24. Luzid

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Luzid

Auf Jemima trifft Celia nicht mehr in den nächsten Tagen, sie weiß nicht einmal, ob sie überhaupt zu den Vorlesungen erschienen ist. Alles, was sie weiß ist, dass eine unangenehme Stimmung in der Luft liegt und Arabella auch nicht darauf anzusprechen ist.

Das Gespräch der drei ist drei Tag her, in der Zeit hat Celia mit keinem von beiden geredet, sich auf sich selbst und ihre Studien konzentriert, versucht, ihren Verstand zu sortieren und alles für kurze Zeit auszublenden. Sie weiß sehr wohl, dass sie auch ohne ihre Freunde jemand ist. Dass sie eine Persönlichkeit hat, für sich selbst einstehen kann, doch all dies hat sich in den letzten Wochen auf die Basis der 'visionaries' gegründet. Nun ist Celia wieder eine weiße Leinwand, unberührt, kann alles sein, Tabula rasa.

Was sie zuerst versucht zu sein, ist eine gute Tochter. Auf den Wunsch ihrer Mutter ist sie mit Lucien gemeinsam gestern und vorgestern zum Gottesdienst gegangen, sollte beten, die Gefühle sind jedoch zu überwältigend. Es ist nicht nur, dass durch den Vorfall vor wenigen Tagen nun alles in Brüchen liegt, sondern alles. Ihr Bruder, der in der Kirche nervös atmet, sich auf seine Hände setzt, um seine Narben vor Celia zu verstecken und die Lieder nicht mitsingt, wenn er sollte. Der starre Blick Celias Mutter auf ihren Kindern, die sie wohl nie zu lieben weiß.

Celias negativen Gefühle, die sie selbst an diesen heiligen Ort verfolgen und auch die Tränen in der Nacht, denn nun, so war das alles nicht geplant. Celia hat Angst, dass der einzige Grund der Freundschaft aus Jemimas Augen die einfache Umsetzung ihrer eigenen Interessen gewesen ist, dass Celia nun nutzlos ist. Dass sie nun wieder allein gelassen wird, so wie Vater nie zurückkam. Der Frust, der daraus entsteht, da Celia früh gelernt hat, Menschen nicht zu sehr zu trauen und doch weiß sie, dass mehr dahintersteckt, dass Jemima ihre Ideale nicht plötzlich aufgeben würde, nur weil sie plötzlich Angst bekommt. Das ist nicht Jemimas Art. Zumindest nicht die Art, die Celia kennenlernte.

Und sie kann es nicht leiden, nur nach der Nase anderer zu funktionieren, sich leiten zu lassen, sich unterdrücken zu lassen. In den Vorlesungen Fernsbys traut sie sich nicht mehr zu Wort, sie spürt seine brennenden Augen, die nur auf einen Fehlschritt ihrerseits warten, auf ihr brennen. Wenn sie Gedichte analysiert, die ihr nicht zusagen, die ihrem Leben nichts geben, genau dann ist es wieder trist und dunkel und monoton.

Auch nun steht sie in Flammen. Fernsby, der tote Poeten rezitiert, idealisiert, die anderen Studenten, die gespannt zuhören, sich Notizen machen, interessiert sind. Celia wird nie verstehen, wie sie einfach mitschwimmen können, nicht nach Aus- oder Umwegen suchen, was sie dazu verleitet, einer anderen Person blind zuzuhören, sich keine Gedanken über deren Einfluss zu machen. Ihr Blick ist müde, der nicht genügende Schlaf macht sich auf ihrem Gesicht breit. Sie ist blass und wünscht sich erneut die Wende, die ihr vor wenigen Wochen versprochen wurde.

Nach der dritten Vorlesung, die Celia dräniert zurücklässt, geht sie an den einzigen Ort, außerhalb des Kunstraumes, an dem sie sich wohlfühlt. Die für sie zugängliche Bibliothek. Es ist still, lediglich die Bibliothekarin steht am Schalter, examiniert selbst ein Buch und merkt nicht, dass Celia anwesend ist. Diese geht durch die Reihen von Büchern, schnappt sich „Adam Bede" von George Eliot, möchte sich für kurze, angenehme Minuten in ihre Traumwelt denken, die Welt, in der nur sie und die Literatur existieren kann.

Es tut ihr gut, die Zeilen auf dem cremefarbenen, alten und benutzten Papier zu lesen, gewisse Stellen im Kopf rezitieren zu können und sich auf eine Sache zu konzentrieren.

Ihr Leben ist mit unterschiedlichen Faktoren gefüllt, die ihr die Freude am bloßen Existieren nehmen wollen. Celia seufzt, während ihr das Lächeln von ihren Freundinnen im Verstand herumgeistert, wie die sanften Worte, die sie ausgetauscht haben, erneut erklingen, wie die Gesten ausgetauscht wurden, man sich gegenseitig helfen konnte. Das Gesicht ihres Bruders, der gequälte Ausdruck "ich will fühlen", die Frage, ob er das zuvor je konnte und all die unausgesprochenen Kämpfe.

 𝐕𝐈𝐒𝐈𝐎𝐍𝐀𝐑𝐈𝐄𝐒 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt