26. Schreien

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Schreien

Am selben Nachmittag stattet Celia Calisto einen Besuch ab. Er hat frische Plätzchen gebacken, der wundervolle Geruch liegt parfümierend in der Luft, die gleiche Atmosphäre wie im "Urban Tea House". Die Nachmittagssonne scheint durch die weißen Gardinen in den hellen Raum. Die beiden Liebenden sitzen auf dem Boden, essen Plätzchen, trinken Tee und philosophieren über ihre Arbeiten, Aufgabenstellungen.

"We write to taste life twice, in the moment and in retrospect",rezitiert Celia.
"Klingt es nicht wunderschön?"

"Ja",sagt Calisto und lächelt, "es fasst unsere Welt gut zusammen. Von wem ist es?"

"Anaïs Nin"

"Mh, nun wir Schriftsteller bekommen einfach nicht genug vom Leben oder wir haben es vielleicht nie mitbekommen und kompensieren damit unsere leeren Erinnerungen, füllen sie mit falschen Begebenheiten aus, um uns näher an dem Gefühl des Lebens zu fühlen."

"Das ist ein interessanter Gedanke",sagt sie und lehnt sich an die Wand hinter ihr, "ich denke auch, dass viele von uns schreiben, um sich Welten aufzubauen, in denen wir selbst niemals existieren könnten. Diese müssen keine Regeln und Einschränkungen des echten Lebens beachten, keine Nachteile für die Protagonisten mit sich bringen. In jedem meiner Charaktere sind Stücke von mir, meiner Persönlichkeit. Ich denke, dass das Schreiben sonst nicht möglich wäre."

"Ja?"

"Nun, wir brauchen doch Vorlagen. Das Schreiben, die Kunst an sich ist doch ein großer Prozess der Reproduktion. Nichts ist mehr neu. Eine Sache wird erschaffen, Ausarbeitungen unterschiedlicher Art, manche würden sagen Kopien, folgen. Haben wir keine Inspiration durch unsere Umgebung, müssen wir in uns selbst schauen und unsere eigenen Gefühle wahrnehmen, uns selbst zulassen."

"Also ist das Schreiben auch eine Art Selbstreflexion",stellt Calisto fest und sie nickt.

"So in etwa denke ich mir das auch. Wir nutzen das, was in uns ist um es immer wieder erneut auszudrücken. Somit schmecken wir es ein weiteres Mal, erleben es durch die Augen eines fernen Charakters."

Calisto lehnt seinen Kopf an die Wand und er lächelt, während er beeindruckt in ihre Augen blickt.

"Wie die Schwerkraft ist unser Denken eine kreative Kraft",fügt er hinzu, "und mit Kreativität ist ewige Evolution unausweichlich."

Celia lächelt zurück, spürt die plötzliche Nähe zu Calisto und fühlt eine umarmende Wärme ihre Schultern hinauflaufen.

Ohne etwas zu sagen, ohne einen Gedanken zuzulassen, lassen die beiden ihre Hände sachte, vorsichtig zueinander fahren. Calisto sieht Celia an, ihre Blicke verbinden sich, als sich seine Hand auf Celias legt. Die Handflächen sehen für einem kurzen Moment nur aufeinander, ehe Celia sie miteinander verbindet, die Finger sich ineinander schließen.

Es ist ruhig und wunderschön, als sie sich ganz plötzlich berühren. Ohne Vorwarnung, einfach nur überraschend und Gefühle überwältigender Gewalt rennen in Celias Venen, als sie ihren Geist mit dem von Calisto verschmelzen spürt. So wie ihre Hände.

"Es ist merkwürdig",sagt er, "wie sich unser Verstand gegenseitig zu ergänzen scheint, wir gleiche Gedanken in ähnlichen Sätzen haben und das zum Ausdruck bringen können, was der andere gerade fühlt. Findest du nicht?"

"Es ist wunderschön und überwältigend",sagt sie rau und nickt.

"Wir Menschen sind wirklich interessante Wesen."
Er steht auf, lässt ihre Hand aber nicht los und öffnet plötzlich ein Fenster, lässt das Sonnenlicht für eine weitere Spalte hinein, einen größeren Zugang zu dem Raum, und es landet auf seinem wunderschönen Gesicht, die Augen leuchten.

 𝐕𝐈𝐒𝐈𝐎𝐍𝐀𝐑𝐈𝐄𝐒 Där berättelser lever. Upptäck nu