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„Frisch dein Make-Up nochmal auf!" nehme ich die nörgelnde Stimme meiner Mutter wie in Trance war. Natürlich hatte sie wieder etwas auszusetzen, nicht ein einziges mal bin ich genug für sie. Brav ziehe ich meinen kleinen Handspiegel aus der Tasche und betrachte mich. Mein Make-Up sitzt immer noch perfekt, anscheinend aber nicht perfekt genug. Nie ist etwas perfekt genug. Ich hole meinen roten Lippenstift, welcher mein ständiger Begleiter ist, ebenfalls aus der Tasche und fahre damit meine Lippen nach. Meine Mutter betrachtet mich skeptisch und zieht mein Kleid zurecht. Mit ihrer Hand deutet sie mir, ich solle mich drehen. Auch das erledige ich brav. Nachdem meine Mutter noch etwas an meinem Haar rumgezogen hat, scheint sie zufrieden zu sein. „Okay, los geht's"

Ich folge der stets perfekt gestylten Frau, die auf ein großes Gebäude zusteuert. In diesem findet heute ein Casting statt, was auch erklärt, warum ich heute doppelt so perfekt sein muss. Zugegebenermaßen ist dies nicht mein erstes Casting, nur in dieser Halle war ich bisher noch nie. Ich wollte schon immer Model werden und wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann kriege ich es auch! Und so sehr mich meine Mutter auch nervt, meint sie es doch nur gut mit mir. Bisher hatte ich schon vereinzelte Jobs, aber nicht genügend, um damit mein Geld zu verdienen. Nicht das ich das dringend nötig habe. Finanziell geht es mir und meinen Eltern sehr gut.

Vor der Halle stehen schon einige Mädchen und warten. Ich trage mich in die Liste der Wartenden ein und stelle mich dann etwas abseits zu meiner Mutter. Normalerweise begleitet uns noch mein Vater, der heute wegen einem wichtigen Geschäftstermin aber nicht dabei sein kann. Ich lasse meinen Blick durch die Menge gleiten. Wie immer stelle ich fest, dass keine mit mir mithalten kann. Die Mädchen um mich herum sehen alle akzeptabel aus, aber das reicht nun mal nicht.
„Schau dir mal die an" Meine Mutter rümpft die Nase, während sie mit einem Blick auf ein viel zu stark geschminktes und etwas dickeres Mädchen zeigt. „Die trägt bestimmt Größe M"
Ich folge ihrem Blick und stelle mal wieder fest, dass meine Mutter Recht hat. Solche Menschen sind hier falsch, aber ich möchte ihnen nicht ihre Träume nehmen.
Träume? Ja, das habe ich schon lange nicht mehr. Ich nehme mir einfach das, was ich möchte.

Wir stehen noch eine weitere Zeit hier, beobachten meine Konkurrenz, die wirklich keine Konkurrenz ist. Dann erklingt endlich mein Name. „Ashley Jane Morgan"

Meine Mutter blickt nochmal an mir herab, aber bevor sie noch etwas auszusetzen hat, folge ich dem Jungen Mann in die Halle.

Langsam betrete ich den Raum. Dort sitzen 2 Männer und 2 Frauen, alle mit ernster Miene. Früher wurde ich in dieser Situation immer nervös, mittlerweile kann mir das aber nichts mehr anhaben. So viele Castings habe ich mitgemacht, bei denen mich die Jury ernst angeschaut hat und bei allen habe ich den Job am Ende abgesahnt. Wie gesagt: Konkurrenz gibt es bei mir nicht.
Mittig von den Bewertern bleibe ich aufrecht stehen. „Mein Name ist Ashley Jane Morgan" Stelle ich mich selbstbewusst vor. „Ich bin 19 Jahre alt" Jedes mal der gleiche Text, langsam nervt es mich. Aber er ist erfolgreich. 4 Augenpaare schauen mich abwartend an, während ich ihnen mein Modelbuch vorbringe. In diesen sind all meine bisherigen Shootings drinnen, so können sie sich ein Bild von mir und meinem Talent machen. Kritisch blicken sie die Bilder durch, lassen sich Zeit, und geben mir dann die Mappe zurück. Ich werde in einem Raum mit all den anderen Wartenden geschickt. „Wie lief es bei dir?" fragt mich ein Mädchen freundlich. Ich lege nicht sonderlich viel Wert darauf neue Kontakte zu knüpfen, also schüttle ich sie mit einem kleinen Smalltalk schnell ab.
Meine Mutter sagt immer: Wer keine Gefühle zulässt, wird auch nicht verletzt werden. Verletzte Menschen sind schwach, das möchte ich nicht sein. Bis vor einem Jahr war ich noch anderen Ansichten, habe an die Liebe geglaubt und meiner Mutter widersprochen. Aber sie hatte Recht, das hat sie immer. Diese Liebe hat mich zu nichts geführt, außer mich zu schwächen. Ich erinnere mich, als ich stundenlang weinend in meinem Zimmer saß und darüber nachdachte aufzugeben. Irgendwann habe ich meine Gefühle einfach abgeschaltet und seitdem geht es mir viel besser.
Liebe ist sowieso überbewertet.
Nachdem ich beinahe 2 Stunden in diesem überfüllten Raum saß, wurden wir endlich rausgeholt, um die Entscheidung bekannt zu geben. Es geht hier darum, die größte Modemarke Amerikas zu vertreten. Werde ich diesen Job bekommen, ist mir mein Durchbruch gewiss.

Plötzlich kam er in das Leben eines TopmodelsWhere stories live. Discover now