10 ~ Gewitzte Großmütter

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Die Sonne war dem Horizont schon nahe, als Taluna und Eric sich auf eine freie Bank plumpsen ließen.

„Meine Beine bringen mich um", jammerte Taluna und sah auf ihre staubigen Ballerinas. Wortlos reichte Eric ihr eine Flasche Wasser, die sie zuvor gekauft hatten. Seine hatte er schon geöffnet, hatte angesetzt und beinah in einem Zug die halbe Flasche leer getrunken.

„Frag erst mal mich. Ich bin morgen sicher heißer." Und tatsächlich, Erics Stimme krächzte schon verdächtig.

Mittlerweile war es fünf Uhr nachmittags und beide waren vollkommen erschöpft. Anfangs war es ihnen gar nicht so viel vorgekommen. Doch sie hatten allein eineinhalb Stunden gebraucht, um sich einen groben Überblick mit einigen brauchbaren Aufnahmen zu verschaffen. Aber der Marathon hatte begonnen, als sie mit den Interviews angefangen hatten. Manche liefen wirklich gut und sogar Taluna hatte aufmerksam zugehört. Doch dann waren sie zu einem hageren Mann gekommen, dem ein altes Kinderkarussell gehörte. Dieser hatte einfach nicht mehr aufhören wollen zu reden.

Taluna hatte unhöflich werden müssen, damit sie endlich von ihm loskamen. Eric, der eigentlich zu professionell war, um auch nur ansatzweise ausfallend zu werden, hatte sie dankbar angelächelt. Anschließend waren sie so schnell wie möglich zu ihren restlichen Opfern gegangen. Eric hatte sogar den Akku des Digitaldiktiergeräts tauschen müssen, weil sie so viel Material zusammengetragen hatten.

„Das wir ein schönes Stück Arbeit. Den Montag über kann ich mich schon mal im Büro einschließen." Seufzend drehte Eric den Verschluss wieder auf die Flasche und streckte seine Beine aus. Prüfend blickte Taluna auf die Anzeige ihrer Kamera – der Speicher war halb voll. Wenn man bedachte, dass sie eine fünf GB Speicherkarte benutzte, war das allerhand. Müde schloss sie die Augen und lehnte sich zurück. Sie saßen etwas abseits des fröhlichen Treibens und Taluna wagte es, ihre Sinne etwas schweifen zu lassen.

Erics intensiver Geruch war das Erste, was ihre Nase registrierte. Es war ein vertrauter Geruch nach warmem Fell und frischer Minze. Einige Zeit hatte sie ihn immer damit aufgezogen, dass er als Kind sicher zu viele Kaugummis verschluckt hätte und deshalb nach Minze roch. Erics Rache war furchtbar gewesen. Er hatte sie heimlich beim Kuchenessen fotografiert und natürlich genau in dem Moment abgedrückt, als ihr Mund total mit Schokolade verschmiert gewesen war. Nachdem das Bild zusammen mit einem gemeinen Text die Runde in der Firma gemacht hatte, hatten beide einen Waffenstillstand geschlossen. Seither war das Bild auch nie wieder aufgetaucht – Gott sei Dank.

Sofort nach Erics Witterung roch Taluna das Frittierfett der Buden, die Zuckerwatte, die Würstchen und natürlich die Schokoladenfrüchte. Darunter mischte sich der unverkennbare Geruch von Menschen und Nairi. Es war eine wilde Mischung aus Rosen, Moschus, Jasmin und ... Zitrone. Misstrauisch öffnete Taluna wieder ihre Augen und sah sich unauffällig um. Als sie begann möglichst ungesehen zu schnüffeln, drehte Eric sich zu ihr um.

„Darf ich fragen, was du da machst?"

„Aber nur, wenn du mir versprichst nicht zu lachen."

Verwirrt hob Eric eine Augenbraue, sagte dann aber: „Ok, ich halte dich nicht für verrückt." Geräuschvoll atmete Taluna die Luft aus, diese in ihren Lungen gesammelt hatte. Und begann wieder schnuppernd einzuatmen.

„Schon seit Tagen habe ich das Gefühl, als wäre mir jemand auf den Fersen. Letzten Donnerstag hatte ich dann seinen Geruch in der Nase. Er gehört eindeutig nicht hier her."

„Wie meinst du das, 'er'? Ist es ein Mann?" Taluna nickte nur und suchte weiter. Der Geruch kam eindeutig von der kleinen Baumgruppe zu ihrer Linken. Ganz unverkennbar Zitrone und Sandelholz.

„Und was willst du jetzt machen?", fragte Eric und atmete seinerseits prüfend ein.

„Keine Ahnung... Das letzte Mal hat der Wind zu schnell gedreht. Aber dieses Mal bin ich mir sicher, dass er links von uns bei den Bäumen steht." Mit kleinen Bewegungen öffnete Taluna die Tasche ihrer Kamera und schaltete diese ein. Das Display leuchtete auf und Taluna legte den Fotoapparat unauffällig auf ihren Schoß.

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