pov. Enjolras:

Mit einem selbstzufriedenen Lächeln ging ich zurück zum Musain. Selbst jetzt, wo ich den Studenten der Les Amis zu ihren Aufgaben Anweisungen gebe, ist mein Lächeln noch nicht ganz verschwunden. Ich habe das erste Mal seit langem das Gefühl, dass wir es wirklich schaffen könnten. Wir könnten, nun wo das Ziel so nah ist, wirklich etwas erreichen. Daher spreche ich auf alle zuversichtlich ein. Denn wir werden jeden Mann und jede Frau für unseren Aufstand brauchen. Nur gemeinsam können wir unser Ziel wirklich erreichen.

Mit der Zeit werde ich jedoch immer ernsthafter. Zwar mag meine Zuversicht nicht geschwunden sein, doch der Ernst unserer Lage macht mich nicht gerade glücklicher. Was wenn ich sterben würde? Erst gestern haben Elisabeth und ich entschieden ein Paar zu sein und drei Tage später könnte sie schon auf all unser Grab hinabschauen. Es würde ihr das Herz brechen. Und genau das soll nicht passieren. Sie soll glücklich werden, heiraten und Kinder bekommen, auch wenn ich sterbe. Zwar gefällt mir der Gedanke sie mit einem anderen Mann zu sehen überhaupt nicht, doch ich würde davon nichts mitbekommen, wenn ich tot war. Außerdem ist sie für dieses Leben vorausbestimmt und es ist das Leben, welches sie verdient.

Ich hatte an diesem Morgen mit Monsieur Gillennormand, Elisabeth' Großvater, geredet und wir waren zum ersten Mal gleicher Meinung. Elisabeth sollte glücklich werden. Zwar gefiel ihm der Gedanke nicht, dass sie die Zeit bis zu den Barrikaden mit mir verbringen würde, doch es würden nur zwei oder drei mickrige Tage sein. Darum bat ich ihn um etwas und er willigte, nach langem Überlegen, ein. Wenn Elisabeth meinem Vorschlag ebenfalls einwilligte - und ich hoffe doch sehr, dass sie das tut - dann wäre sie glücklich. Vielleicht nicht lange, doch wer weiß was nach den Barrikaden sein wird? Und sie würde größere Hoffnungen haben, sie wäre zuversichtlicher, dass ich zu ihr zurückkehre. Jedoch wäre sie dann nur noch verletzter, wenn ich das nicht täte. In diesem Fall würden ihr Großvater und ihre Tante dafür sorgen, ihr einen neuen Ehemann zu finden, mit dem sie dann glücklich leben kann.

Ich brauchte die Bestätigung, dass Elisabeth auch ohne mich glücklich werden könnte. Denn ohne diese Bestätigung würde ich mir nie verzeihen, wenn all ihre Freunde, ihr Bruder und auch ich sterben würden. Doch um uns eine höhere Überlebenschance zu geben, muss ich mich jetzt auch um unsere Vorbereitungen sorgen. Denn ohne sie würden wir wie Fische am Land, einer nach dem anderen, einfach sterben ohne uns wären zu können.

Darum suche ich meine Liste für unsere Vorbereitungen. Schießpulver, Kugeln, Gewehre, ... "Courfeyrac, haben wir genügend Gewehre? Combferre, schick Gavroche, um die Neuigkeiten zu verbreiten, aber lass es keine Spione hören! Das Schießpulver, Bossuet. Wir brauchen mehr Kugeln. Nehmt alles, was ihr finden könnt!", kommandiere ich meine Freunde, welche durch den Raum rennen, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Irgendwann legt sich das ganze Durcheinander und jeder arbeitet einigermaßen ruhig an seinem Platz. Denn die Aufregung steigt immer mehr, je mehr Zeit vergeht. Jedoch geht die Arbeit mit einem guten Gewissen einher, da wir so unserem Ziel näher kommen.

Am Ende des Tages, als die Sonne schon längst nicht mehr zu sehen war, schickte ich meine Studentengruppe heim. Völlig erschöpft wie sie waren, protestierten sie nicht. Denn jeder von ihnen weiß, dass morgen ebenfalls viel Arbeit auf uns zukommen wird. Schließlich würde es der letzte Tag vor den Barrikaden sein und wir mögen heute zwar weit gekommen sein, doch mit den Vorbereitungen waren wir noch lange nicht fertig. Hoffentlich würden wir es morgen sein, denn sonst bestand nur wenig Hoffnung für uns – für unser Überleben.

Ich wünschte Elisabeth würde morgen hierherkommen, damit ich sie ein letztes Mal sprechen könnte und ihr mein Anliegen, welches ich zuvor mit ihrem Großvater besprach, vortragen kann.

Mittlerweile bin ich wie üblich allein in dem Hinterzimmer des Musains. Also beschließe ich ebenfalls den Heimweg anzutreten.

Nachdem ich die Treppe runter gegangen bin, will ich gerade die Eingangstür öffnen, als mich Madame Hucheloup aufhält. „Warte Enjolras", sagt sie hastig und kommt hinter dem Tresen hervor auf mich zu. „Ich möchte dir etwas geben." Als sie bei mir ankommt, zeigt sie mir ihre offene Hand, auf der ein kleiner silbrig funkelnder Ring liegt. „Madame, das kann ich nicht annehmen. Ich weiß nicht einmal, wofür ich ihn gebrauchen könnte", meine ich. Doch die kleine rundliche Frau vor mir stemmt die Hände in die Hüften und erwidert wissend: „Wofür du ihn gebrauchen könntest? Ich denke das weißt du. Ich habe doch gestern gesehen wie du und Elisabeth die Treppe runter gekommen seid. Ihr seid ein wirklich entzückendes Paar, mein Lieber!"

Als ich nichts darauf erwidere, redet sie weiter. „Der Ring gehörte meiner Mutter. Es war ihr Ehering, musst du wissen. Da ich selbst nie geheiratet und auch keine Kinder habe, weiß ich nichts mit ihm anzufangen. Schließlich kann ich ihn nicht weiter vererben. Daher denke ich, dass er bei dir ganz gut aufgehoben ist. Irgendwann wirst du unserer Elisabeth doch einen Antrag machen? Natürlich wirst du das! Es wäre nur zu schade, wenn nicht. Ich sehe doch eure verliebten Blicke! Doch lass dir nicht zu viel Zeit, sie wird nicht ewig warten können!" Um ihre Aussage zu bekräftigen, hebt sie ihren Zeigefinger drohend in die Luft. „Nun nimm den Ring. Ich mag vielleicht keine Kinder haben, aber ihr seid mir alle so ans Herz gewachsen, da ist es als hätte ich doch welche." Dies sagt sie mit einem so lieblichen und mütterlichen Blick, dass mir ganz warm ums Herz wird.

„Vielen Dank, Madame", sage ich darum, noch immer ein wenig gerührt von ihren Worten. „Ich weiß das sehr zu schätzen." Und noch bevor ein weiteres Wort gesprochen werden kann, geht die Tür auf, sodass ich erschrocken einen Schritt zur Seite trete. Elisabeth steht im Türrahmen und als sie mich sieht, sagt sie: „Ich wusste, dass ich dich hier finden würde." Den Ring, den ich gerade von der Madame bekommen habe, lasse ich schnell in meiner Jackentasche verschwinden, damit 'Lis ihn nicht sieht und keine neugierigen Fragen stellen kann. „Warum suchst du mich überhaupt so spät noch?", frage ich verwundert. „Wir haben uns doch heute Morgen gesehen. Ist irgendwas passiert?"

„Oh", erwidert sie mit wütendem Blick, „ja, wir sahen uns an diesem Morgen und ja, dort ist etwas passiert." Madame Hucheloup, die die ganze Zeit schweigend an ihrem Platz stand, sagt nun lächelnd: „Ich lasse euch das mal alleine klären." Und mit diesen Worten ging sie. Mir war klar, dass sie mich jetzt, wo es brenzlig werden könnte, allein mit 'Lis lassen würde.

Erwartungsvoll sehe ich Elisabeth an, welche mich immer noch wütend anschaut, jetzt jedoch weniger ernst, und sagt: „Du hast mich einfach stehen gelassen ohne mich zu verabschieden. Und Éponine hast du auch noch ein Kompliment gemacht!" Ich kann nicht anders und fange an lauthals zu lachen. „Das ist es, was dir Sorgen bereitet? Ich wollte dich nur ärgern", gebe ich lachend hervor. „Jetzt seh' mich doch nicht so schmollend an, 'Lis. Nur weil ich Éponine ein Kompliment gemacht habe und dir nicht..." Ich nehme sie in die Arme und flüstere ihr zu: „Ich kann dir natürlich auch ein Kompliment machen, wenn es dich glücklich stimmt." „Nein", erwidert Elisabeth, „auch wenn ich nichts dagegen hätte. Doch was mir noch mehr zu schaffen macht, ist, dass du mir nicht anvertrauen willst, was du mit Großvater besprochen hast."

„Das kann ich dir leider nicht verraten", meine ich schmunzelnd. „Da musst du dich wohl noch ein wenig gedulden. Aber vielleicht sage ich es dir schon morgen. Natürlich nur, wenn du die Absicht hast wieder hierher zu kommen. Schließlich habe ich noch viel zu viel für unseren Aufstand vorzubereiten." Elisabeth scheint die Sorge aus meinem Gesicht heraus gelesen zu haben und legt mir beruhigend ihre Hand an die Wange. „Ich bin sicher, dass du es gut machen wirst. Und wenn nicht", sagt sie ernst, „dann kann ich dir nichts versprechen." „Dann hoffen wir mal, dass ich meine Arbeit gut mache", erwidere ich und küsse sie.

Es tut gut sie im Arm halten und küssen zu können, wann es mir beliebt. Kaum zu glauben, dass ich meine Gefühle nicht schon früher offen vor ihr zugegeben habe. Dann hätte ich dieses wohlige und aufregende Gefühl schon eher genießen können. Doch besser erst jetzt als nie. Womöglich wäre ich verrückt geworden, wenn sie nicht zurück zum Café Musain gekommen wäre. Ihre Familie – Marius mit eingeschlossen – würde es sehr wahrscheinlich nicht gutheißen uns beide hier so nah beieinander zu sehen. Doch das ist mir im Moment egal. Solange ich 'Lis noch sehen kann, muss ich die Zeit mit ihr genießen.

„Glaub ja nicht, dass ich dir jetzt verziehen habe, Liebster", sagt Elisabeth und unterbricht damit leider unseren Kuss, „aber trotzdem werde ich morgen kommen. Meine Neugier ist viel größer als mein Stolz und wer weiß, wann wir uns sonst wiedersehen." Ich streiche sanft ihre Gesichtszüge mit meinem Daumen nach und sage besorgt: „Ich weiß, worauf du hinaus willst, 'Lis. Aber ich werde schon dafür sorgen, dass wir uns nach den Barrikaden wiedersehen. Ich werde bis zum letzten Mann kämpfen, nur um zu dir zurückzukehren." Auch wenn ich es vielleicht nicht überleben werde, füge ich in Gedanken hinzu, so werde ich es doch versuchen.

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Wieder ein neues Kapitel! (ohne langes Warten;)) Ich hoffe es gefällt euch ^^

LG Lina.

Elisabeth Helóise Pontmercy (Les Mis FF)Where stories live. Discover now