F ü n f z e h n

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"Hast du Lust mit mir etwas zu laufen? Nicht viel. Nur eine halbe Stunde oder so?", fragte ich schließlich Linn nach ein paar Minuten Schweigen.
Sie saß etwas schmollend da und sah nachdenklich in die Ferne. "Vielleicht ein anderes Mal. Ich muss heute auf den Typ von den Wasserwerken warten, damit er die Leitungen kontrolliert."
"Sind deine Eltern schon weg?", fragte ich verwirrt nach und blickte zum Haus hoch.
"Sie sind neue Matratzen kaufen gegangen.", erklärte Linn schulterzuckend und stand auch auf.
"Nur Matratzen? Kein Bett?", hackte ich belustigt nach.
"Ich hatte in der Nacht eine Idee.", fing sie mit einem kindlichen Ausdruck zu erklären an. "In meinem Zimmer kann man die Kommoden zusammenschieben, weil die sind alle gleich groß und nicht wirklich hoch. Dann kann man so eine Platte drüberlegen und dann die Matratze drauf. Verstehst du? Also so ein Bett mit Kästen unten." Sie leuchtete förmlich, während sie mir das erklärte. Ich lachte auf. Sie sah so glücklich aus, dass es beinahe schon herzerwärmend war.
"Das klingt echt gut. Auf jeden Fall ziemlich interessant."
Sie nickte anerkennend und fing an die Decke zu falten.
"Na dann. Wir sehen uns bestimmt heute wieder.", sagte ich grinsend und steckte mir meine Kopfhörer wieder ein.
"Tschüss Noah."

Langsam verschwand sie mit ihrer Decke, Tasse und meiner Zigarettenpackung ins Haus und schloss die Tür hinter sich ab. Ich lief bis zur ersten Kurve und blickte mich nochmal um. Keiner zu sehen. Mit großen Schritten kam ich im Wald an und verwandle mich in der Mitte davon. Mein innerer Wolf würde sich auch freuen, wenn er nach dem ganzen Drama wieder raus darf.

Ich lief geschmeidig etwas in unserem Gebiet herum und stand dann plötzlich bei der Grenze. Bevor ich mich umentscheiden konnte, lief ich in das nebenstehende Territorium und schaute es durch. Wir wissen, dass hier ein Rudel gelebt hat, aber ich konnte vorgestern mit Jason und Amy weder das Packhaus, noch ein Rudelmitglied finden. Außer meine Mate gehörte zu ihnen, wovon wir ausgehen, aber noch nicht ganz sicher sind.

Mein Wolf blieb stehen und zwang mich plötzlich dazu, mich auf den Boden zu legen. Eine riesige Welle voller Müdigkeit überkam mich. Kaum war mein Kopf am Boden angekommen, driftete ich in das Schlafreich.

Geweckt wurde ich von zwei fremden, ausgewachsenen Wölfen. Eine Wölfin mit hellrotem Fell und schwarzen Augen sah mich neugierig an, hinter ihr stand ein dunkelbrauner Wolf mit gelblichen Augen.
Ich sprang erschrocken auf und entfernte mich etwas von ihnen. Leise knurrte ich auf. Bedrohlich sah ich die beiden zusätzlich an, die mich auch im Auge hielten. Der männliche Wolf zeigte fragend mit seiner Schnautze in die Richtung von unserem Gebiet. Ich nickte langsam.

Beide bleiben stehen und sahen sich fragend an. Es schien so, als ob sie mitten in einer Diskussion wären. Der dunkle Wolf entfernte sich als erstes von mir, die Wölfin blieb noch kurz stehen und sah mich prüfend an, doch dann lief auch sie weg.

Eine Sekunde überlegte ich ihnen zu folgen, aber ich entschied mich dann dagegen. Es wäre sowieso sinnlos gewesen. Die Wege der beiden Wölfe trennten sich nach wenigen Metern; die wären wahrscheinlich so lange gelaufen, bis sie mich abgeschüttelt hätten. Stattdessen stürmte ich wieder zurück zu unserem Gebiet und rannte die betonierten Stufen hinter unserem Haus, natürlich in Menschenform, hoch.

Wie ein Wirbelwind stürmte ich im Haus wild hin und her auf der Suche nach meinem Vater. "Noah! Was soll das? Du hast deine schmutzigen Schuhe noch an!", hörte ich Mama rufen.
"Wo ist Papa?", rief ich außer Atem zurück und kam die Stufen wieder runter.
"Arbeiten.", sagte Mama ganz selbstverständlich. Verwirrt nahm ich mein Handy heraus. Es war kurz vor 12.
"Ich hab 3 Stunden geschlafen?", fragte ich eher mich als meine Mutter.
"Noah, geht es dir gut? Irgendwie macht das, was du sagst keinen Sinn." Besorgt legte mir Mama eine Hand auf die Stirn, die ich genervt abschüttelte. "Warm bist du nicht."
"Ich komm gleich wieder."

Schnell wählte ich die Nummer meines Vaters und ging zur Haustür. Nein, es ist besser wenn ich im Haus bleibe. Auf dem Absatz machte ich kehr und blieb vor Mama stehen, die mich noch immer so ansha, als wäre ich ein achtes Weltwunder.
"Papa?"
"Noah. Ist etwas passiert? Ich hab gerade Mittagspause." Auch Papa klang leicht besorgt. Wir rufen ihn selten während seiner Arbeitszeiten an, nur bei wirklichen Notfällen.
"Ich bin im nebenstehenden Territorium auf zwei ausgewachsene Wölfe gestoßen."
"Warte was? Bist du ihnen gefolgt? Weißt du wer sie sind?", fragte mich Papa noch schneller.
"Nein und nein." Papa knurrte am anderen Ende der Leitung kurz auf, weswegen ich tief Luft nahm.
"Aber ich hab das Gefühl, dass sie ganz von selbst kommen werden. Sie haben mich so fragend angeschaut und auf unser Gebiet gedeutet. Es wirkte nicht so, als ob sie böse Absichten hätten. Außerdem sind sie auf verschiedenen Wegen von mir weggelaufen, die wollten mich abhängen.", erklärte ich.
"Was sollen wir jetzt machen?"
"Vielleicht wäre es jetzt am Besten zu warten. Sie könnten von selbst zu uns kommen, wenn sie checken, dass wir nichts böses wollen."
Papa sagte eine Zeitlang nichts, was mir Angst machte. "Zumindestens wissen wir, dass noch Wölfe drüben sind. Sind dir die Gerüche bekannt vorgekommen?"
"Sie waren ausgewachsen und markiert, aber ich hab das Gefühl, dass ich sie schon einmal gerochen habe. Es kann sein, dass ich sie vorgestern im Wald kurz gerochen habe, oder so."
"Okay. Wir reden dann später, wenn ich nach Hause komme.", beschloss Papa und legte auf.

Mama sah mich noch besorgter an. "Ich hab gedacht, dass du mit Jason joggen gehen wolltest?"
"Sein Vater ist heute gekommen.", meinte ich genervt und ging an ihr vorbei.

Jasons Eltern sind getrennt. Sein Vater hat sich gegen seinen Wolf gestellt und seine Mate verlassen. Er lebt jetzt mit einer deutlich jüngeren Frau, die noch zusätzlich ein reiner Mensch war, in einer anderen Stadt und kommt nur ab und zu vorbei, um Jason zu sehen.
Jason hat aber den Respekt zu seinem Vater verloren, an dem Tag, an der er herausfand, dass er seine Mutter betrogen hat. Die Vater-Sohn-Beziehung der beiden starb seit da an mit jeden Tag immer mehr, bis Jasons Vater die Scheidung wollte und Jason ihn in einem Wutanfall als Vater aberkannte.

Mein Handy vibrierte in meiner Hand, als ich in mein Zimmer trat und mir neue Anziehsachen holte. Ich brauchte unbedingt eine Dusche, um mir alle Sorgen wegzuspülen.

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