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Als etwas mit einem polternden Geräusch neben mir landet und daraufhin eine Tür zuschlägt, schrecke ich hoch. Langsam realisiere ich, dass anstatt Harry nun eine große Tasche neben mir im Bett liegt, die vermutlich auch das Geräusch verursacht - und mich damit aus meinem Schlaf gerissen hat.

Die Jeans von gestern Abend drückt schmerzhaft in meinem Bauch, weswegen ich mich langsam erhebe und nach Harry Ausschau halte. Wo ist er?

Als schließlich auch mein Magen ein knurrendes Geräusch von sich gibt, verliere ich alle Geduld.

„Harry?" rufe ich leicht säuerlich. Nichts.

„Bist du da?" frage ich erneut nach. Wieder kommt keine Antwort. Toll.

Ich laufe in dem kleinen Hotelzimmer umher, um meine Beine zu vertreten. Ich hätte gestern Abend nicht hierbleiben dürfen. Und die Folgen werden mir jetzt allzu deutlich. Harry hat mich vermutlich schon wieder sitzen lassen. In diesem ekelhaften Hotelzimmer. Es gibt ja wahrlich schönere Orte um sitzen gelassen zu werden, zum Beispiel einem hochwertigen 5 Sterne Restaurant. Aber doch nicht dieser kleine, gammelige Raum..

Ich suche nach meinem Handy und als ich es schließlich in der kleinen Nachtischschublade entdecke, ist der Akku leer. Ich versuche ein paarmal erfolglos, es wieder anzumachen, doch das Display bleibt schwarz. Fluchend werfe ich es achtlos aufs Bett.

In der Ecke des Hotelzimmers steht ein kleiner Tisch, mit einem altmodischen Kabeltelefon darauf. Normalerweise hasse ich diese Art von Retro Gegenständen, diesmal atme ich allerdings erleichtert aus. Ich versuche mich zwanghaft an Nialls Nummer zurückerinnern, komme aber nicht auf die richtige Reihenfolge an Zahlen. Wer merkt sich heutzutage auch noch Nummern auswendig, wenn die doch alle in einem Handy eingespeichert sind?

Und ausgerechnet heute hilft mir mein Handy leider nicht weiter. Anstatt Niall anzurufen, beschließe ich also, mir ein Taxi zu rufen, dass mich von hier wegbringt. Außerdem ist das aktuell die einzige Nummer, abgesehen vom Notruf, die irgendwie in meinem Gedächtnis gespeichert ist.

Ein genervter Mann meldet sich am Hörer, was meine Laune nur noch mehr verschlechtert.

„Hallo, ich hätte gerne ein Taxi zu.." Ich halte inne. Wo bin ich eigentlich?

„Wohin?" fragt der Mann ungeduldig nach.

„Ich weiß die genaue Adre.."

„Was machst du da?" Die Tür fliegt auf und Harry tritt mit schnellen Schritten herein.

Ich halte den Hörer von mir weg und ignoriere die Stimme des genervten Mannes.

„Wo warst du?" höre ich mich gereizt fragen.

„Na los, leg schon auf" Harry deutet mit seinem Kopf auf das Telefon und ignoriert meine Frage. Ich tue was er will und drücke den roten Hörer.

„Ich war ein paar Dinge besorgen" beantwortet Harry schließlich meine Frage mit einem zufriedenen lächeln. „Wir gehen heute wandern."

„Nein, das gehen wir nicht" protestiere ich. Ich habe weder die passende Kleidung, noch die Motivation dazu, irgendwo rumzulaufen. Außerdem stelle ich mir das mit meinem zusätzlichen Gewicht von meinem Bauch – der in den letzten Tagen sehr gewachsen ist – nicht gerade angenehm vor.

„Ach komm, gib dir einen Ruck und probiere was neues aus." Quengelt Harry.

Ich schüttle den Kopf. Das kommt auf keinen Fall in Frage.


1 Stunde später stehen wir vor einem Berg und Harry lächelt mich stolz an. Er hat es schließlich doch geschafft, mich dazu zu überreden. Wie könnte ich ihn auch etwas abschlagen, wenn seine Nähe alles ist, was ich möchte?

Widerwillig folge ich ihm den Berg hinauf, wobei ich alle 5 Minuten nach einer Pause frage, was Harry jedes mal mit einem genervten Seufzen beantwortet und mich an der Hand weiterzieht.

„Harry, ich kann nicht mehr" seufze ich erneut und blicke auf meinen Bauch. Hätten wir das gemacht, bevor ich schwanger wurde, wäre die Wanderung sicher anders verlaufen. Mit mehr Ausdauer. Aber durch dieses kleine Ding in mir konnte ich leider seit Ewigkeiten nicht mehr trainieren. 

