und großspurig gegenüber Spidey behauptet hatte, diese Sache mit dem Treffen würde ihm überhaupt kein Kopfzerbrechen bereiten, saß er einen knappen Tag später mit angezogenen Beinen auf dem Bett und kaute sich die Nägel kaputt.

Es war inzwischen fünfzehn Uhr, und Paras Zeitvorgabe lautete ‚irgendwann so 18 bis 20, sag einfach zehn Minuten früher Bescheid, damit wir zum Bus kommen können', was dafür sorgte, dass Aces Kopf drehte. Einerseits war er der festen Überzeugung, dass auf der Hinfahrt irgendwas schiefgehen würde, und wenn er nicht innerhalb der nächsten zwei Minuten fertig war, dann würde er es heute gar nicht mehr nach Missoula schaffen. Gleichzeitig spürte er beinahe lähmende Angst vor dem Gedanken, den Nachmittag tatsächlich mit Para und seinen Freunden zu verbringen... selbst wenn das albern war. Sogar sein Kopf wusste, dass es keinen Grund dazu gab, und nur sein Bauchgefühl machte ihm zu schaffen, bettelte ihn an zu bleiben und gab ihm das Gefühl, dass ein Strick um seinen Hals lag, der sich bei jedem Schritt und jedem falschen Wort zusammenziehen könnte. Ja, das war ganz nett, du hast es eine Weile geschafft, sie zu überzeugen, dass du ein normaler, mögenswerter Junge bist. Willst du das wirklich aufs Spiel setzen? Eigentlich hat Nero doch Recht. Sie haben alle Recht. Mit dir stimmt irgendwas nicht, was du nicht benennen kannst, und darum kann dich keiner leiden. Sei froh, dass du überhaupt bis zu dem Punkt gekommen bist, wo sie so tun, als würden sie dich akzeptieren. Vermutlich hätte er tatsächlich einen Rückzieher gemacht, würde da nicht die Sache mit der Reservierung in seinem Kopf herumspuken. So, wie er Paras Sturkopf einschätzte, würde der sich wirklich weigern, sich das Geld online zurückzahlen zu lassen, und fast genauso entsetzlich wie seine eigene Existenz fand Ace den Gedanken, anderen finanziell zur Last zu fallen.

Er saß vor seinem Bett, hatte auf dessen Kante Klamotten ausgelegt und stützte jetzt seinen Kopf auf die Knie, gefangen in milder Verzweiflung. Was zogen Leute an, wenn sie feiern gingen? Ob es vielleicht doch schlimm war, wenn er zu unauffällig wirkte? Zu auffällig? Oder wenn ihm jeder ansehen konnte, dass er nur ein dürrer kleiner Junge mit einer ganzen Bandbreite von Unsicherheiten und Problemen war? Oder-

Ace schreckte auf, als die Tür sich öffnete, und starrte zu seiner Mutter, die mit gehobenen Brauen den Sachenberg musterte. „Was treibst du denn da? Inventur?"

Er verzog die Mundwinkel und schnaubte leise, ehe er versuchte, sich aufzurappeln und nicht mehr zu gucken, als würde er die Last der Welt auf den Schultern tragen. „Ich hab nichts zum Anziehen." Carla lachte, ehe sie ins Zimmer schlenderte.

„Sag nicht, du willst heute Abend weg."

„Vielleicht?" Ace biss sich auf die Lippe, unsicher, während seine Mutter geradezu strahlte bei den Gedanken. Sie schien um einiges enthusiastischer als er selbst. War das normal? In den klischeehaften High-School-Filmen, die er selbstverständlich nur ironisch guckte, fanden es die Eltern immer ganz schlimm, wenn ihre Kinder in das Alter kamen, in dem sie nachts weg waren.

„Ach, das freut mich aber... Brauchst du noch Geld und so? Soll ich dich vielleicht fahren?"

„Ich komm da schon allein hin!", protestierte Ace hastig und errötete bei dem Gedanken, er würde sich von seiner Mutter in Missoula absetzen lassen. Para hielt ihn doch ohnehin schon nicht für cool, und noch schlimmer wollte Ace es auf keinen Fall machen. Als würde seine Mutter seine Gedanken ahnen, kicherte sie leise. Er legte den Kopf zurück, biss sich sachte auf die Zunge und überlegte einen Moment, ehe er anfügte: „Aber du könntest mich zur Bushaltestelle fahren. Das wäre nett."

„Mach ich doch gerne... und ich glaube, so wichtig ist es gar nicht, was du anziehst. Wenn sie dich mag, dann wird es ihr wichtiger sein, dass du da bist." Schlagartig kehrte die Röte, die Ace bis eben noch von seinen Wangen hatte vertreiben können, zurück.

„Darum geht es doch gar ni-... Ich meine... Es geht hier nicht um ein Date oder so.", stotterte er im Versuch, irritiert und genervt zu klingen, und erntete wieder Schmunzeln.

„Ach, na dann... in der Küche steht übrigens Eiskreme mit Früchten. Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du welche willst. Da hab ich mir ja anscheinend den richtigen Zeitpunkt ausgesucht..." Ace erhob sich, immer noch mit einem Hauch von Rosa auf den Wangen, grummelte ein paar Worte, die Kenntnisnahme ausdrückten, und wandte sich wieder der hochkomplizierten Kleidungsfrage zu.

„-Und wer genau? Ist das der Junge von letztens?" Es war noch hell, als seine Mutter ihn zum Busstop hinunterfuhr, und Ace fing an, diese Bitte zu bereuen. Sie hatte von Anfang der Fahrt bis jetzt versucht, ihm jedes noch so kleine Detail über seine Gruppenverabredung aus der Nase zu ziehen, und er musste sich in gut überlegte Ausflüchte retten, damit er nicht versehentlich eine Diskussion losbrach. Du willst dich mit Fremden aus dem Internet treffen? Weißt du eigentlich, wie gefährlich das ist? Ace, das könnte jeder sein! Im Internet, da können sie dir alles vorspielen! Vielleicht ist das ein ekliger alter Mann! Vielleicht wollen sie dich entführen! Es wäre nicht das erste Mal, dass man so Kinder entführt, Ace! Sag mir hinterher nicht, ich hätte es dir nicht gesagt!

„Nee, andere Leute. Wir wollten zusammen feiern gehen." Ohne ins Detail zu gehen, hatte Para im Laufe der Woche ein paar Worte zur eigentlichen Location fallen lassen, und je geschickter er dabei auswich, desto sicherer war Ace sich, dass die Party zumindest nicht offiziell, wenn überhaupt legal war ... Aber Para würde ihn doch nie irgendwo hin schleifen, wo es gefährlich werden könnte. Oder? Selbst wenn, spürte Ace neben aller Nervosität einen Hauch von Aufregung. Es war fast lächerlich – da hatte er sich all die Jahre vorbildlich von wilden Feiern, Drogen und schlimmen Dingen ferngehalten, und statt sich auf diesem Erfolg auszuruhen, war ein Teil von ihm beinahe begierig darauf, auch mal etwas Dummes zu machen. Wahrscheinlich hatte Para Recht, und er hatte bislang nur so mustergültig gelebt, weil keiner ihm die Gelegenheit gegeben hatte, auch mal ja zu irgendwas Unüberlegtem zu sagen.

„Hm... ich kann mich doch darauf verlassen, dass du nichts Blödes machst? Nicht, dass ich dir jetzt Vorträge halten muss.", meinte seine Mutter belustigt, als wäre allein der Gedanke von Ace und Problemen lachhaft. Er schwieg mit schiefem Lächeln. Irgendwie war er sich im Moment über kaum etwas wirklich sicher.

Er hatte sich Geld zustecken und zum Abschied kuscheln lassen und war in den Bus gestiegen, ehe er bis ganz nach hinten getrottet war. Nachdem Ace ein paar Minuten lang mit schlingerndem Magen aus dem Fenster geguckt hatte, versuchte er zu Lesen in der Hoffnung, das würde seinen Kopf abhalten, in Schreckensspiralen abzutauchen.

Ace ging nicht davon aus, dass Para sonderlich beeindruckt von seiner Erscheinung sein würde. Oder überhaupt irgendwie positiv überrascht. Aber wenn er Ace zumindest ein kleines bisschen nicht-ganz-furchtbar fände, und sie tatsächlich tranken, und Para vielleicht eben doch nur vorrangig auf Mädchen stand und nicht einzig und allein – Ace grummelte über sich selbst und lehnte seine Wange gegen die Fensterscheibe. So verlockend seine Tagträumereien gerade waren, fühlten sie sich dennoch unsinnig an, vor allem bezogen auf einen Jungen, dessen Gesicht er noch nicht einmal kannte. Erstmal sollte er abwarten. Er konnte immer noch beginnen, seine Hoffnungen hochzuschrauben, wenn er aus dem Bus stieg und Para ihn nicht mit entsetzt- angeekelter Miene musterte und bat, vielleicht doch lieber zurück nach Hause zu fahren.

Seine Nase, die sich in der Busscheibe spiegelte, war ein bisschen blass und seine Finger unruhig, als er das Handy zückte und ein ‚Bin gleich unterwegs' tippte. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

PARADOX: nice. sind schon da, freu mich o/

StrangeGuy12: ...Sicher, dass das ein Grund zur Freude ist? :p

Eigentlich wollte er das gar nicht wirklich schreiben, aber Ace fand keine Ruhe, trotz des kurzen Lächelns, dass ihm Paras harmlose Nachricht entlockt hatte. Der herunterspielende Smiley konnte zumindest etwas darüber hinwegtäuschen, dass er tatsächlich Angst vor der Antwort hatte.

PARADOX: nein, ich sitz hier rum und heul taschentücher voll

PARADOX: icy pls <.<

PARADOX: hör auf, dir so nen kopf zu machen und chill

Er grinste schwach, obwohl sein Magen immer noch rumorte.

StrangeGuy12: Wie schaffen es andere Leute, bei sowas ruhig zu bleiben? D:

PARADOX: alle innerlich tot x)

PARADOX: dich kriegen wir damit auch noch

StrangeGuy12: ... Heißt das, ich sollte jetzt Angst haben? Dx

PARADOX: :3

PARADOX: bis später

Ace versuchte tief ein- und auszuatmen, aber zumindest ein Teil des Knotens in seinem Magen hatte sich durch das Herumalbern gelöst. Vielleicht – und nur vielleicht – reagierte er ja wirklich über. Vielleicht würde das ein netter Abend werden und er konnte nette Leute kennenlernen. Und sich darüber klar werden, was er jetzt eigentlich mit diesem Gefühlswirrwarr anfangen wollte, dass Para in ihm hervorrief... Wie es sich wohl anfühlte, mit fremden Menschen unterwegs zu sein und es tatsächlich zu genießen?

Die Tür des Busses schwang ein letztes Mal auf, und als Ace aufsah, konnte er Sean vom Sport- und Geokurs sehen, und neben ihm Ethan. Das Eis, auf dem er gerade noch geglaubt hatte zu balancieren, brach unter seinen Füßen weg.

Er duckte sich auf der letzten Bankreihe, zog den Kopf ein und versuchte sich einzureden, dass er es schaffen könnte, ein paar Haltestellen lang unsichtbar zu bleiben. Wirklich daran glauben tat Ace selbst nicht, und seine Hoffnungen zerplatzten, als die beiden sich durch den Mittelgang drückten und er plötzlich das überrascht-enthusiastische Gemurmel von Ethan vernahm. „Das glaub ich jetzt nicht..." Aces Atem beschleunigte sich. Er zog den Kopf ein, presste die Arme und Schultern an den Körper und schloss gepeinigt die Augen, als das Pfeifen ertönte. Hinter seinen zusammengepressten Lidern blitzten panische Funken auf. Die Sitze neben ihm knarzten, als die beiden Jugendlichen sich auf den Plätzen niederließen, und Aces Blick ließ den Blick hastig durch den Bus flackern. Ihm war klar, dass es unsinnig war, nach Verbündeten zu suchen – die Leute, die auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgriffen, waren in der Regel zu jung für ein Auto, zu alt für ein Auto, unsozial wie Ace oder, so vermutete er, dauerpleite wie Ethan – aber trotzdem wollte ihm nicht in den Kopf, dass das alles gewesen sein sollte. So einfach durfte sich sein Abend nicht über den Haufen werfen lassen.

„Ace! Lange nicht gesehen!" Ethans jovialer Tonfall täuschte nicht über den fiesen Zug um seine Mundwinkel hinüber, und Ace sah starr geradeaus und versuchte die Kälte zu ignorieren, die sich in seinem Magen ausbreitete. In dem Moment leuchtete sein Handy auf der Ablage vor ihm auf.

Ace war schneller, doch im nächsten Moment hatte Ethan sein Handgelenk grob gepackt und wand das Handy ohne sichtbare Anstrengung heraus. Er hob die Brauen spöttisch, während er die blinkende Anzeige auf dem Bildschirm las. Ace versuchte vergeblich, seine Hand wieder freizuwinden.

„TheSpidergirl... ist das deine Freundin, Acey? Lass mich raten, so eine fette Nerdtusse?" Er legte die Stirn in Falten, als müsse er überlegen, und Ace spürte sich die Zähne zusammenbeißen. Selbst wenn Ethan keine Ahnung von Spidey hatte, war der Drang zu widersprechen einen Moment lang fast überwältigend. In ohnmächtiger Wut ballte er die Faust. „Aber... nee. Wahrscheinlich nicht. Nichtmal die Fette lässt dich freiwillig ran, stimmts? ...Ich warte auf Updates. Was passiert? Grinsesmiley." Ethan las mit hoch verstellter Stimme vor, und trotz allem Schrecken war Ace ein wenig erleichtert, dass es keine Nachricht von Para war. Selbst, wenn die absolut unschuldig geklungen hätte, hätten seine Gefühle sich wahrscheinlich zu sehr in seinem Gesicht gespiegelt.

Sean lachte neben ihnen, mit der anheimelnden Art, die so viele an den Tag legten, wenn es darum ging, sich mit Schikane beliebt zu machen. „Ja, Fuckface, was passiert? Komm schon, gib uns Updates!"

Ethan drückte ihm das Handy zurück in die Hände, und die aufgesetzte Heiterkeit fiel und machte drohendem Ton Platz. „Na los. Antworte ihr."

Ace starrte ihn an wie der Hase die Schlange. Nein. Konnte er nicht. Jetzt war der Schaden, den Ethan anrichten konnte, noch abschätzbar, aber sobald er das Gerät einmal entsperrt hatte und Zugriff auf den geheimen, wertvollen Teil von Aces Leben besaß, würde Ace alles aus den Händen gleiten. Er hob den Kopf, versuchte irgendeine der Kameras zu sehen, mit denen der halbschläfrige Busfahrer die Ordnung auf den hinteren Plätzen wahren wollte, und überlegte, auf sich aufmerksam zu machen...

