Ace hatte quasi kaum die Tür zu seinem Zuhause hinter sich geschlossen, ehe er auch schon die Treppen hinaufstürmte, sich die Datenbrille vom Schreibtisch schnappte und sich bäuchlings auf das Bett warf, um sich dort nach den Handgelenksbändern zu strecken. Sein Handy, dass bisher wie ein wohlbehüteter Schatz mobbing-sicher an seinem Körper getragen worden war, musste sich dafür mit einem unbedeutenden Eckplatz an seinem Bett begnügen.
Als er es erstmal wieder in den Händen gehalten hatte, hatte er die letzte Schulstunde durchgeschrieben und diesmal wieder darauf geachtet, es unauffälliger zu gestalten.
Spidey hatte darum gebettelt, die Skizzen zum neuen Bild zu sehen, was er ihr angeteasert hatte, und bei Para war es Ace gelungen, endlich mal ein vernünftiges Gespräch zu führen wie normale Menschen, ohne dabei von einer Katastrophe in die nächste zu rutschen. Das heißt, zumindest waren keine großen Katastrophen dabei gewesen... Aces Unruhe hatte ihn dazu getrieben, nachzufragen, was Para mit dem Psychologen meinte. Immerhin hatte er keine geistigen Probleme, und das letzte, was Ace wollte, war, dass irgendwer einen anderen Eindruck bekam. ‚Psycho' fehlte auf der Liste der Beleidigungen, die man ihm hinterherrief, noch. Aber diese Sorge hatte sein - angeblich hübscher - gesichtsloser Gesprächspartner schnell wieder zerstreut.
PARADOX: generell würd ich das so mindestens jedem zweiten menschen raten, die meisten reagieren nur garstig, wenn mans anspricht
PARADOX: psychologe heißt ja nicht, dass du psychisch krank sein musst. um sowas wie deine sozialprobleme und kommunikationsangst können die sich auch kümmern
Während er im Unterricht saß, wollte Ace widersprechen, so ausgeprägt seien die doch nicht, aber ... wem wollte er etwas vormachen? Er bekam Schweißausbrüche, wenn er jemandem nach einem Treffen am Wochenende fragte!
StrangeGuy12: Ich will aber nicht jemandem den Platz wegnehmen, der viel dringendere Probleme hat q.q Und das wirkt doch auch komisch, wenn ich mit solchen Sachen zum Psychologen gehe
PARADOX: und deine mitschüler sind kein dringendes problem oder was
PARADOX: außerdem werden die typen halt dafür bezahlt, dass sie dir zuhören. es ist literally ihr job
PARADOX: ich würde da hingehen und über die banalste scheiße reden und es täte mir nicht leid
StrangeGuy12: Dir tut ja allgemein nicht viel leid, oder? xD
War das jetzt schon zuviel unausgesprochener Angriff im Ton? Ace wollte es nicht verletzend meinen, dazu war Para zu nett zu ihm, aber andererseits war es ihm immer noch unmöglich, ihn mit dem zu verbinden, was er in der Schule erlebte. Niemals könnte Para sein wie diese Typen – oder?
PARADOX: das ist ne andere geschichte
PARADOX: aber im ernst, mach dir mal nen termin
PARADOX: wenn nicht für dich, dann für mich und spidey.
PARADOX: du musst ein glückliches icy sein :x
In dem Moment hatte er das Gesicht kurz in seinen Händen vergraben, wieder mit verräterisch zuckenden Mundwinkeln, die in dem Moment nichts anderes wollten als Lächeln. Ja, wie um alles in der Welt sollte er annehmen, dass dieser Kerl jemals jemandem wehgetan hatte?
Seine vorherigen, sehr wichtigen und konzentrationsfordernden Angelegenheiten hatte Para nicht ausführen wollen - auch wenn Ace vermutete, dass das weniger an deren Relevanz lag und Para einfach gerne Geheimnisse um seine Person schuf. Je mehr er Ace auch noch für seine Neugierde aufzog, desto mehr verstärkte sich die Theorie. Im Grunde waren die Informationen Ace auch nicht annähernd so wichtig, wie er es darstellte – Es war ja Paras Angelegenheit, was der getrieben hatte. Ace genoss die Neckereien einfach.
Jetzt schloss er die Sensorbänder um seine Handgelenke, lehnte sich gegen sein Kissen, machte die Augen zu und ließ die Technik ihre Arbeit erledigen. Es dauerte nicht lange, bis sein Kopf versank und sich die bunte Welt von YU.Space um ihn ausbreitete. Ace sah zuerst natürlich nach, wer in der Gilde schon online war, aber bis auf den bislang unbekannten McBloodz und vereinzelten Chatnachrichten der diversen Mitglieder traf er auf gähnende Leere. Mit einem Hauch von Enttäuschung blieb er dem Spiel fern, hockte stattdessen in seinem Kartenschloss und las mit geröteten Wangen durch einige der Geschichten, die er sich kürzlich heruntergeladen hatte und die eine wilde Mischung aus übernutzten Klischees, triefend romantisch-kitschigem Plot, unrealistisch anmutenden Sexszenen und vielen homosexuellen Kerlen waren, die alle aussahen wie Halbgötter, zumindest laut Text. Er war sich nicht sicher, ob er diese Geschichten liebte, obwohl oder weil sie so schamlos übertrieben waren.
Ace war gerade dabei, sich gebannt vorzustellen, wie der wunderschöne, mächtige, uralte und dominante Vampir Damien Dracul sein scheues, junges, menschliches Spielzeug gegen die Wand drückte und ihm ins Ohr raunte, wie sehr es ihm nach seinem Blut gelüstete, als ein Anruf einging. Erschrocken klickte Ace auf annehmen und dankte aufs Neue dafür, dass die heftigsten Emotionen aus seiner Stimme ferngehalten wurden, solange er komplett eingeloggt war.
„Ehhh... hi?"
„Icy!", quietschte ihm Spideys Stimme ins Ohr, gefolgt von einem gutgelaunten „Icy, komm ran, wir haben ein paar Lawinenmonster aufzuspüren."
„Komme!", meinte er hastig und beeilte sich, die Dateien zu schließen, während er im Hintergrund das Spiel aufrief. Am Rand seiner Festung baute sich nach und nach ein Schnellportal dahin auf. Spidey erkundigte sich, was er denn noch so lange getrieben hätte, und Ace fühlte sich einen kurzen Moment um Worte verlegen. „Das übliche... eh... Auseinandersetzung mit klassischer Literatur?" Vampire waren doch Klassik, oder? Er konnte Spideys leises Kichern hören, als würde sie ungefähr ahnen, welche Art von Literatur er sich zugeführt hatte.
Etwa eine Viertelstunde später standen sie zu viert auf begrenztem Platz in einem Fesselballon, der sich durch magisches Feuer antrieb und träge im Himmel über den Bergebenen von Ashar schwebte. Die Wolken um sie herum waren fluffig und schimmerten in Pastellfarben, wo das Licht der zwei Sonnen sich in ihrem Schimmer fing, und wenn Ace aufstampfte, dann waberten sie aufgebracht in die Höhe. Zuerst hatte er noch versucht, Spidey mit Wolkenfetzen zu bewerfen, durfte aber schnell feststellen, dass sie sich zwar gut anheben ließen, aber lustlos zu Boden sanken, wenn man sie einmal in eine Richtung geschmissen hatte. Duffy hatte sie zusammengeklaubt und als Perücke auf den Kopf seines Charakters platziert, der heute ein großer Ork war und sich in der Mitte des Ballons aufhalten musste, denn jedes Mal, wenn seine massige Gestalt zur Seite stolperte, rutschten sie alle ein wenig nach.
„Okay... Zwei Sekunden Aufmerksamkeit, Kinder." Para klatschte in die Hände. Sie sprachen ausnahmsweise wieder im Spiel, weil die Geräuschkulisse ein wichtiges Element in irgendeiner Phase des nächsten Kampfes sein sollte – welcher, hatte Ace schon wieder halb vergessen. „Spidey wird gleich ihre Explosionspfeile ins Eis jagen, was die Lawine auslöst. Wir springen kurz danach, ihr federt euch durch die Wolken ab, und bis wir landen, sollte der Berg wieder ruhig sein. Dafür ist die Bosshöhle unbedeckt, und je nachdem, welche Phase wir heute erwischen, wird er entweder draußen auf uns warten oder rauskommen, wenn alle gelandet sind. Dann brüllt er, und das Nachbeben löst die zweite Lawine aus. Spidey, Duff, ihr nutzt die Boards-" Gegen die Wand des Ballons gelehnt standen hölzerne Snowboards, und das der Elfe sah geradezu winzig aus im Vergleich zu dem von Duffy. „-Icy und Ich bewegen uns wie bewohnt. Flüchtet vor der Lawine, lasst euch nicht den Kopf abbeißen und macht zwischendurch ein bisschen Schaden... aber das ist nicht Hauptsache. Am wichtigsten ist, dass alle lebend an der Felsspalte ankommen." Besagte Felsspalte schimmerte wie ein winziger dunkler Strich in der Landschaft in weiter Entfernung unter ihnen. „Dort triggern wir die zweite Phase des Kampfes. Erklärung folgt vor Ort, erstmal müssen wir alle lebendig hinkommen. Fragen?"
Duffy hob die Hand. „Wie viele Donuts kriegt Spidey auf einmal in den Mund?" Sie kickte nach dem Orkhintern, während Duffys Lachen ihnen in den Ohren klang.
„Keine Fragen? Find ich super. Spidey?" Sie streckte den Daumen nach oben, dann zog sie einen der Pfeile aus ihrem Köcher, zog ihn mit konzentrierter Miene auf und ließ ihn schließlich vom Bogen schnellen. Er verschwand im blauen Himmel, wurde immer kleiner, je weiter er nach unten sauste, und etwa auf der Hälfte des Weges konnte Ace ihn gar nicht mehr sehen. Nach einer Weile blitzte es weit unter ihnen, wie von einer winzigen Explosion, aber der Knall, der zu ihnen hochgetragen wurde, war lauter. Knacksen ertönte, und dann Rumpeln, dass sich über den Berg hinwegzog und sich gemächlich zu einem Dröhnen steigerte.
„Könnte auch mein Magen gewesen sein.", murmelte Ace, als sie verfolgten, wie die Schneemassen sich in Bewegung setzten, zuerst unglaublich subtil und dann heftiger, als mehr und mehr weiß aufgewirbelt wurde.
„Hm? Wieso? Wartest du schon auf Abendessen?", erkundigte sich Para neben ihm. Seine Augen strahlten grelles Licht aus, und feine weiße Runen zogen sich sein Gesicht entlang, während er seine Magie vorbereitete.
„Jaa... und ich habe eventuell seit heute Morgen nichts gegessen, weil ich lieber einen großen Bogen um die Mensa machen wollte..." Spidey murmelte etwas Gehässiges, das ausführlich beschrieb, was Aces Peiniger ihrer Meinung nach doch bitte mit sich selbst machen sollten, und Duffy klagte, er könnte so gar nicht leben. Para hob die Brauen.
„Was hast du heute morgen gegessen?"
„Weiß nicht, Brot halt." Ace, den diese Art der Ausfragerei ein wenig an seine überfürsorgliche Mutter erinnerte, versuchte das Thema zu wechseln und starrte noch ein wenig angestrenger in den Schnee hinunter. „Was machen wir nochmal als Erstes, wenn das Monster schon da ist, aber noch nicht alle gelandet?"
„...Gestern?"
„Hm?" Ace fühlte sich aus dem Konzept gerissen.
„Was du gestern gegessen hast." Ace knurrte leise. Zum einen, weil das ja wohl niemandes Problem außer seines war, und zum anderen, weil Paras strenger Tonfall seine Haut prickeln ließ, was sich sehr schlecht vertrug mit der grimmigen Maske aus Unnahbarkeit, die Ace gerade gerne wahren wollte. Er verdrehte die Augen.
„Frühstück, Mittag und Abendbrot, wie jeder Mensch." Ausnahmsweise fand Ace es gar nicht so schlimm, dass man seiner Stimme die Genervtheit anhören konnte. Para ließ sich davon nicht irritieren und wedelte mit der Hand.
„Weiter. Was genau?"
„Mann!" Diesmal konnte Ace nicht mehr vorgeben, noch am herabstürzenden Schnee interessiert zu sein. Er fuhr herum und starrte dem Engel in die leuchtenden Augen. „Bist du jetzt mein Aufpasser oder was?! ... Genug eben." Er begann an der Hand abzuzählen, für jede Mahlzeit ein Finger. „Apfel. Belegtes Brötchen. Tütensuppe und Süßigkeiten. Zufrieden?" Ace fühlte sich ein bisschen wütend, allein schon dafür, dass er gezwungen war, sich zu rechtfertigen, und Spideys leises Gemurmel wurde überhört, vor allem, weil sie den Anschein erweckte, sich diesmal nicht auf seine Seite schlagen zu wollen.
„Der Tag davor?"
„Woher soll ich wissen, was ich vor zwei Tagen gegessen habe?!" Ace warf frustriert die Arme in die Luft, während sein Kopf sich drehte. Den Tag davor war er aufgrund der zerstörten Brille aus der Schule geflohen, musste tagsüber mit Placebo-Krankheiten im Bett liegen und Abends zocken, da war nicht allzu viel Zeit für sowas wie Abendessen gewesen – aber das konnte er doch nicht erzählen, sonst fühlte sich Para am Ende noch bestätigt!
„Denk halt nach.", entgegnete der Engel mit einem Hauch von Arroganz, für den Ace ihn gerne geschlagen hätte. Genauso schnell, wie der Impuls aufkam, rang er ihn nieder.
„Den Tag davor war ich krank."
„Ja, und?" Ace biss die Zähne aufeinander.
„Frühstück." Er ließ das Wort einen Moment in der Luft verhallen, ehe er gereizt anfügte: „Mir geht's gut. Ich esse, wenn ich Hunger habe, zurzeit ist das nur einfach nicht so oft der Fall."
„Und du glaubst, das ist ein Zeichen von Gesundheit, wenn du drei Tage lang quasi gar nichts isst und dein Magen dir nicht mitteilt, dass irgendwas nicht stimmt? Du glaubst, das ist normal so?" Ace schwieg, die Zähne zusammengepresst. Er war tatsächlich überzeugt davon, dass das normal war, schon seit Ewigkeiten, seit er sich angewöhnt hatte, nicht offen in der Schule zu essen und den Abendessen mit seinen Eltern fernzubleiben, um den immer gleichen ‚Wie läufts, wie geht's deinen Freunden'-Fragen auszuweichen... und bisher ging es ihm ja wohl hervorragend!
„Ich glaube, dass es nicht dein Problem ist.", entgegnete er kühl, und jetzt konnte er Para leise lachen hören. Ace war sich gar nicht mehr so sicher, ob ihm das gefiel.
„Stimmt, ist es nicht. Aber du siehst es offenbar auch nicht als Problem. Weißt du, wie wir das ändern können?" Jetzt klang das typische Grinsen wieder durch, aber auch das sagte Ace gerade nicht zu. Eher im Gegenteil. Er schnaubte, als wäre ihm jedes Wort egal, aber konnte trotzdem nicht leugnen, dass Paras Ton Anspannung hervorriefen. Ace drehte sich um, zurück zur startenden Lawine, und wollte sich in Schweigen retten. „Kein Vorschlag? Na gut, ich hab einen. Du wirst dich jetzt ausloggen, gehst runter in deine Küche, schnappst dir was Essbares – vorzugsweise warm, mit mehr Nährwert als Tütensuppe – versorgst dich, und dann darfst du zurückkommen." Die Stimme war weich genug, um fürsorglich zu klingen, wenn nicht die deutliche, spöttische Heiterkeit mitschwingen würde. Aces Magen schlingerte, und er zwang sich, das zu ignorieren. Wütend. Er war wütend. Nicht nervös. In absolut nicht-nervöser Zurschaustellung von Wut drehte er sich zurück und verschränkte er die Arme vor dem Körper.
„Sonst was?" Er schaffte es sogar, ein wenig höhnisch zu klingen.
„Sonst schmeiß ich dich aus der Gilde." Der Satz krachte wie ein Hammer auf Ace nieder, und die Tatsache, dass Para absolut tonlos sprach, machte es nicht besser. Er konnte nicht ausschließen, dass der Kerl es ernst meinte.
„Ehhh, Para-", wollte Spidey an der Seite mitmischen, und der Junge hob die Stimme.
„Nichts ‚eh, Para'. Ich lass nicht zu, dass Icy uns hier verhungert, nur weil er zu blöd ist, sich regelmäßig Nahrung zuzuführen."
„Das kannst du nicht tun!" Ace hatte die Sprache wiedergefunden, stapfte auf den Bastboden ihres Ballons und wirbelte farbige Schwaden aus den Wolken auf.
„Oh, willst du sehen, wie sehr ich das tun kann?" Die normale Belustigung fand wieder ihren Platz in Paras Stimme, und Ace zischte leise.
„Du wirst es nicht tun."
„Tatsächlich? Ich hab die Mitgliederübersicht schon offen." Para hielt kurz inne. „Wir könnens natürlich auch anders machen. Ich kick dich einfach jetzt, und du darfst zurückkommen, wenn wir ein Beweisbild dafür bekommen haben, dass du was Essbares gefunden hast..."
„Und wenn ich nicht zurückkommen will?!" Um keinen Preis wollte er seinen Gildenplatz verspielen, aber gleichzeitig war Ace stinkwütend. So ließ er sich doch nicht herumschubsen.
„Das ist ein Risiko, mit dem ich leben werde. Also, gehst du freiwillig off oder muss ich ein bisschen nachtreten?" Ace holte tief Luft. Dann knurrte er Para ein „Fick dich, du dummes Arschloch." entgegen, öffnete sein Spielmenü und loggte sich aus.
Er ließ sich zurücksinken, sein Herz pochend und seine Stirn verschwitzt, und sein Atem verlief aufgebracht. Ein Teil von ihm hätte Para gerne von links nach rechts durch sein Zimmer geprügelt... also, nicht real, da würde er es vermutlich nicht wagen, ihn anzurühren, aber zumindest in seiner Fantasie. In dem Moment leuchtete der Bildschirm seines Handys auf.
Ace fuhr herum, hangelte mit zitternden Fingern danach, und als er die Nachricht sah, zuckten seine Mundwinkel in die Höhe. ‚Es tut mir leid...' Hah, es sollte dir auch leid tun, du-! ... Dann fiel sein Blick auf den Absender. Spidey. Spidey, nicht Para. Er ächzte leise ins Kissen, dann entsperrte er das Handy und las die Nachricht.
theSpidergirl: Es tut mir leid. Er ist halt echt manchmal schwierig x.x
theSpidergirl: Aber in dem Punkt hat Para trotzdem recht
theSpidergirl: Du solltest dringend was essen.
Sei leise, dachte Ace. Er wollte nichts lesen, was ihn gerade in seiner absolut gerechten Empörung aufhielt. Sein Blick hing auf Paras Icon und wartete, dass da endlich die drei Punkte auftauchten, die ihm bedeuteten, dass der Junge schrieb... Aber nichts. Ace musste eine ganze Minute reglos darauf gestarrt haben, bis es ihm zu dumm wurde und er schrieb.
StrangeGuy12: Fuck
StrangeGuy12: You
StrangeGuy12: Para
Jetzt wurde tatsächlich geschrieben. Er hob die Brauen. Wenn das nicht mindestens fünf Paragraphen Entschuldigungsschreiben waren...
PARADOX: :>
Ace ließ den Kopf sinken und seufzte ins Kissen. Para tat nicht einmal so, als würde er sich Mühe geben.
PARADOX: schmoll so viel du willst
PARADOX: aber iss was
PARADOX: bild, und dann darfst du wiederkommen
Er biss aufs Kissen, um sein entnervtes Grummeln zu dämpfen. Dann gab er ‚Abendessen' bei Google ein und schickte Para den Link zur kompletten Galerie.
PARADOX: netter versuch
PARADOX: aber mach ruhig weiter
PARADOX: ich habe sehr viel geduld :3
Erschöpft schloss Ace die Augen und rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn. Es war nicht, dass er nicht irgendwo erkennen würde, worauf Para hinauswollte... aber es ging den Jungen doch gar nichts an, was er mit seinem Leben und Körper anstellte! Das war seine Angelegenheit!
StrangeGuy12: x.x Hör mal, ich versteh ja, was du willst. Du machst dir Sorgen um die Mitglieder in deiner Gilde und so. Aber das ist der falsche Weg, sowas rüberzubringen
PARADOX: x)
PARADOX: mach dir bitte keine illusionen
PARADOX: als ob ich mir sorgen mache
PARADOX: zu 99% hab ich einfach spaß dran, dich ein bisschen zu ärgern
Ace musste das Gespräch einen Moment lang unterbrechen, um lauthals ins Kissen zu grollen, bis er wieder in der Lage war zu schreiben.
StrangeGuy12: Weißt du, allmählich kann ich Spidey verstehen, wenn sie sagt, sie haut dir links und rechts eine runter, sobald sie dich mal trifft >.<
PARADOX: versuchs ruhig :p
PARADOX: aber um bis dahin groß und stark zu sein
PARADOX: iss was :3
Irgendwann kam der Punkt, an dem man sehen musste, dass man eine verlorene Schlacht ausfocht, und Ace wurde es allmählich klar. Er seufzte noch einmal tief, dann hievte er sich vom Bett hoch und trottete in Richtung seiner Zimmertür, mit gesenktem Kopf und traurig schlenkernden Armen, damit alle eventuellen Betrachter wussten, dass er ein armer, einsamer Widerstandskämpfer war, der letztendlich doch vor der Übermacht eines unterdrückerischen Regimes einknickte.
Er stolperte die Treppe herunter, kehrte in die Küche ein und biss sich gereizt auf die Lippe, während er den Blick schweifen ließ. Seine Mutter kaufte nicht oft Fertigprodukte, aber vielleicht hatte er diesmal Glück... nein. Nichts zu sehen.
Innerlich grollend schnappte er sich vorgerollten Pizzateig, ein Glas Tomatensoße, Belag und Käse, ehe er begann, ihn kunstvoll zu belegen und mithilfe von Käse, Salami und Maisrand den aussagekräftigsten bösen Smiley der Welt zu formen. Als er meinte, dass ihm die gesenkten Brauen und der genervte Mund gut genug gelungen waren, schob er die Kreation in den Ofen und setzte sich auf den Stuhl daneben, um sein Handy wieder zurate zu ziehen. Zuerst wurde bei Spidey geklagt.
StrangeGuy12: Mir ist laaaangweilig x.x
theSpidergirl: Du könntest was zu essen machen :D
StrangeGuy12: Stop it >.< Ihr erlebt da sicher voll tolle Abenteuer, und ich muss auf meine Scheißpizza warten!
StrangeGuy12: ...Erzähl das bloß nicht Para, sonst fühlt er sich gleich bestätigt
theSpidergirl: Whups
theSpidergirl: Ich hab das sicherlich nicht in dem Moment erzählt, als ich die Nachricht bekommen habe T.T
StrangeGuy12: Spidey!
StrangeGuy12: Ich dachte, du wärst auf meiner Seite!!
theSpidergirl: Es tut mir so leid T.T
Ace suchte immer noch ein Bild eines furchtbar gebrochenen Herzens zum Rüberschicken, bis er aufsah und registrierte, dass die Pizza essbar aussah. Der griesgrämige Smiley hatte durch die Blasen im Teig und den zerlaufenen Käse nur an Ausdruckskraft gewonnen, und Ace holte alles aus dem Ofen und machte sich große Mühe, den besten Winkel für ein eindrucksvolles Bild zu finden, fast so wie die Mädchen aus seiner Klasse, die die Kunst gemeistert hatten, irgendwelche Eisbecher zu fotografieren, als würden die sich für ein Magazincover bewerben. Das Bild der hasserfüllten Pizza wurde wortlos an Para geschickt, dann setzte er sich und begann zu essen. Ace fürchtete schon jetzt, dass es zuviel war, aber wenn ihm hinterher übel wurde, konnte man das auch noch in Paras Schuhe schieben, womit er sich durchaus einverstanden fühlte.
Als sein Bildschirm wieder aufleuchtete, war Aces Hand in Lichtgeschwindigkeit zurück am Handy.
PARADOX: 9/10
PARADOX: hast die symmetrie verkackt
Er gab sein Bestes, mit einer Hand zu tippen, während die andere noch Pizza schnitt. Jetzt, wo er seinen Magen füllte, schien dem tatsächlich klar zu werden, dass er doch ein klein wenig hungrig war.
StrangeGuy12: ich habe nichtmal auf die Symmetrie geachtet >.<
PARADOX: noch schlimmer
StrangeGuy12: lenk nicht ab!
StrangeGuy12: ich hasse dich!
PARADOX: niedlich :3
Aces Magen schlug einen kleinen Salto. Das war nicht fair! Er war beinahe 18 und seine tobende Wut ja wohl bitte ernstzunehmen! Para konnte ihn nicht einfach mit Zwei-Silben-Nachrichten aus dem Konzept bringen und sich dann noch nichtmal dafür entschuldigen!
Er lehnte sich zurück, bis er sich selbst überzeugt hatte, dass das ein ganz harmloses ‚niedlich :3' war, wie es sich heterosexuelle Jungen den ganzen Tag schrieben. Dann machte er sich wieder ans Tippen.
StrangeGuy12: q.q und? was habe ich alles verpasst
PARADOX: sei froh, dass du raus bist
PARADOX: ich hab uns für den nächsten boss musikbot in den chat geholt
PARADOX: jetzt singen duffy und bloodz was von backstreet boys und ich bereu den tag meiner geburt
StrangeGuy12: Machst du Witze? Das will ich miterleben! Q.Q
StrangeGuy12: Singst du nicht? D:
PARADOX: doch
PARADOX: wenn ich besoffen bin
PARADOX: ab einer bestimmten promillezahl hängst du auch nur über der schulter deines besten kumpels, tauschst tiefe blicke mit ihm und brüllst ihm bon jovi ins ohr
PARADOX: ich werd niemals kapieren, warum es noch leute gibt, die uns ernstnehmen
Grinsend schob er sich die letzten Pizzaviertel in den Mund, stellte den Teller in der Spüle ab, wusch sich die Hände und machte sich im Eiltempo wieder daran, die Treppen heraufzustolpern. Ace war klar, dass er noch ein bisschen sauer sein musste, allein schon, um sein Gesicht nicht zu verlieren, aber irgendwie war es unmöglich, diesen Leuten lange etwas übel zu nehmen. Auch Para. Vor allem Para. Und wehe, Spidey sang Disneylieder ohne seine Anwesenheit!