Harry verdreht seine Augen, hält aber bei nächster Gelegenheit. Neben uns sind ein paar große Steine, auf die ich mich nun setze und zufrieden aufatme. Ich hasse wandern.

Gefühlte Ewigkeiten wiederholen wir das, bis wir irgendwann das Ende unseres Weges erreicht haben und an der Spitze des Berges ankommen. Harrys Augen beginnen zu funkeln, sobald er den Ausblick betrachtet. Ich stelle mich neben ihn, die Hände an die Hüften gestemmt und versuche zwanghaft, mich irgendwie hierfür zu begeistern. Aber es klappt nicht.

Von hier aus sieht man nichts außer eine große Wiese, weitere Berge in der Ferne, die von Nebel umgeben sind und einen strahlend blauen Himmel. Nichts, dass mich nur ansatzweise begeistern könnte.

Ich setze mich etwas abseits der Klippe in die Wiese und betrachte Harry skeptisch, welcher immer noch den Ausblick aufzusaugen zu scheint.

Irgendwann dreht er sich zu mir und setzt sich mit einem zufriedenen lächeln neben mich. Mit müden Augen betrachte ich ihn schweigend. Er streckt seine Arme aus. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Sofort setze ich mich neben ihn, kuschle mich an ihn und er umschlingt mich mit seinen großen Armen.


Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn irgendwann rüttelt mich Harry sanft wach. Ich öffne meine Augen und muss diesmal auch staunen. Die Sonne ist längst untergangen und der Himmel über uns ist nun Rabenschwarz, gefüllt mit vielen Sternen und einem großen, runden und leuchtenden Mond.

Manche Sterne strahlen heller als andere, welche sind größer und andere wiederum kleiner.

„Wow" hauche ich. Harry grinst mich überglücklich an.

"Siehst du diesen Stern da in der Mitte?" Harry zeigt auf den größten und hellsten Stern. Ich folge seinem Blick und sehe ihn fragend an. "Das bist du. Du wirst immer der größte, strahlendste und tollste Stern in meinem Leben sein" Ich blicke Harry gerührt an. Er drückt kurz meine Hand und sieht mich mit einem intensiven Blick an, in dem so viel Liebe steckt. Dann rappelt er sich auf und zieht mich danach ebenfalls hoch. Während ich von meiner Kleidung den Dreck abklopfe, blickt Harry noch ein letztes Mal nach unten, dann gesellt er sich neben mich und Hand in Hand laufen wir den Berg wieder herunter. 

Während diesem Weg nach unten, strahlen die Sterne weiterhin majestätisch über uns. Sie strahlen selbst durch den Wald hindurch.

Am Auto angekommen, seufze ich erleichtert auf und lasse mich augenblicklich hineinfallen. Es tut so gut, wieder zu sitzen. Bevor wir losfahren blicke ich noch einmal durch das Fenster in den Himmel hoch. Enttäuscht stelle ich fest, dass die Aussicht von hier unten nicht mal halb so schön ist, wie oben vom Berg.

Hätte ich mein Handy dabeigehabt, hätte ich wunderschöne Fotos machen können. Instagram hätte das bestimmt ebenfalls gefallen und mir haufenweise Likes dagelassen.

Harry sieht mich von der Seite an, startet den Motor und bringt mich zurück zu Nialls Haus, was mich enttäuscht zusammenzucken lässt.

„Warum?" frage ich ihn leise.

„Du gehörst zu ihm, Ash. Ich kann dir nicht das bieten, was er kann. Er wird ein wundervoller Vater, zu deinem wundervollen Kind" gibt er genauso leise von sich. Ich nicke enttäuscht, auch wenn ich weiß, dass er Recht hat. Ich dachte nur, nach den Worten vorhin am Berg, dass er uns vielleicht doch eine Chance gibt. Stattdessen waren diese Worte, und dieser Ausflug, wohl zum Abschied gedacht.

„Ich fliege heute Nacht zurück. Mach's gut, Ashley Jane" Ich schlucke hart und blicke ihn tief in seine grünen Augen.

Bevor mir noch Tränen über die Wangen laufen und die Situation noch komischer wird, steige ich aus und blicke ihm nach, bis das Auto aus der Einfahrt verschwunden ist. Es fühlt sich wie ein Abschied für immer an und wer weiß, vielleicht ist es das auch. Vielleicht ist nicht nur das Auto von der Einfahrt verschwunden, sondern auch Harry aus meinem Leben. Und diese Tatsache schmerzt.

Mit zitternder Hand drücke ich die Klingel und mache mich darauf bereit, Niall eine Rechenschaft abzulegen. Aber der Abend heute wird für immer unser Geheimnis bleiben, meins und Harrys. Denn diesen schönen Moment möchte ich mit niemanden teilen. Er gehört ganz uns.

Plötzlich kam er in das Leben eines TopmodelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt