5. Revolution

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Revolution  

"Töricht!",schimpft Celias Mutter genau in dem Moment, in dem ihre flache Hand auf Celias Wange trifft, "äußerst töricht! Was hast du dir nur wieder dabei gedacht?!"

Celia verzieht keinen Muskel in ihrem Gesicht, keine Wimper zuckt, ihre Mimik ist kühl und ihr Ausdruck gleichgültig. Ihre Augen machen der ihrer Mutter Konkurrenz, sie sieht mit eiskaltem Blick in jene, unterdrückt lediglich die Kälte, die ihr die Knöchel hochfährt.
Sie kam gerade erst von draußen rein.

"Ich sagte dir, dass ich ausgehe. Wo ist das Problem, Mutter?",sagt sie, keine Emotionen aus der sonst so sanften Stimme zu entnehmen.

"Du warst die ganze Nacht weg! Celia, mein Gott! Weißt du, wie große Sorgen ich mir machen muss? Ich war kurz davor, die örtliche Polizei einzuschalten. Dein Verhalten in letzter Zeit ist äußerst fatal und dumm. Was geht nur in deinem Kopf vor?"

Celia antwortet nicht, zieht die Ärmel ihres Mantels lediglich über ihre Hände und zieht sich die schweren Stiefel aus.

"Sag doch etwas, Lucien! Kannst du dieses Verhalten verstehen?"
Lucien, der nur in den Küchenschränken gräbt und zur selben Zeit den Abwasch macht, dreht sich um und sieht die beiden mit einem leeren Ausdruck an. Dann schüttelt er schließlich seinen Kopf, so wie immer, wenn seine Mutter etwas fragt. Er räuspert sich, als wolle er sich unsichtbar machen und dreht sich wieder um.

Die Mutter atmet tief ein, muss ihre bösartigen Bedürfnisse mit Anstrengung verdrängen, versucht daher lieber, sich auf ihre Atmung und den zu schnell schlagenden Puls zu konzentrieren. Ihre Haut ist heute faltiger, das Haar gräulicher, sie sieht ältlicher aus, beinahe schon gebrechlich.

"Auf dein Zimmer!",zischt sie schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen und mit wütend flammenden Augen, "ich will kein Wort mehr von dir heute hören!"

Mit den Worten stürmt Celias Mutter schließlich in den nächsten Raum und nimmt ihre Kreuzkette mit. Vermutlich würde sie nun beten. Lucien dreht sich kurz zu Celia, hat einen blitzblanken, weißen Festtagsteller in der Hand, der in seinen dunkelbraunen Augen reflektiert. Er sieht kurz so aus, als wolle er etwas sagen, doch dann beißt er sich lediglich auf die Unterlippe und fährt fort.

"Heute bin ich die Wütende",kündigt Celia an, als sie wie jeden Tag in den Kunstraum Arabellas eintritt. Jemima und eben genannte sitzen schon auf den Stühlen, unterhalten sich lächelnd, während sie eine nach der anderen Tasse schwarzen Kaffee trinken.

Die beiden drehen sich zu Celia, die sich von der überflüssigen Kleidung löst und sich dann zu den anderen dazusetzt.
"Na Hallo, Océane",begrüßt Jemima sie und zwinkert ihr zu.
"Erzähl es uns, aber trink zu erst etwas",sagt Arabella und reicht Celia eine dritte Kaffeetasse, die sie wahrscheinlich extra für sie brachte. Celias Wangen röten sich ganz leicht.

Sie nimmt dankbar einen Schluck, ehe sie tief durchatmet.
"Es ist meine Mutter."

Ein weiterer Schluck, gefolgt von einem tiefen Einatmen.
"Ich halte sie nicht mehr aus."

"So schlimm?",fragt Arabella, lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, Celia seufzt.

"Sie macht mir seit meiner Kindheit mein Leben schwer und scheint mir alle Chancen auf ein freies Leben und Selbstexpression nehmen zu wollen. Überall mischt sie sich ein, als wäre ich noch ein Kind."

"Mütter",kommentiert Jemima und verdreht ihre Augen, "so schön manipuliert von der Vergangenheit, dass sie ihr eigenes Verhalten nicht mehr für falsch befinden können." 

"Da spricht jemand aus Erfahrung",meint Arabella und steht plötzlich auf, geht mit eiligen Schritten durch den Raum, scheint nach etwas zu suchen.

"Ich bin Weltmeisterin wenn es um zerstörte Familien geht",erwidert Jemima lachend, aber ihr Lachen ist nicht aufgesetzt oder gequält verzweifelt, sondern scheint wirklich von Herzen zu kommen.

 𝐕𝐈𝐒𝐈𝐎𝐍𝐀𝐑𝐈𝐄𝐒 Where stories live. Discover now