melody of memories | kai have...

By DreamcatcherH

190K 6.2K 1.1K

๐—ž๐—ถ๐—ป๐—ฑ๐—ต๐—ฒ๐—ถ๐˜๐˜€๐—ฒ๐—ฟ๐—ถ๐—ป๐—ป๐—ฒ๐—ฟ๐˜‚๐—ป๐—ด๐—ฒ๐—ป. ๐—ช๐˜‚๐—ป๐—ฑ๐—ฒ๐—ป. ๐—ง๐—ถ๐—ฒ๐—ณ๐—ฒ๐—ฟ ๐—ฎ๐—น๐˜€ ๐—ฒ๐—ถ๐—ป ๐— ๐—ฒ๐˜€๐˜€๐—ฒ๐—ฟ ๐˜€๐—ถ๐—ฒ ๐—ท๏ฟฝ... More

v o r w o r t
p r o l o g
e i n s
z w e i
d r e i
v i e r
f รผ n f
s e c h s
s i e b e n
a c h t
n e u n
z e h n
e l f
z w รถ l f
d r e i z e h n
v i e r z e h n
f รผ n f z e h n
s e c h z e h n
s i e b z e h n
a c h t z e h n
n e u n z e h n
z w a n z i g
e i n u n d z w a n z i g
z w e i u n d z w a n z i g
d r e i u n d z w a n z i g
v i e r u n d z w a n z i g
f รผ n f u n d z w a n z i g
s e c h s u n d z w a n z i g
s i e b e n u n d z w a n z i g
a c h t u n d z w a n z i g
n e u n u n d z w a n z i g
e i n u n d d r e i รŸ i g
z w e i u n d d r e i รŸ i g
d r e i u n d d r e i รŸ i g
v i e r u n d d r e i รŸ i g
f รผ n f u n d d r e i รŸ i g
s e c h s u n d d r e i รŸ i g
s i e b e n u n d d r e i รŸ i g

d r e i รŸ i g

3.7K 138 25
By DreamcatcherH

|Josefine|

„Erklärst du es mir irgendwann?"
„Nicht heute."
„Morgen?"
„Vielleicht..."

Mit leeren Augen starrte ich an die weiße Decke von Kais Schlafzimmer, die sich in der Dunkelheit allerdings wie ein schwarzes Loch vor mir auftat und jegliche positiven Gedanken aus meinem Kopf zu verschlucken schien. Zurück in meinem Kopf blieb nur eine dunkle Wolke aus unbeantworteten Fragen, Angst vor der Zukunft und unheimlichen Selbstzweifeln. Sie waberte in meinem Kopf und drückte schwer auf mein Herz, so schwer, dass sie mir den Schlaf raubte.

Ich drehte mich auf die andere Seite und mein Blick fiel auf Kai, der dem ersten Anschein nach tief und fest zu schlafen schien, aber wenn man schon mehrere Stunden wach neben ihm im Bett lag, wusste man, dass auch er sich im Schlaf unruhig von einer Seite auf die andere wälzte.

Immer noch spukten mir seine Worte von vorhin durch den Kopf und auch, wenn ich ihm glaubte, dass er mir irgendwann alles erzählen würde, war es doch unfassbar schwer zu akzeptieren, dass Kai noch Zeit brauchte. Ich wusste ehrlich nicht, wie viel Zeit ich ihm noch geben konnte, auch, wenn ich ihm gerne alle Zeit der Welt geben würde. Doch auch ich kam langsam durch diese ständige Ungewissheit und das Gefühl, Kai nicht helfen zu können, an meine Grenzen.

Vielleicht morgen, dachte ich an Kais Worte, doch tief in mir spürte ich, dass Kai noch Zeit brauchte und das nur gesagt hatte, weil ich ihn dazu gedrängt hatte. Er war noch nicht bereit dazu über seine Vergangenheit zu sprechen, doch leider betraf diese indirekt auch mich und unsere Beziehung, was die Situation um einiges erschwerte.

„Vielleicht morgen...", murmelte ich und gleichzeitig wusste ich, dass es falsch war, sich an diese erzwungene Aussage zu klammern. Auf der anderen Seite war sie wie ein Stück Holz, welches das Feuer in mir am Leben hielt und mich weiter an Kai und mich glauben ließ, während langsam auch ich in einen unruhigen Halbschlaf glitt.

Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich wieder wach und ein Blick auf mein Handy, das neben dem Bett auf meinem Nachttisch lag, zeigte mir, dass es kurz vor vier war.

Ich drehte mich wieder zu Kai um, der sich auch kurz bewegte und mit seinen Armen hin und her zuckte. Ich war schon halb wieder am Einschlafen, als ich plötzlich wieder etwas hörte.

„Wer seid ihr und was wollt ihr von mir?"

„Kai?", flüsterte ich und ich war mir jetzt sicher, dass Kais Stimme mich geweckt haben musste. „Bist du auch wach?"

Ich bekam keine Antwort und im fahlen Licht des Mondes, das durch die Spalten der Rollladen schien, konnte ich sehen, dass Kais Augen geschlossen waren. Er lag auf dem Rücken und seine Decke war ein Stück nach unten gerutscht, sodass sie seinen Oberkörper entblößte. Das fahle Mondlicht ließ seine Wimpern lange Schatten auf sein Gesicht werfen und betonte seine Wangenknochen. Seine Haare hingen ihm wirr in der Stirn, so als hätte er sich schon die ganze Nacht nur von einer Seite auf die andere gewälzt und sein Mund war leicht geöffnet.

Einmal mehr musste ich feststellen, wie gut er aussah und doch hinterließ der Anblick einen bitteren Beigeschmack, denn Kai wirkte erschöpft. Als würde er etwas schon viel zu lange alleine auf seinen Schultern tragen und das Gewicht schien ihn langsam aber sicher in die Knie zu zwingen.

„10 Jahre...", flüsterte ich und strich ihm sanft die braunen Locken aus der Stirn.

Seine Haare waren verschwitzt.

„Wann teilst du endlich diese Last mit mir?", murmelte ich, aber es war viel mehr ein verzweifeltes Flehen, welches meine Lippen verließ.

Doch Kai bewegte sich nicht mehr und ich redete mir ein, dass er bestimmt nur am träumen war und so legte ich mich wieder hin.

„Bitte, tut mir nichts, bitte! Ich hab euch doch nichts getan..." Kai stöhnte verzweifelt, während er sich auf der Matratze wandte und ein unbehagliches Gefühl kroch mir den Rücken empor.

Wieder hob ich meinen Kopf, doch Kai hatte immer noch die Augen geschlossen. Trotzdem spürte ich so langsam, dass mit Kai nicht alles in Ordnung sein konnte. Vorsichtig strich ich mit meinen Fingern über seinen Arm und wanderte in beruhigenden Kreisbewegungen über seine muskulöse Brust. Ich senkte beschämt den Blick, als mir bewusst wurde, dass ich gestarrt hatte und meine Wangen erröteten.

Kais zuckender Kopf lenkte aber schon im nächsten Moment wieder meine Aufmerksamkeit auf sich und beruhigend fuhr ich mit meiner Hand über seine Wange.

„Schhhhh...", flüsterte ich und rückte ein Stück näher zu ihm. Was auch immer er da träumte, es musste schrecklich sein.

„Bitte, bitte..." Sein verzweifeltes Flehen verpasste mir eine Gänsehaut.

„Hey, Kai..." Vorsichtig rüttelte ich an seinem Arm, um ihn zu wecken und schon im nächsten Augenblick schreckte Kai aus dem Schlaf. Ich zuckte zurück und sah Kais panischen Blick, der orientierungslos durch den Raum flog.

„Hey, es ist alles gut, ich bin hier.", sagte ich sanft und berührte vorsichtig erneut seinen Arm, um ihm zu zeigen, dass ich da war. Kai zuckte unter meiner Berührung zusammen und sein Kopf flog zu mir herum. Seine Augen fokussierten mich und als er mich erkannt hatte, verschwand die Panik aus seinen Augen. Er stieß erleichtert die Luft aus, dann sackte er augenblicklich wie ein Haufen Elend vor mir zusammen.

Ohne weitere Worte zog ich ihn zu mir rüber und in meine Arme. Dabei ignorierte ich seinen verschwitzten Rücken und seinen bebenden Oberkörper, denn das war mir gerade sowas von egal. Ich stellte keine Fragen, denn ich wollte nur hier sein und für ihn da sein.

Und das war ich.

Ich war hier und hielt ihn fest.

Genau wie Kai mich schon so oft festgehalten hatte.

~

„Willst du darüber reden?", fragte ich irgendwann leise in die dunkle Stille hinein, in der Kais Herzschlag sich langsam wieder beruhigt und seine Atmung sich normalisiert hatte. Entschlossen schüttelte Kai mit dem Kopf, aber ehrlich gesagt hatte ich mit dieser Reaktion gerechnet. Mit meiner freien Hand fuhr ich Kai langsam durch die verschwitzten Locken und nickte nachdenklich. Warum war Kai nur so verschlossen? Er wusste so viel über mein Leben und über die Probleme mit meiner Mutter, dass ich mich fast schon schlecht fühlte, ihm nicht helfen zu können.

Doch er ließ mich ihm einfach nicht helfen und gegen einen ausgetrockneten Wasserspeier, der das Wasser in sich hortete, aber niemals ausspuckte, war ich schlicht und ergreifend machtlos.

Dabei sollte gerade Kai, der auch immer das Bedürfnis hatte, mir helfen zu wollen, wissen, wie es mir mit der Situation ging. Dass ich mich schlecht und hilflos fühlte, ihn so leiden zu sehen und nichts tun zu können.

„Hast du das öfters?", murmelte ich, während ich mich ein wenig bequemer hinlegte, indem ich mich auf den Baucht drehte, zwischen Kais Beine rutschte und meinen Kopf auf seiner Brust ablegte. Mit meinen Fingern zeichnete ich gedankenverloren Muster auf Kais Oberarme und wartete auf eine Reaktion seinerseits. Aber Kai blieb still und ich hob, obwohl es im Zimmer fast ganz dunkel war, den Kopf an, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Dunkel zeichneten sich die Umrisse seines Gesichtes vor mir ab.

„Mhhh.", grummelte Kai und ich seufzte genervt. Das war sicherlich nicht die Antwort, die ich hatte haben wollen und langsam nervte es mich, dass ich Kai jede Information, zumindest was das angeht, aus der Nase ziehen musste.

„Bitte Kai. Sprich mit mir..." Ich versuchte geduldig mit ihm zu bleiben, aber meine Stimme war keine Stimme mehr, sondern nur noch ein leises und verzweifeltes Flehen, das meine Kehle verließ. „Nur wenn du mit mir sprichst, kann ich dir helfen. Und es wird einfacher, das verspreche ich dir."

Kais Brustkorb hob und senkte sich einmal stark und ich hörte, wie er tief Luft holte.

„Ich habe Angst vor Weihnachten.", murmelte er leise und so plötzlich, dass ich mit allem gerechnet hatte, aber nicht damit. Eine Stille legte sich über uns, weil ich mit meinem Gedanken in diesem Moment gnadenlos überfordert war und Kai vermutlich seine Zeit brauchte, um weiter zu sprechen.

Und doch passte dieser Satz nicht zu dem Kai, den ich aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte.

Kai hatte Weihnachten immer geliebt.

Weihnachten war das Heilight seines Jahres gewesen. Während ich auch schon als Kind nie so ein großer Fan von Weihnachten gewesen war, weil ich einfach nicht verstanden hatte, warum man sich in der Familie 364 Tage im Jahr stritt und dann an diesem einen Tag auf einmal alles in bester Ordnung sein sollte, war Kai genau das Gegenteil von mir gewesen.

Schon am Anfang der Adventszeit war Kai immer unfassbar aufgeregt gewesen, hatte immer direkt schon am ersten Wochenende im Dezember mit seinem Papa einen Tannenbaum kaufen wollen und mit seiner Mama versucht, das ganze Haus zu schmücken. Am zweiten Advent war dann seine Oma dran gewesen, die er immer dazu überredet hatte, mit ihm Plätzchen zu backen. Meistens waren das sogar so viele gewesen, dass nach Weihnachten noch welche übrig waren und niemand mehr Weihnachtsplätzchen sehen und essen konnte, außer Kai. Er hatte mit großer Freude auch nach Silvester noch die Restbestände der Kekse geplündert und tatsächlich hatte er auch noch an das Christkind geglaubt, als alle anderen Kinder in seinem Alter ihren Eltern schon längst einen Vogel gezeigt hatten.

„Eigentlich habe ich schon lange keine Albträume mehr.", fuhr Kai fort und holte mich so mit seiner Stimme in die Gegenwart zurück. „Ich hatte sie als Kind eine Zeit lang, immer und immer wieder, aber in den letzten Jahren hatte ich das gut im Griff. Dass das ganze jetzt wieder hochgekommen ist, liegt vermutlich daran, dass ich so Angst vor Weihnachten habe. Aber das wirst du in den nächsten Tagen vermutlich schon noch früh genug verstehen Esel..."

Ich nickte und fragte nicht weiter nach. Auch, wenn ich nicht viel erfahren hatte, war ich unfassbar dankbar für den Teil, den Kai mir erzählt hatte. Ermutigend und auch ein wenig stolz auf ihn, rutschte ich zu ihm hoch, fuhr mit meinem rechten Daumen behutsam über seinen Wangenknochen und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. Kai schlang seine Arme um meinen Rücken und hielt mich fest, sodass ich mich seinen Lippen nicht gleich wieder entziehen konnte und er erwiderte den Kuss.

„Danke.", flüsterte ich schließlich außer Atem gegen seine Lippen, als er sich wieder von mir gelöst hatte. „Danke, dass du das mit mir geteilt hast. Egal was kommt, wir schaffen das zusammen. Und wir schaffen auch Weihnachten zusammen, da bin ich mir sicher..."

Ich hatte noch Fragen, natürlich hatte ich das, aber wie Kai schon gesagt hatte, den Rest würde ich schon noch früh genug erfahren. Für diesen Moment wusste ich genug und es erfüllte mich mit unglaublicher Wärme, dass Kai sich mir geöffnet hatte. Zufrieden kuschelte ich mich an ihn.

Es war zwar nur ein Stück, aber es war ein Anfang.

Ein kleiner Anfang, auf den noch großes Folgen würde.

~

7:56 Uhr. Mit müden Augen starrte ich auf mein Handy, hob meinen Blick auf die schnell an mir vorbei ziehende Landschaft und fragte mich, wie mein Leben jetzt wohl aussehen würde, wenn ich Kai nicht in Köln wiedergetroffen hätte.

Eine Antwort auf diese Frage fand ich nicht, aber vermutlich wäre es schwarz, weiß und grau. Denn Kai war mein Regenbogen am wolkenbehängten Himmel, meine Farbflecken auf der schwarz-weißen Wand und meine bunten Streusel auf dem dunkeln Schokokuchen.

Die Landschaft war grau an diesem 23. Dezember, so kurz vor Weihnachten und die dunklen, tiefhängenden Wolken kündigten Schnee an. Auf den matschigen Wiesen und den kahlen, an uns vorbeiziehenden Bäumen, die im Winter immer aussahen, als hätte auch der letzte Funken Leben sie verlassen, lag eine dünne Frostschicht, die nur ansatzweise andeutete, wie kalt es über die letzte Nacht geworden war.

Mein Blick wanderte von der trostlosen Landschaft zu Kai, der links von mir am Steuer seines sündhaft teuren Sportwagens saß und uns geschickt auf die A4 lenkte. Die Autobahn, die unser altes Zuhause mit unserem neuen Leben verband und quasi unsere Gegenwart an unsere Vergangenheit anknüpfte.

Sein Blick lag konzentriert auf der Straße und dennoch sah ich, dass er sich sorgen machte. Seine Mundwinkel waren zusammengepresst, sein Kiefer angespannt und seine Fingerspitzen trommelten unruhig auf seinem Lenkrad.

Ohne ein Wort zu sagen, legte ich beruhigend meine Hand auf seinen Oberschenkel, einfach um ihm zu zeigen, dass er nicht alleine war. Sein Kopf zuckte für eine Sekunde zu mir herüber und ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Was auch immer ihm so große Angst vor Weihnachten bereitete, wir würden das gemeinsam schon schaffen. Daran glaubte ich aus vollster Überzeugung, auch wenn ich die Hintergründe seiner Angst noch gar nicht kannte.

Manch einer würde mich deswegen vielleicht als naiv bezeichnen, aber ich glaubte stets an das Gute im Leben. Und ja, vielleicht war das naiv, aber ich konnte besser damit Leben, wenn ich wusste, dass ich nicht ständig unnötig Trübsal geblasen hatte. Das Leben war viel zu kurz, um sich immer nur Sogen und Gedanken zu machen. Das Leben war ein Risiko. Und ich nahm das Risiko auf, mit all meinen Hoffnungen und Träumen, enttäuscht zu werden. Denn so war das Leben. Hart und Brutal.

Aber nur wer Hoffnung hatte, konnte gewinnen. Wer alle Hoffnung schon vor dem Ende aufgab, der hatte schon verloren. Und ich würde so lange an ein schönes Weihnachten glauben, bis die Realität mir zeigen würde, wo es lang ging. Und ich würde auch genauso lange an Kai und mich glauben, bis ich die Wahrheit wusste. Bis Kai mir alles, was damals passiert war, erzählt hatte. Was danach kam, wusste ich nicht. Das wusste niemand. Aber ich war bereit es herauszufinden.

Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber es musste etwas mehr als eine Stunde vergangen sein, als Kai den Wagen geschickt in die schmale Auffahrt des Einfamilienhauses lenkte und zum Stehen kam.

Es war das erste Mal, dass ich an diesen Ort zurückkam, von dem ich damals so unwirsch weggeschickt worden war. Das erste Mal, dass ich an den Ort zurückkam, an dem sich die Hälfe meiner Kindheit abgespielt hatte und Erinnerungen überkamen mich.

Kai und ich im Frühling, wie wir gemeinsam die zaghaften Sonnenstrahlen nutzten und die ersten blühenden Krokusse und Schneeglöckchen im Garten pflückten, um Kais Mutter einen Blumenstrauß zu schenken. Ihr Gesicht hatte allerdings gezeigt, dass sie sich wahrscheinlich mehr gefreut hätte, wenn wir die Blumen im Garten gelassen hätten.

Kai und ich im Sommer, wie wir zusammen im Planschbecken herumalberten und uns Wasserschlachten lieferten, bis sowohl Garten, als auch Haus unter Wasser standen. An diesem Tag bekamen wir Hausverbot und mussten die Nacht draußen schlafen.

Kai und ich im Herbst, wie wir zusammen Kastanien sammelten und auf den umliegenden Wiesen hunderte Grashüpfer fingen, die wir dann im Haus freiließen. Dieser Tag endete in einem Wutausbruch seiner Mutter.

Und Kai und ich im Winter, wie wir zusammen einen Schneemann bauten, Schlitten fuhren, heißen Kakao tranken und Weihnachtsplätzchen aßen, die Kai zuvor mit seiner Oma und mir gebacken hatte und dabei fast das Haus in Brand gesteckt hatte.

Keine dieser Erinnerungen war perfekt. Sie hatten alle Ecken und Kanten. Aber jetzt, wo ich hier mit Kai auf der Fußmatte seines Elternhauses stand, tat es gut, dass es Ecken und Kanten gab, an denen ich mich festhalten konnte. An die ich mich erinnerte und die mir halt gaben, gerade weil sie so perfekt unperfekt waren.

Ich griff nach Kais Hand und er drückte sie einmal fest.

„Ich hoffe, Lea hat meine Eltern schon eingeweiht.", murmelte Kai, während er entschlossen auf die Klingel drückte.

Sofort hörte man Paul, den Hund der Familie bellen und Schritte, die sich der Tür näherten. Lea öffnete uns die Tür und Kai schien erleichtert, als er sie erkannte und sie uns hinein bat.

„Mama und Papa sind nicht erfreut, dass ich dich eingeladen habe.", murmelte Lea kleinlaut, während sie mir meine Jacke abnahm. „Sie warten im Wohnzimmer auf euch."

Kais Eltern waren also schon eingeweiht. Auf der einen Seite hatte ich Angst, vor dem, was jetzt als nächstes folgen würde. Auf der anderen Seite war ich aufgeregt. Denn vielleicht war jetzt der Moment gekommen, indem ich endlich erfahren würde, warum diese Familie seit Jahren ein Problem mit mir, mit meinen Eltern und mit meinen Großeltern hatte. Vielleicht würde ich jetzt endlich erfahren, warum ich damals an der Haustür weggeschickt wurde. Warum diese innige Freundschaft zwischen den beiden Familien in die Brüche gegangen war.

Seit Jahren wartete ich auf diesen Moment und trotzdem fühlte ich mich alles andere als bereit dafür.

Aber vielleicht war es jetzt an der Zeit, der Wahrheit endlich ins Auge zu blicken.

Continue Reading

You'll Also Like

6.6K 123 32
Hab langeweile
68.9K 7.2K 61
"Ich bin ein Krankenpfleger! Meine Aufgabe ist es kranke Menschen zu versorgen und nicht den Babysitter eines verwรถhnten Idols zu spielen!" Die Augen...
102K 4.2K 114
Der zweite Teil meiner Oneshot-Bรผcher:) Wรผnsche kรถnnt ihr jeder Zeit per Privatnachricht an mich รคuรŸern und ich werde dann versuchen, sie umzusetzen...
96.8K 4.3K 135
Sophia verliert bei einem Autounfall beide Elternteile. Weitere Familie hat sie nicht. Sophia ist 14 Jahre alt, als sie ihre Eltern verliert und vor...