pov. Elisabeth:

Die Frage meiner Tante, wo ich den ganzen Tag war, beantwortete ich mit den gleichen Worten, die ich den Bediensteten am Morgen gab. Natürlich gab sie sich nicht zufrieden damit, aber auf weitere Fragen hatte ich keine Lust. Also ging ich in mein Zimmer und zog mir mein Nachthemd an. Jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch und arbeite an einer Melodie für unser kleines Lied. Den Text kann ich leider nicht weiterschreiben, da ich nun wirklich keine weiteren Dramen in dieser Familie brauche! Wo ich doch gerade dabei bin die letzten aufzulösen.

Als ich ein einigermaßen sehenswertes Ergebnis vor mir habe, schleiche ich aus meinem Zimmer in den Wohnraum, wo das Klavier steht. Die Noten lege ich vor mir ab und nachdem ich mich gesetzt habe, fange ich leise zu spielen an. Nebenbei summe ich die Melodie mit, damit ich mir das Ganze besser vorstellen kann. Selbst Enjolras muss zugeben, dass ich, als Frau, doch noch nützlich für seine Revolution bin. Ein Lied, das die Menschen auf unsere Seite bringen soll.

Ein Räuspern hinter mir lässt mich hochschrecken. Mein Großvater steht hinter mir, seine Augenbrauen fragend in die Höhe gezogen. "Eine deiner eigenen Kompositionen?", fragt er neugierig. Ich nicke. "Ist es nicht ein bisschen spät, um noch hier unten zu sitzen? Dann auch noch im Nachthemd! Wenn deine Tante das sehen würde." Das letzte sagt er mit gespieltem Ernst in der Stimme. Mein Blick schweift zu der hölzernen Standuhr neben ihn. Fast Mitternacht! Ich stehe hastig auf und nehme das Notenpapier in die Hände, um zu gehen, doch Großvater hält mich auf. "Elisabeth, ich finde es schön dich wieder spielen zu hören. In letzter Zeit hast du das viel zu selten getan." Es gab ja auch keine Gelegenheit dazu, sagte ich mir in Gedanken, schließlich war ich in den letzten Tagen bei Marius. Doch ich nicke nur und gehe dann zügig in mein Zimmer.

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Ich erwache aus einem traumlosen Schlaf. Die Sonne schon höher am Himmel als erwartet. Nachdem ich fertig angezogen bin, gehe ich in das Esszimmer. Als ich ankomme, stehen meine Tante und Großvater gerade auf, das restliche Frühstück auf dem Weg zurück in die Küche. "Du bist zu spät", sagt meine Tante resigniert und geht an mir vorbei. Ein entschuldigender Blick meines Großvaters, der sagt, dass sie heute nicht in der besten Laune ist. Wann war sie das auch schon! Alleine in dem großen Zimmer setze ich mich auf meinen Platz und bestelle Frühstück bei einem der Bediensteten. Kurz darauf steht es vor mir und ich fange an, in meinen Gedanken versunken, zu essen.

Irgendwann höre ich die Eingangstür ins Schloss fallen und kurz darauf mehrere Stimmen. Da ich nicht glaube, dass es sich um etwas Wichtiges handelt, höre ich nicht genau hin und esse weiter. Doch als die Stimmen lauter werden, halte ich inne und versuche zu lauschen. "Nur ein Besuch", höre ich jemanden sagen. Besuch? Um diese Uhrzeit schon? "Die Kutsche steht bereit." Diesmal eine andere Stimme. Dann die aufgebrachte Stimme meiner Tante. Ich verdrehe die Augen, stehe auf und gehe in die Eingangshalle.

Es stellt sich heraus, dass Courfeyrac unser Besuch ist und meine Tante eine der Putzfrauen ausschimpft, weil sie ihn rein gelassen hat. "Wozu der ganze Aufstand?", frage ich sie. Überrascht sehen sie mich an. "Dieser junge Mann, dein Verlobter, will in die Stadt fahren und offensichtlich steht eine Kutsche bereit, die euch dorthin fahren soll", sagt meine Tante bemüht ruhig. Ich lächele und erwidere: "Wenn er meine Gesellschaft sucht, werde ich mich jetzt fertig machen. Schließlich ist es unhöflich eine solche Einladung abzulehnen. Das hast du doch immer gesagt?"

Froh darüber, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr auf ihr liegt, geht die Putzfrau schnell davon. Verübeln kann ich es ihr nicht. Keiner ist gerne in den Klauen meiner Tante. Auch ich nicht, weshalb ich ebenfalls zügig gehe und in meinem Zimmer Hut, Handschuhe und Notenpapier hole. Zurück in der Eingangshalle steht Courfeyrac schmunzelnd da und streckt mir seinen Arm aus damit ich mich einhacken kann. "Können wir?", fragt er und ich nehme nickend seinen Arm an. Den missbilligenden Blick meiner Tante ignorierend, gehen wir hinaus in die Morgensonne und zu einer Kutsche am Ende des Weges.

Elisabeth Helóise Pontmercy (Les Mis FF)Where stories live. Discover now