„Ace!", wurde neben ihm gezischt, und inzwischen war in Ethans Gesicht keine Spur mehr von irgendeiner aufgesetzten Freundlichkeit. „Ich sagte, antworte ihr!" Ace zuckte zusammen, spürte unwillkürliche Tränen aufquellen, während sein Kopf raste. Er könnte auf Zeit spielen und bei der nächsten Station aus dem Bus flüchten, aber was, wenn Ethan hinterher kam? Was, wenn Rache ihm wichtiger war als seine Abendplanung? Hier im Bus konnte er ihn nicht schlimm verprügeln, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, oder? Neben ihm raunte der Junge bösartige Worte, die sich in Aces Kopf schlängelten und um seinen Hals legten, bis er das Gefühl hatte, an ihnen zu ersticken.

„Was denn... willst du abhauen, Acey? Versuchs ruhig. Wir sehen uns dann nächste Woche. Und wenn du glaubst, dass ich fies zu dir sein könnte, dann willst du wahrscheinlich gar nicht wissen, was Nero vor hat..." Aces Daumen, der noch über dem Display seines Handys schwebte, zitterte. Seine ganze Hand bebte. „Ach, jetzt kriegen wir wieder Schiss, oder was? Ja, wir haben dir echt viel zu lange nicht mehr gezeigt, wo dein Platz ist, oder? Wirst auf einmal frech ... wollen wir wetten, wie lange das hält, wenn Nero mal wieder richtig kreativ wird? Hm? Zehn Minuten? Fünf? ... Zwei?" Ethan lehnte sich zurück und pfiff seine Lieblingstonfolge.

Die Umgebung verschwamm vor Aces Augen, sein Atem entwich in hastigen, panischen Zügen, und er spürte den Schweiß auf seine Stirn treten. Nicht das. Nicht das, nicht das, nicht das. Ethan sprach weiter, und Sean schien sich zurückzuhalten, aber er wirkte nicht unbedingt von plötzlicher moralischer Standfestigkeit ergriffen. Er war eher fasziniert... oder zumindest gut unterhalten.

„Der kann schon ein ziemlich kranker Wichser sein... und das sage sogar ich. Also, das, was er sich für dich ausgedacht hat... Himmel. Bin echt froh, dass ich nicht du bin, Acey. Verglichen damit sind die normalen Spielchen echt gar nichts. Und die einzigen, die ihn momentan davon abhalten können, sind ich und Devon. Aber so, wie du dich grad verhälst, sehe ich echt keinen Grund, nett zu dir zu sein... Ace. Antworte ihr, Ace. Entsperr dein Scheißhandy und antworte ihr!"

Vor ein paar Wochen noch wäre spätestens das der Punkt gewesen, an dem er einknickte. Ace hätte aufgegeben und das Handy rübergereicht. Tschüß, Spidey. Machs gut, Para. Duffy, Andi, Dodge, und all die anderen Namen... war nett mit euch. Auf nimmerwiedersehen. Ich mochte euch, aber ich möchte wirklich, wirklich, wirklich nicht riskieren, dass Nero sich ungehindert an mir austobt, vor allem, weil ich nicht weiß, was auf dieser Welt noch schlimmer sein könnte als das, was ich bisher durchmachen durfte. Aber vor ein paar Wochen war ihm auch noch nicht bewusst, wie unglaublich gut sich die Alternative anfühlte. Vor ein paar Wochen hatte er nicht geahnt, was er bereit wäre zu tun, um sich das zu erhalten.

Ace öffnete die Hand, ließ das Handy fallen und trat gezielt auf den Bildschirm. Dann lehnte er sich zurück, schnaufte leise und begegnete Ethans ungläubig glubschenden Augen mit kühler Miene. „Würde ich ja gerne, aber ich glaube, momentan funktioniert mein Handy nicht so gut." Sean, der nicht ganz zu verstehen schien, um was es hier eigentlich ging mochte, lachte neben ihnen.

„Alter, Ethan, hat der gerade echt sein Handy kaputtgetreten? Der Junge hat sie doch nicht alle!" Ethan zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, aber sein Kiefer war immer noch angespannt, und Ace ging stark davon aus, dass er gerade nur von Schlägen verschont blieb, weil Ethan nicht vorhatte, sich aus dem Bus schmeißen zu lassen. Wahrscheinlich wollte er sogar bis nach Missoula durchfahren, und dort... dort... nein. Einen kurzen Moment lang war Ace wirklich in Versuchung, sich in der Sekunde des Aussteigens hinter irgendwas Para-ähnliches zu flüchten, wenn er die erste Vierergruppe von Leuten sah, und darum zu bitten, dass man Ethan von ihm fernhielt, aber das war erbärmlich, würde ihn seltsam aussehen lassen und nicht nur in der Schule zu Problemen führen. Die Icy-Welt und die Ace-Welt gehörten getrennt, vor allem, weil er immer noch nicht wusste, für wen Para im Zweifelsfall Partei ergreifen würde. Immerhin war Ethan immer noch sehr viel von dem, was er selbst war, und Ace war... Ace eben.

Und so wartete er, bis der Bus in einer weiteren kleinen Ortschaft hielt – Polson, wenn er sich nicht irrte – schnappte die Überreste seines Handys vom Boden und erhob sich, ehe er sich bemühte, seine Stimme ruhig zu halten, als er deutlich meinte: „Bitte lass mich durch. Ich muss hier raus." Ace sprach lauter als nötig war, damit er im Notfall vielleicht den Busfahrer hatte, der sich auf seine Seite schlug, aber das hatte es gar nicht gebraucht. Ethan verengte die Augen, als Ace derart Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, aber er rutschte tatsächlich zur Seite, mit einem Gesicht, als würde er Ace gerne persönlich erwürgen. „Bis Montag, Fuckface.", raunte er abfällig, und Ace rauschte mit erhobenem Kopf durch den Mittelgang, bis er aus der Tür heraus war.

Sicherheitshalber lief er noch einen Häuserblock weiter, bis er sich gestattete, zusammenzusinken auf der kniehohen Betonabsperrung, die sich um eine Tankstelle zog. Er zitterte, schluchzte erschöpft und rieb mit seinem Shirt über das Display seines Handys, um den Dreck aus den Sprüngen zu kriegen. Mit einiger Erleichterung stellte er fest, dass es deutlich angeknackst, aber nicht komplett kaputt war, und nachdem er sich an das Bild des zerstörten Bildschirms gewöhnt hatte, schaffte er es, die Konversation mit Para wieder aufzurufen.

StrangeGuy12: Ich kann nicht kommen

StrangeGuy12: Es tut mir leid

Ace wollte noch so viel mehr hinzufügen, Rechtfertigungen und Erklärungen und Bitten um Hilfe, aber die Worte wollten sich in seinem Kopf einfach nicht zuende formen. Stattdessen starrte er wie betäubt auf den Bildschirm, bis er aufleuchtete.

PARADOX: ...

PARADOX: ._.

PARADOX: kann man dich umstimmen?

PARADOX: lange reden wird nur grad nicht, bin in gesellschaft

Ace biss sich die Lippe wund und wischte die Tränen von seinem Gesicht, ehe sie noch auf den Bildschirm tropften. Er wusste gar nicht, warum er überhaupt weinte. Im Vergleich zu sonst war er ja gut weggekommen. Einen Moment lang tauchte eine streitlustige Stimme in seinem Kopf auf, die ihm erklären wollte, es würden noch andere Busse fahren und noch hatte er die Zeit, in die Stadt zu kommen und diesen Tag nicht vollkommen zerstören zu lassen, aber Ace war sich gar nicht sicher, ob er das wollte. Vielleicht würde Ethan ja auf derselben Party sein, wo würde er dann hinrennen und sich weinend verstecken? Vielleicht warteten sie am Busbahnhof auf ihn? Vielleicht... vielleicht war er auch einfach nur ein Feigling, und diese Auseinandersetzung hatte ihm die Ausrede gegeben, nach der ein Teil von ihm schon seit Tagen suchte, um derart gruseligen Schritten wie ‚neue Leute kennenlernen' zu entgehen.

StrangeGuy12: Nein. Tut mir leid. Ich erklärs dir ein andermal. Ich finde einen Weg, dir das Geld zurückzugeben.

Ace zog die Knie enger an den Körper, klammerte sich daran und blieb noch ein wenig sitzen, von stillen Schluchzern geschüttelt.





Kellin starrte auf die Vanillesoße, die in großzügiger Menge über sein Eis rann, und schluckte. Irgendwie sah das aus wie... oh man. Er durfte sich mit Sicherheit gleich wieder etwas anhören.

Tief ausatmend kramte er in seiner Börse nach dem Wechselgeld, schenkte dem süßen Kerl hinter dem Tresen ein letztes breites Grinsen und begann dann, in Richtung des Tischs zu trotten, wo die anderen beiden schon saßen. Quinn, die hingebungsvoll an ihrem Erdbeermilchshake nuckelte, entdeckte ihn als erstes und sandte ihm ein einladendes Lächeln. Ihr kurzes blondes Haar war kunstvoll zur Seite gegelt und verlieh ihr zum Puppengesicht ein burschikoses Aussehen, was allerdings keine Probleme zu bereiten schien, wenn es darum ging, ihm irgendwelche hübschen Typen vor der Nase wegzuschnappen. Mädchen hatten es viel zu einfach.

Das Cafe war gemütlich erleuchtet, während sich draußen allmählich Dunkelheit über die Stadt senkte, und verströmte das willkommen heißende, fast kitschige Ambiente der typischen italienisch angehauchten Straßenbistros, an denen die Moderne vorbeigegangen war.

Kellin ließ sich auf den gepolsterten Stuhl sinken und erklärte: „Er schreibt, er kommt bald." Nero machte sich nicht einmal die Mühe, von seinem Handy aufzuschauen, als er etwas Bestätigendes brummte, und als er das Gerät zur Seite legte und den Kopf hob, stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass er beim Anblick der weißen Soße auf der Eiskreme genau so dachte wie Kellin kurz zuvor. Kellin seufzte. „Sags einfach."

Nero holte tief Luft. „...Nein."

Kellin streckte die Zunge aus und fuhr derart provokant über sein Erdbeereis, dass Quinn neben ihm sich das Kichern verkneifen musste. „Sag es."

Sein Begleiter schnaubte leise und ließ sich zurücksinken. „Der Typ, der dir da raufgejizzt hat, sollte dringend mehr trinken, die Konsistenz sieht nämlich irgendwie ungesund aus." Man sah Quinn an, dass sie vergeblich versuchte, sich das Lächeln zu verkneifen, während sie sich um einen strengen Blick bemühte.

„Du musst es bei denen Ernährungsgewohnheiten ja wissen... und ihr seid schlimm. Alle beide. Ihr seid keine 12 mehr."

Nero schnaubte. „Körperlich vielleicht." Insgeheim gab Kellin ihm Recht, ehe er sich räusperte und um Ernsthaftigkeit bemühte.

„Also... gehen wir das ganze nochmal durch. Wir gehen in einer halben Stunde zurück zur Busstation. Mein Date steigt aus, er erblickt mich, ohne exakt zu wissen, wer ich bin, einen Moment lang verläuft alles in Zeitlupe, während wir einen sehr langen und sehr romantischen Blick austauschen... und dann wird er mich erkennen und rüberkommen und... vielleicht nicht sofort um meine Hand anhalten, aber das kann ja ein langfristiges Ziel sein. Und ihr beide benehmt euch." Sein Blick ruhte dabei vorrangig auf Nero. Eigentlich ruhte er nur auf Nero. Quinn war in dieser Situation nicht das Problem.

„Kein Problem. Ich kann ein ganz braver Junge sein." Quinn verschluckte sich am ersten Lachen und Milchshake und hustete, während Kellin eine verbissene Miene aufsetzte und versuchte, nicht rot zu werden. Er wusste bis zum heutigen Tag nicht ganz, wie Nero diese Dinge mit seiner Stimme machte, aber sie verfehlten ihre Wirkung nie.

Überhaupt war der Junge der schwierigste Bekannte, den Kellin jemals hatte. Sein Problem war kein Mangel an Persönlichkeit, sondern ein zuviel davon, und er polarisierte die Meinungen bezüglich seiner Existenz, als hätte er nie etwas anderes gelernt. Als wäre das nicht schlimm genug, sah er auch noch gut aus. Also, wirklich gut. Ein ‚Ich würde dir zu Füßen liegen, wenn du ernstes Interesse an Kerlen hättest'-gut. Und Nero, der Kellins innere Zerissenheit zu erahnen schien, ließ keine Gelegenheit aus, damit zu spielen.

Kellin räusperte die Röte auf seinen Wangen beiseite. „Ich meine es wirklich ernst, okay? Das letzte Mal, als du behauptet hast, dich zu benehmen, war er drauf und dran, mich auf allen Kanälen zu blockieren."

Quinn, die sich schon wieder gefangen hatte, erkundigte sich: „Was hat er denn gemacht, Dickpics geschickt?"

„Als ob." Nero schnaubte, ehe sich wieder ein Grinsen auf seine Züge legte. „Nee, ich hing bei Kelly rum, wir hatten beide schon was intus und er hat versucht, mit dem Kerl über irgendwelche furchtbar ernsten Coming-Out-Dinge zu schreiben..." Nero machte eine kurze Pause, und Kellin hätte gewettet, es war der Dramatik willen. „Und weil du mich kennst, und Kelly kennst, und uns beide high kennst, dann weißt du schon, dass das eine üble Idee ist. Wir chatten also mit seiner Flamme, die erzählt uns irgendwas von all der Angst, die er vor seinen Verwandten und Freunden hatte und was man in der Schule dazu gesagt hätte... und ich überrede währenddessen Kelly, mich mal an die Tastatur zu lassen. Du kennst ihn ja." Nero machte einen Kopfwink zu Kellin, der bereits ahnte, was kommen würde, und aggressiv in sein Erdbeereis biss. Sein Gegenüber zog inzwischen die Schultern an, legte die geballten Hände in Anime-Mädchen-Manier vor den Mund und fuhr mit höherer Stimme fort.

„Oh nein, er will was Böses tun! ... Aber es wird witzig werden ... aber gemein ... aber wir werden uns vor Lachen bepissen ... aber ich sollte das nicht tun, ich bin doch ein netter Junge ... ach, ich sag einfach, ich wurde überrumpelt und mein fieser Zwilling hat geschrieben."

„Ich wurde überrumpelt!", versuchte Kellin einzuwerfen, um den letzten Rest seiner Ehre zu retten, und erkannte am Grinsen der anderen beiden, dass er sich da schon auf verlorenem Boden befand. Nero lockerte die Haltung wieder und lehnte sich zurück. „Also schreibe ich sowas wie ‚Oh wow, ich kann mich damit so voll identifizieren, mein tiefstes Mitgefühl, das ist ja so schrecklich, weißt du, was ich an deiner Stelle gemacht hätte?" Erneutes Luftholen. „Und dann schicke ich ihm den Link zu so ner Anti-Homo-Elektroschocktherapieeinrichtung."

Kellin spürte seine Mundwinkel zucken und versuchte sich gleichzeitig zur Ruhe zu rufen. Das war nicht witzig, das war grausam! ... Und bestenfalls witzig erzählt. Quinn schüttelte den Kopf mit einem sachten Lächeln auf dem Gesicht.

„Du bist doch gar kein Mensch, oder? Du bist ein genetisches Experiment, in dem man Mensch und Arschloch gemischt hat, das unglücklicherweise aus seinem Labor ausgebrochen ist."

Nero streckte sich. „Glaube ich halt auch. Genetisches Experiment würde wenigstens erklären, warum ich so fucking gut aussehe."

„Ah ja. Hast du schonmal gehört, dass Bescheidenheit und guter Charakter hübsch macht, West?" Nero winkte ab.

„Quinn. Quinn, wir wissen alle, es gibt zwei Sorten von Menschen auf dieser Welt, und zwar die mit gutem Charakter und die, die ihn nicht brauchen – Moment." Er holte sein Handy hervor, und Kellin tat es ihm nach. Nur leider hatte sein Date immer noch nichts über den weiteren Verlauf seiner Reise geschrieben.

„Wer ist das?", erkundigte sich das Mädchen jetzt, während sie versuchte, einen Blick auf Neros Bildschirm zu erhaschen.

„Kennst du nicht."

„Ach, was du nicht sagst. Darum frage ich ja." Quinn nahm einen langen Schluck, wartete auf Neros ausbleibende Antwort und rümpfte schließlich die Nase. „Hast du wenigstens schon Nacktbilder von ihr?"

„Ist nichtmal eine sie." Nero sprach kurz angebunden, wie üblich, wenn er irgendeine seiner Angelegenheiten als privat betrachtete, aber auch Kellins Interesse war inzwischen geweckt.

„Also ein Kerl? Ist es was berufliches oder so?"

„Nein."

„Also eher schulisch...?" Kellins Worte erstarben, als er die kurze Gereiztheit in Neros Augen aufflackern war, ehe der Junge auch schon wieder ausatmete.

„Keines von beidem. Ihr werdet ihn heute vermutlich eh kennenlernen. Seid nett zu ihm, er ist'n armes kleines Häschen und hat keine Ahnung von der großen weiten Welt." Quinn saugte geräuschvoll an den verlorenen Resten ihres Milchshakes, während Nero die Brauen hob und tippte.

„Seit wann kümmerst du dich denn um arme, kleine verlorene Häschen?" Nero schenkte ihr ein schiefes Lächeln.

„Seit heute."

„Stehst du auf ihn?", wagte Kellin zu fragen, und der Junge schien dem Drang zu widerstehen, die Augen zu verdrehen.

„Welcher Teil von ‚Er ist ein Kerl' kam nicht bei dir an?"

„Du hast selbst schon mit ... Kerlen..." Kellin hielt inne. Ja, was eigentlich? Eigentlich war es nicht viel mehr als ein Trinkspiel, und für den kurzen Moment, den er das Gefühl hatte, dass Nero doch ziemlich ran ging, wurde ihm hinterher sehr lange vorgehalten, dass er ein mieser Küsser war... von wegen, mieser Küsser! Kellin war nur betrunken gewesen. Und nervös.

„War ein Versehen.", gab Nero trocken zurück.

„Fick dich.", nuschelte Kellin in sein Eis hinein und ergänzte: „Deine Geburt war ein Versehen." Und so schlecht küsste er nun auch wieder nicht!

„War sie wahrscheinlich wirklich." Nero gluckste leise und hob die Brauen, als sein Handy auf dem Tisch wieder lossirrte. Er zog es beim Lesen heran, und Kellin konnte beobachten, wie sich seine Augenbrauen zusammenzogen. „Hat sich mit meinem Häschen eh schon erledigt. Der hat mitten in der Fahrt ne Panikattacke bekommen oder so... Quinn, ich hab gehört, wer sich zuletzt ne Clubschlampe aufreißt, gibt die Pizza aus?"

„Wieso, hast du schon wieder keine Kohle?" Quinn warf aus den Augenwinkeln einen gierigen Blick zu Kellins immer noch gut gefüllter Eiswaffel und starrte dann wieder trübsinnig auf ihren leeren Milchshake, während sie sich das Angebot wohl durch den Kopf gehen ließ. „Zählen männliche Schlampen auch?"

„Meinetwegen. Aber einfach irgendeinen traurigen Degenerate rausfischen gilt nicht. Muss schon einer sein, der zu deinen Ansprüchen passt."

„Und wenn ich mich einfach an dich ranmache?" Nero verdrehte die Augen.

„Dann wird keiner von uns ne Pizza kriegen. Ich habe das Gefühl, du hast das Spiel nicht verstanden."

„Leg noch einen Milchshake drauf und ich bin dabei..." Quinn stützt ihr Gesicht auf die gefalteten Hände. „Aber ich hab das Gefühl, du versuchst abzulenken. Was hat es jetzt mit deinem armen kleinen Häschen auf sich?"

„Sagte ich doch. Der fährt nach Hause und weint sich da vermutlich in den Schlaf oder so."

„Würde ich auch bei dem Gedanken, den ganzen Tag unvorbereitet mit dir zu verbringen. Das ist eine furchteinflößende Vorstellung."

„Hey!", empörte sich der Junge, während Kellin schwach lächelte und Quinn insgeheim Recht gab. „Ich kann sehr nett sein. Überaus nett."

„Klar, so einmal alle fünf Monate... Nein, zurück zu Häschen. Wer ist das?""

„Leute!", unterbrach Kellin sie aufgeregt und fuchtelte mit den Händen, als er einen kurzen Blick auf sein Handy geworfen hatte. „Leute, er schreibt! Er sitzt im Bus! Nur noch zehn Minuten, wir müssen los."

Als sie gemeinsam an der Bushaltestelle warteten, rollte Quinn den Joint auf und reichte ihn nach wenigen Zügen weiter. Nero nahm ihn mit dankbarem Blick entgegen, und sie lehnte sich nach hinten, ihr Blick auf Kellin gerichtet, der unruhig an der Bahnsteigkante entlangtigerte. Quinn seufzte leise. Sie wünschte dem Jungen wirklich von Herzen, dass es dieses Mal klappte, aber inzwischen hatten sich ihre Hoffnungen ein wenig an die Realität angepasst. Dafür, dass der Großteil seines Freundeskreises überaus extrovertiert war, war Kellin mehr als nur schüchtern und auch noch ein furchtbarer Romantiker. Er verlor sein Herz schneller, als man gucken konnte, und wenn das ganze am Ende schiefging, war sie es, die mit ihm Eis löffelte und romantische Filme guckte, bis die zerbrochenen Überreste wieder halbwegs funktionsfähig zusammengeflickt waren. Und so sehr sie hoffte, dass es diesmal anders kommen könnte – wirklich daran glauben tat sie nicht.

„Dir hat er mehr von dem Typen erzählt als mir, oder?", erkundigte sie sich murmelnd, und Nero sah kurz auf, seine dunklen Augen noch klar. Sie wusste, dass ihre eigenen viel zu schnell aufquollen oder rot wurden, und konnte nicht anders, als ihn ein wenig darum zu beneiden.

„Ein bisschen... wie gesagt, ich hab einige der Texte gesehen." Er klopfte die Asche vom glimmenden Ende, ehe er den Joint zurückreichte und Quinn sich aufrichtete.

„Und? Glaubst du, daraus könnte was werden?"

„Bin ich Hellseher oder was?" Sie schlug ihm mit dem Handrücken sachte gegen die Schulter.

„Ich bin nicht derjenige von uns beiden, der gerne mit seiner Menschenkenntnis angibt." Nero grinste schief.

„Auch dafür brauchst du Körpersprache und so... 10 Minuten Chat sagen dir gar nichts." Er zuckte die Schultern. „Ich hatte nicht dein Eindruck, dass er mit demselben Enthusiasmus wie Kelly rangeht, aber das muss nichts heißen." Quinn zog die Brauen zusammen. Wenn dieser Typ es auch nur wagen sollte, Kellin wieder in seiner ‚Ich werde niemals Prinz Charming finden'-Verzweiflung versacken zu lassen, dann würde sie ... nicht nett zu ihm sein, zumindest. Er sollte beten, dass er sich zu dem Zeitpunkt bereits außerhalb ihrer Trittreichweite befand.

Sie sah Kellin aufgeregt auf seinen Fußspitzen auf- und abwippen, als sich in der Ferne das Dach eines Busses durch den Abendverkehr schob, und meinte nach kurzem Überlegen: „Sag mal... was genau hatte es jetzt eigentlich mit Häschen auf sich?"

„Nenn ihn bitte nicht Häschen. Das weckt die falschen Assoziationen." Nero winkte mit den Fingern, bis der Joint wieder in seiner Hand landete.

„Du könntest mir ja auch seinen Namen sagen."

„Könnte ich..." Nero blies einen Rauchkringel aus und ignorierte Quinns neugierigen Blick, bis sie leise jammerte.

„Spucks schon aus!"

„Keine Ahnung. Kenn ihn nicht." Sie blinzelte, ein wenig aus der Fassung gebracht.

„Wie jetzt, du kennst seinen Namen nicht?" Quietschend hielt der Bus zwischen den einzelnen Steigen, während Kellin zu ihnen zurücktrottete, sich neben Nero fallen ließ und auf der Unterlippe kaute. Der warf ihm einen schrägen Blick zu, und ein Teil von Quinn mutmaßte, dass er ganz froh war, um ihre Frage herumgekommen zu sein.

„...Sag mal, zitterst du?"

„Lass mich zittern.", grummelte Kellin und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Neue Leute kennenlernen ist gruselig." Nero tätschelte ihm den Kopf.

„Aww, bin sicher, er hat mehr Angst vor dir als du vor ihm... Hoch mit dir." Kellin ließ sich mit sanftem Nachdruck in die Höhe bugsieren, und Quinn drückte den Stummel auf dem nebenstehenden Mülleimer aus, ehe sie sich beeilte, den beiden zu folgen. Ihr Blick huschte neugierig vom Bussteig zu Nero, ohne ganz zu wissen, was ihre Aufmerksamkeit eher anzog. Zum einen konnte sie kaum erwarten, Kellins neueste Flamme zum ersten Mal zu sehen, andererseits hatte sie nicht vor, die Häschenfrage ruhen zu lassen. Gerade die ausweichenden Antworten versprachen eine vielversprechende Geschichte hinter der spontan erwachten sozialen Ader.

_________________________________________________________

*legt mal Fackeln und Mistgabeln aus*

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