Kapitel 30

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Kathi

Seit einigen Wochen herrscht Funkstille zwischen Oskar und mir. Wir können ihn nicht besuchen, weil es zu gefährlich wäre, wenn man uns beobachtet und dabei zwei gesuchte Menschen in den Kellerräumen eines Gebäues findet. Dann wären nicht nur Oskar und Monika dran, sondern auch Peter und ich. Und wenn mir eines wichtig ist, dann ist das unser aller Leben. Außer vielleicht Monikas.

Ich zwänge mich in ein hässliches blaues Kleid, welches meine "Begleitung" für mich ausgesucht hat. Es ist in etwa knöchellang und liegt eng an, wirft allesdring an der Hüftpartie einige hässliche Falten. Ich hasse diese Abende wie die Pest und würde am liebsten jedes Mal auf der Toilette verschwinden und niemals zurückkommen. Günter ist zwar durchaus nett, aber die anderen Menschen dort sind alles andere als vertrauenswürdig.

Mir schlägt das Herz bis zum Hals, als ich mich im Spiegel ansehe und das Kleid betrachte, welches beinahe die Farbe meiner Augen hat. Du kleiner Schlawiner, denke ich sarkastisch. Auf einmal steht Peter hinter mir und schaut mich lächelnd an. "Du siehst wunderschön darin aus.", sagt er leise und legt einen Arm um meine Schultern.

Ich schaue noch einmal an mir runter und schüttle den Kopf. "Nein", sage ich entschlossen. "Ich sehe grässlich darin aus. Sowas würde ich zuhause niemals freiwillig anziehen." Peter schnaubt und bricht dann in Gelächter aus. "Was ist daran denn lustig? Siehst du diese Falten? Grässlich!"

***

Langsam schreite ich an Günters Seite durch das Haus des Gastgebers, irgendein alter Freund, oder so. Ich sehe viele Menschen, die scheinbar hochrangige Uniformen anhaben. An ihren Seiten sind in den meisten Fällen Frauen, die sich alle in Schale geworfen haben, als sei es das Highlight des Jahres hier sein zu dürfen. Plötzlich bleibt Günter abrupt stehen und sieht mich an. Fragend sehe ich ihn an, wenn ich auf eine Sache so gar keine Lust habe, dann, dass er mich jetzt jemand absolut wichtigem vorstellt.

"Ich habe es ja ganz vergessen! Komm mit.", dann zieht er mich hinter sich her. Enden tun wir auf der Toilette. Na ganz toll. Zum ersten Mal an diesem Abend denke ich daran, was die anderen Menschen jetzt wohl von mir, von uns, denken würden. Er wühlt in seiner Tasche seines Jacketts, bis er einen fahrig zusammengeknüllten Brief herauszieht. Dann wühlt er in der anderen Tasche und holt eine kleine Box hervor. "Zum einen, der hier ist von deinem Bruder. Frag' einfach nicht, wie ich an den gekommen bin. Und das hier", er reicht mir den Brief, den ich in meiner Tasche verschwinden lasse, als ich wieder hochsehe, hält Günter eine wunderschöne Kette in der Hand. "Ist ein Erbstück meiner Familie. Ich habe weder Frau, noch Kind, dem ich es vermachen kann. Ich möchte, dass du sie trägst."

"Das kannst du nicht ernst meinen.", antworte ich, während ich diese wunderschöne goldfarbene zwischen meinen Fingern hin und her drehe. Der goldene Klumpen erscheint mir nun wie eine filigrane Seerose, in dessen Mitte ein keiner Diamant eingearbeitet ist. "Ich kann das nicht annehmen. Du bereust es, wenn du doch einmal Frau und Kind hast."

Günter prustet herzhaft los. Hoffentlich wartet niemand vor der Toilette. Er schüttelt mit dem Kopf und schaut mir gleich darauf in die Augen. "Ich habe nicht das Interesse erneut zu heiraten. Nimm sie schon."

Ich nehme die Kette in die Hand und lege sie mir um. Sie ist so klein, dass sie beinahe nicht auffällt. Aber genau das liebe ich an ihr. Ich nicke mit meinem Kopf zur Tür, auch Günter stimmt zu. Ich hake mich bei ihm ein und wir treten wieder ein den Saal. Zum Glück hat keiner vor der Tür gewartet.

Während Günter sich immer mal wieder mit irgendwelchen Menschen unterhält und sich schon gar nicht mehr die Mühe macht, mich jedem vorzustellen, schiele ich zu dem Essen hinüber. Mein Magen grummelt verdammt laut, er fordert sein Essen so langsam. Mein Blick wandert an der Frau meines Gegenübers hinauf, bis ich ihr Gesicht sehe. Sie ist so verdammt jung, vielleicht ein Jahr älter als ich. Aber sie trägt den gleichen Ring wie der Mann, der mindestens doppelt, wenn nicht dreifach so alt ist. Auch sie schaut mich an. Wir lächeln und schauen beide zum Essen und müssen das Lachen verkneifen.

"Heinrich, Günter, würdet ihr uns bitte entschuldigen? Wir möchten etwas essen.", fragt sie mit einer Stimme aus Gold und einem Blick aus Zucker. Ihr Mann nickt nur, während Günter mich fragend ansieht. Ich zucke mit den Schultern und gehe hinter der Frau hinterher. Unser Weg führt zielstrebig zum Buffet, wo die feinsten Häppchen auf uns warten. Wir schlagen uns die Teller voll und wandern dann zu einem der Tische.

"Ätzend, diese Abende, nicht wahr? Ich dachte immer, mit einem SS-Mann verheiratet zu sein, würde mehr Spaß machen. Das Einzige, was ich hier erfahre, sind die schmutzigen Geheimnisse, die die Frauen sich hier erzählen.", erzählt die junge Dame die mit ihren dunkelbraunen Haaren spielt und sich Essen in den Mund stopft. Sie kommt mit Sicherheit nicht aus dieser Schicht, so wie sie das Essen in sich hineinstopft.

"Nun", setze ich an, merke dann aber, dass das, was ich sagen wollte, keinen Sinn ergibt. "Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Absolut langweilig."

Wir lachen laut los. Sie ist so sympathisch, eigentlich ist es ein Wunder, dass sie mir noch nie aufgefallen ist. "Du bist mir hier noch nie aufgefallen.", sage ich an sie gerichtet und kaue auf einem komisch gefärbten Häppchen herum. Was auch immer das ist, es schmeckt. Sehr gut sogar. Sie schüttelt mit dem Kopf. "Ich bin auch selten dabei. Mein Gatte ist zu sehr damit beschäftigt, seinen Ruf aufrecht zu erhalten, dass er sich nicht noch um seine Ehefrau kümmern kann, wenn sie dabei ist. Dabei bin ich pflegeleicht, würde ich sagen."

"Männer.", entgegne ich und wir müssen erneut laut loslachen.

***

Günter und ich sitzen im Auto. Seit er mir die Kette und den Brief gegeben hat, hat er mich angeschwiegen und ignoriert. Unsicher drücke ich mir immer wieder die Fingernägel in die Handfläche, nur, um sie dann mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder reinzudrücken. Günter beobachtet es immer wieder, doch jetzt rollt er mit den Augen und zieht meine Hände auseinander. "Gott, jetzt hör' doch auf damit."

Ich atme tief durch. "Was ist, wenn sie noch leben? Deine Familie, meine ich."

"Unmöglich."

"Weil? Es gibt doch durchaus Menschen, die..."

"Hör auf. Ich kenne die Lager. Ich sehe sie von innen, jeden Tag. Das werden sie nicht überleben. Und wenn doch, dann werden sie das niemals vergessen. Das wäre kein Leben mehr. Das wäre Folter."

"Aber sie wären wenigstens am Leben."

"Wo wäre es ein Leben? Meine kleine Tochter, sie würde Probleme haben. Sie würde durch diese Folter kaputt gehen, sie würde zerbrechen. Das Leben wünsche ich ihr nicht. Das hat sie nicht verdient. Ich liebe sie und meine Frau. Und aus Liebe hoffe ich für sie, dass sie das alles nicht weiter erleben."

Damit endet das Gespräch, weil der Wagen hält und ich aussteigen muss. Ich winke und gehe dann die Treppen zur Wohnung hoch. Es ist bereits spät, weshalb alle schlafen und ich mich in unser Zimmer stehle, nur um den Brief zu lesen.

Schwesterchen,

ich wollte dir nur Bescheid geben, dass hier alles im Lot ist. Monika ist und bleibt zwar eine durchaus langweilige Gesprächspartnerin, aber besser als gar nichts. Nur an den Luxus einer auf einem kalten, harten Boden liegenden Matratze muss ich mich noch gewöhnen. Na ja, dieser Brief ist größtenteils dafür da, damit du einen anderen weitergibst. Kannst du den Brief, in diesem Brief an Hans geben? Es ist mir wichtig. Ich danke dir.

Dein Bruder, Os

Wusste ich es doch!

1941- Zwischen Verrat und FamilieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt