31 ~ Näher und näher

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„Haben Sie noch nie etwas von Tischmanieren gehört?", fragte Fiona Hopps und zog angewidert die Nase kraus. Taluna war das egal, es interessierte sie ohnehin nicht, was dieses Weib von ihr dachte. Gierig verschlang sie ein Sandwich nach dem anderen und leerte dazu zwei Wasserflaschen. Ihr Magen rebellierte erst gegen die plötzlichen Nahrungsmengen, ehe er zufrieden mit seiner Arbeit begann. Taluna hätte am liebsten geseufzt – satt zu sein war ein herrliches Gefühl.

Ebenso, wie sauber zu sein. Sollte sie ihr Zeitgefühl nicht vollkommen täuschen, musste es bereits Dienstag sein. Es war morgen gewesen, als unerwartet vier bis an die Zähne bewaffnete Männer in ihre Zelle gestürmt waren. Gewaltsam hatten sie sie an Händen und Füßen gefesselt – dabei hatte sie sich nicht einmal wehren wollen. Sie war nicht erpicht auf eine Kugel in ihrem Körper und die Männer hatten auch keinen besonders feindseligen Eindruck gemacht gehabt.

Im Nachhinein war sie ihnen wegen der groben Behandlung nicht einmal böse gewesen, denn sie hatten sie in ein spärlich eingerichtetes Bad gebracht. Wände, Boden und Decke waren weiß gefliest gewesen, ein Duschkopf an der Wand und eine Toilette hinter einem kleinen Sichtschutz waren die einzige Einrichtung gewesen. Man hatte ihr ein Stück Seife und ein Handtuch hinterhergeworfen und anschließend die Tür verriegelt. Taluna hatte sogar ein Lächeln zustande gebracht.

Ohne sich um Beobachter zu scheren, hatte sie ihre Notdurft verrichtet – nach einer Woche, wie ihr schien – und sich gründlich geduscht. Mehrmals sogar. Sie war gerade fertig gewesen, da hatten die vier Gorillas sie wieder in ihre Mitte genommen und zurückgebracht. Doch die Überraschungen hatten damit noch kein Ende gefunden. In ihrem Gefängnis hatten tatsächlich ein T-Shirt und eine Hose gelegen. Zugegeben, weiße Baumwolle und schwarze Trainingshose waren nicht der letzte Schrei, doch Taluna war das egal. Endlich konnte sie sich wieder in einen Menschen wandeln.

Nun dieses Essen – sie kam sich fast vor wie in einem Hotel. Zugegeben, eines mit maximal einem halben Stern, aber immerhin. Lediglich die Anwesenheit und die missbilligenden Blicke dieser Menschenfrau machten ihre neue Zufriedenheit zunichte. Der Boden stand wieder unter Strom und Fiona Hopps ging vor ihr auf und ab, beobachtete jede ihrer Gesten. Es fehlten lediglich die Gitterstäbe und Taluna hätte sich wie ein Tier im Zoo gefühlt. Ein Tier in einem alten, schäbigen Zoo.

Provokant sah sie der Frau in die Augen und biss genüsslich in den Apfel, der scheinbar für ihre Gesundheit gedacht war.

'Ein Apfel am Tag, den Doktor gespart', zitierte Taluna in Gedanken ein altes Sprichwort. Ms Hopps' Lippen verzogen sich nach unten und sie blieb mit verschränkten Armen stehen. Ihr konservativer Rock und die weiße Bluse ließen sie aussehen, als würde sie eigentlich in einer Bank arbeiten. Sie sah so normal aus. Taluna hatte sich irre Foltermeister eigentlich immer – na ja, exzentrischer und unangepasster vorgestellt.

„Meine Manieren sind mir in dem Moment abhanden gekommen, als Sie mich in diesen stinkenden Sack gestopft haben", beantwortete sie die Frage, die ihr die Frau vor einigen Minuten gestellt hatte.

„Naja, Sie sind ja schließlich auch ein Tier", kam die prompte Erwiderung.

Taluna war versucht, ihre Augenbrauen fragend hochzuziehen. „Ein Tier?"

„Natürlich."

„Wieso denn das?" Entspannt lehnte sich Taluna an die Mauer in ihrem Rücken und biss wieder von dem Apfel ab.

Ms Hopps begann wieder auf und ab zu gehen. „Sie können sich Fell und Krallen wachsen lassen. Sie haben einen Beutetrieb."

„Warum füttern Sie mich dann nicht mit einem blutigen Steak, als mit Sandwich und Obst?"

Die dunkelbraunen Augen verengten sich und sie stieß ungehalten die Luft aus. „Verarschen Sie mich nicht, Ms Giordano."

„Auf keinen Fall. Ich führe nur Ihre Überlegungen weiter." Am liebsten hätte Taluna gelacht, hinterhältig und schmutzig. Sie würde dieser Frau gern mehr antun, als sie nur auf die Schippe zu nehmen.

Love Me WildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt