S e c h s u n d z w a n z i g

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~ Linn ~

Hinter mir tauchte ein komisches, fast schon saftliches Geräusch auf. Vor Schreck quietschte ich auf und sah in die lustlosen - fast schon leblosen - Augen von Noah. Er aß gerade einen Apfel und hatte eine Hand in seiner Hosentasche verstaut. Komischerweise trug er ein T-Shirt, dass ihm etwas eng anlag. Was war mit ihm passiert? Es ist doch wohl nicht gestern Abend etwas noch schlimmeres passiert?
"Mann, bist du schreckhaft.", meinte er zwischen zwei Bissen. Erschrocken versteifte ich. Irgendwie hatte ich gehofft, dass er nicht redet.
"Wo kommst du denn her?" Er zuckte auf meine Frage nur trüb die Schultern und blieb stehen.
"Die bessere Frage ist eher: Was machst du hier?" Seine Stimme machte einen monotonen Anschein und klang angeschlagen, als hätte er die ganze Nacht geschrien. Misstrauisch kniff ich die Augenbrauen zusammen.
"Amy hat mich gefragt, ob ich zu ihr kommen kann."
"Warum stehst du dann hier so lange herum?", sagte er automatisch. Wie lange hat er den Apfel schon hinter mir gegessen? Eine Standpauke an meine Wölfin wäre langsam mal angebracht. Sie kann mich doch nicht einfach sinnlos da lassen!
"Ich weiß nicht mehr genau welches Haus ihr gehört.", gab ich Noah zweifelnd zu. Er stellte sich neben mich und zeigte mit dem Apfel auf das hellgelbe Haus mit dem prunkvollen Garten und den zwei Garagen.
"Ihre Eltern haben eine Gärtnerei und ihre beiden älteren Brüder sind Mechaniker." Genau das hatte sie mir auch gestern erzählt. Genervt schloss ich für einen Moment die Augen.
"Danke."

Kommentarlos ging er an mir vorbei und ging auf das nebenstehende hellgrüne Haus zu. Mit der rechten Hand wollte er die Klingel betätigen, aber dann fiel ihm auf, dass da der Apfel ruhte. Daraufhin hämmerte er mit der linken Hand gegen die Tür. Er schien genauso verloren zu sein, wie ich heute.

"Linn? Kommst du?" Plötzlich stand Amy in Jogginghose und einem übergroßen T-Shirt im Türrahmen ihres Hauses. Sie sah auch mit den Nerven am Ende aus. Als ich näher kam, breitete sie schmollend die Arme aus und empfing mich in einer langen Umarmung.
"Danke, dass du gekommen bist.", flüsterte sie mir zu und drückte mich noch fester.
"Du wärst doch auch für mich gekommen.", murmelte ich in ihre Schulter. Die Bindung zwischen mir und Amy wuchs gefühlt jede Minuten und ich wusste nicht woher das kam, doch wollte es auch nicht in Frage stellen. Vielleicht lag es daran, dass wir beide Werwölfe sind.
"Es tut mir leid, dass ich gestern nicht rangegangen bin, als du angerufen hast, aber es ist etwas pas-", fing sie angeachlagen an, doch wurde unterbrochen. Die Tür von Jasons Haus wurde laut zugeschmissen und ein miesgrimmiger Noah ging mit großen Schritten auf den Ausgang der Siedlung zu. Könnte es sein, dass Jason mehr als nur die Kopfverletzung passiert ist. Atemlos versuchte ich die Gedanken an seinen womöglichen Tod zu verdrängen. Amy hatte es doch erwähnt, doch sie hatte nicht wirklich Zeit mit mir zu reden. Verdammt! Ich hätte ihm gestern helfen sollen.

"Noah!", rief Amy mit einer besorgten Stimme.
"Scheiße.", fluchend bliebt er vor ihrem Gartentor stehen und sah nachdenklich die Straße hinab. "Ich hab den Apfel vergessen."
"Noah!", rief Amy noch einmal. Er sah sie finster an und setzte sich wieder in Bewegung.
"Verdammt Noah!" Ignorierend marschierte er die Straße hinab.

"Amy.", flüsterte ich leise. Sie blickte Noah mit stark durchbluteteten Augen hinterher. Hatte sie so viel geweint? "Was ist passiert?", fragte ich sie sanft nach und zog sie in eine weitere Umarmung. Eine von uns beiden brauchte es. Okay, vielleicht brauchten wir es beide.
"Ich hätte gestern mit dir gehen sollen.", platzte es aus ihr heraus und sie fing an zu weinen. Beruhigend strich ich ihr über den Rücken.
"Quatsch, vielleicht hätte ich auch einfach bei dir bleiben sollen.", gab ich zweifelnd zu. Dann wüsste ich zumindestens mehr darüber, was nun passiert ist.
"Komm ins Haus.", sagte sie nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hat und ergriff meine Hand.

Ihr Zimmer war gar nicht so, wie ich es von ihr erwartet hätte. Die Wände waren in einem schlichten weiß gehalten, während ihr Bett und ihr Schreibtisch schwarz waren. An der Wand gegenüber vom Bett, mit einer derzeit pinken Bettwäsche, hing ein riesiger Fernseher. Links und rechts neben dem Fenster standen Kleiderschränke mit jeweils einer schwarzen und einer Spiegeltür und genau unter dem Fenster war der Schreibtisch.
"Wow. Dein Zimmer ist echt cool."
"Mhm." Trüb setzte sie sich auf eine Bettkante.

ᴡᴇʀ ᴠᴏɴ ᴜɴꜱ ʜᴀᴛ ᴀɴɢꜱᴛ ᴠᴏʀ ᴅᴇᴍ ʙᴏ̈ꜱᴇɴ ᴡᴏʟғ? ✔️Where stories live. Discover now