Kapitel 33

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Peter

Kathi liegt im Bett neben mir. Sie konnte die ganze Nacht kaum schlafen, also habe ich sie umarmt und bin bei ihr geblieben, bis sie endlich eingeschlafen war. Die Sonne ist bereits aufgegangen und unser Zimmer liegt in einem wunderschönen gold-gelben Licht. Langsam ziehe ich meinen Arm unter ihrem Kissen hervor, schnappe mir meine Kleidung und verlasse den Raum. Ich schleiche durch die Wohnung in das Badezimmer und ziehe mich an. Dann wasche ich mein Gesicht und fahre mir durch meine Haare, während ich mich im Spiegel beobachte. Was Kathi gestern Abend durchgemacht haben muss. All das muss der Horror für sie sein. Sie ist stark, aber Günter ist über die kurze Zeit zu einem ihrer engsten Freunde geworden. Sie haben sich wirklich gut verstanden und dann passiert das. Das wird sie niemals vergessen können. Und das nur, weil Monika so egoistisch war und einen Alleingang gestartet hat.

Wutentbrannt reiße ich die Tür auf, renne dabei beinahe meine Mutter um und quetsche mich an ihr vorbei. "Peter... was machst du da?", fragt sie mich, während sie sich mit ihrer rechten Hand den Bauch hält und mit der linken Hand am Türrahmen des Badezimmers festhält. Ich binde meine Schuhe viel zu fest, doch ich ignoriere diese Tatsache und werfe mir meinen Mantel über. "Ich muss kurz weg. Kathi schläft, wecke sie nicht."

"Hat sie es dir erzählt?", fragt meine Mutter vorsichtig. Ich halte inne und schaue sie verwirrt an. "Dass sie zum Studium zugelassen wurde?"

Ich schüttle mit dem Kopf. Nein, das hatte sie nicht. "Wo?", ist meine einzige Frage, während ich schon beinahe die Wohnung verlassen habe. Mutter lächelt leicht. "Hier."

Ein Stein fällt mir vom Herzen. Sie würde Hamburg nicht verlassen müssen. Sie würde hierbleiben können. Wir würden nicht getrennt sein müssen. Dann nicke ich meiner Mutter zu und schließe die Tür hinter mir.

***

"Hier.", sage ich und werfe Oskar einen Beutel mit Lebensmitteln hin. Er nimmt sie dankend an und inspiziert, was sich darin befindet. Seit er in diesem Keller haust, hat er abgenommen, isst nicht mehr viel und ist auch sonst ziemlich unbeteiligt an allem. Er sitzt meistens schweigend in der Ecke und kaut an seinen Fingernägeln. Nichts in ihm brennt mehr, als hätte man auch die letzte Kerze in ihm gelöscht.

"Kathi hat einen Studienplatz hier in Hamburg bekommen. Sie wird Ärztin.", sage ich und lächle mein Gegenüber an. Ich freue mich aufrichtig für sie. Aber Oskar verzieht keine Miene. Er nickt lediglich. Ich sehe ihn an, doch er erwidert meinen Blick keine Sekunde. "Was ist los mit dir, Oskar?"

"Nichts. Was soll schon sein? Ich sitze 24/7 in einem Kellerraum fest, mit einer Mitbewohnerin, die ich da draußen nicht einmal angesehen hätte und ihr aus dem Weg gegangen wäre. Und selbst die ist gestern Abend auf mysteriöse Art und Weise verschwunden. Ich habe nichts zu tun und lese dieses eine Buch zum mittlerweile zehnten Mal und bereits zum dritten Mal überkopf. Mir geht es prächtig. Es ist wunderschön hier. Und oh, kennst du bereits diese Spinne? Sie ist ebenfalls neu hier. Fühlt sich auch ganz wohl.", er gestikuliert wild und zeigt abwechselnd zu dem kleinen Fenster und dann zu der Spinne.

Ich starre ihn mit offenem Mund an. Das waren mehr Worte als bei den letzten beiden Treffen. Er wird langsam aber sicher verrückt. "Ich verstehe das, aber", setze ich an, doch werde jäh von einem abfälligen Schnauben von Oskar unterbrochen.

"Du verstehst gar nichts! Du sitzt nicht hier. Du hast ein warmes Zuhause, mit einer großartigen Familie und einer tollen Partnerin, die auf dich wartet. Du hast alles im Leben. Du hast durch diesen Krieg nichts verloren. Du hast sogar gewonnen. Ich sitze hier und habe jeglichen Chancen auf ein normales und bürgerliches Leben verspielt. Mann, kapiere das doch. Ich will hier raus, ich will zusammen mit Kathi nachhause und wieder studieren und mein Leben leben, nicht hier unten versauern.", seine Stimme wird immer wütender und er ist kurz davor komplett durchzudrehen.

"Du hättest dich nicht den Nazis anschließen müssen. Du hättest immer einfach auf Kathis, auf meiner Seite bleiben können. Glaub mir, Kathi arbeitet bereits seit langem an einem Plan dich hier herauszuholen. Aber das bedarf nun einmal Zeit.", ich versuche sachlich zu bleiben. Es ist schließlich die Wahrheit. Weder wurde er gezwungen, noch sonst irgendetwas. Er lacht laut auf und schaut mich aus kalten Augen an. "Du weißt gar nichts, Peter."

Ich atme hörbar aus. Dann mache ich auf der Hacke kehrt und gehe zur Tür. "Noch etwas, Oskar.", sage ich und schaue über die Schulter zu ihm. "Monika ist tot. Deswegen ist sie gestern verschwunden. Steht sogar in der Zeitung. Die kannst du dann auch zehnmal lesen."

Jetzt schaut er mich entrüstet an und kramt in seinem Beutel nach der Zeitung und blättert sie fahrig durch, bis er zu dem Artikel des Anschlages kommt. Ich beobachte ihn nicht weiter, sondern gehe mit zitternden Knien und pochenden Herzen los. Plötzlich höre ich hinter mir lautes Poltern. Dann fühle ich eine kalte Hand, die sich tief in meine Schulter bohrt. "Du und Kathi tanzen doch hin und wieder Swing? Geht nicht mehr in den Alsterpavillon. Bitte. Mitte dieses Jahrs wird er zerbombt. Pass auf meine Schwester auf."

Kathi

Als ich aufwache ist Peter weg und ich liege wieder alleine in meinem Bett. Ich sehe mich in der Wohnung um, doch er ist nirgends. Und auch sonst ist niemand da. Ich ziehe mich also langsam an und esse etwas. In solchen Momenten vermisse ich mein Handy ungemein. Es ist so still und ich kann keine Musik hören. Auch kann ich nicht mit meinen Freunden schreiben und ihnen lustige Bilder senden. Das fehlt mir sehr. Ob sie sich Gedanken um mich machen? Und ob sie mich vermissen?

Irgendwann höre ich das laute Klingeln der Wohnungstür. Als ich öffne, stehen zwei uniformierte Männer vor mir, die mich aus gelangweilten Mienen ansehen. Ich schaue sie fragend an und lege meinen Kopf schief. "Kathi Müller?", meldet sich der schmächtigere der beiden lautstark zu Wort. Ich nicke. "Wir wollen Sie zum vergangenen Abend noch einmal verhören."

Also trete ich zur Seite und lasse die beiden Männer eintreten. Ich bete inständig, dass Peter oder sonst jemand gleich zu mir in diese Wohnung kommt, damit ich nicht alleine bin.

Ich leite die beiden in die Küche. "Wollen Sie etwas trinken? Einen Tee vielleicht?", frage ich mit freundlicher Stimme. Einer der beiden nickt. Der andere fragt freundlich nach einem Wasser. Ich nicke und setz den Wasserkessel auf dem Herd auf. Mir selbst gieße ich ein Wasser ein.

"Sie waren gestern Abend nicht in dem Haus. Ebenso wie Frau Lehmann. Korrekt?", fragt nun der breitere, während der schmächtige seine Notizen macht und seinen Tee trinkt. Ich nicke.

"Warum?", fragt nun der andere. Ich nehme einen Schluck meines Wassers, behalte ihn kurz im Mund und schlucke ihn dann runter.

"Es war stickig und Frau Lehmann sagte, sie wolle kurz raus. Nur frische Luft schnappen. Mehr nicht. Wir waren keine zwei Minuten draußen, da explodierte bereits etwas und das Haus ging in Flammen auf."

"Tranken Sie etwas?", ich verneine.

"Sie und Herr Ackermann waren gemeinsam dort. Waren Sie verlobt oder standen sich anderweitig nahe?"

Ich verschlucke mich heftig an meinem Wasser. Ich huste laut. "Nein, weder verlobt noch sonst irgendetwas."

"Kannten Sie die Attentäterin?"

"Nicht das ich wüsste."

Die beiden Männer nicken und bedanken sich für meine Zeit. Dann gehen sie. Doch ich frage mich noch immer, warum sie hierhergekommen sind. Sie hatten meine Aussagen bereits. Natürlich muss ich Hauptverdächtige Nummer eins sein, doch ich fand all das ziemlich merkwürdig. Auch Peter pflichtet mir bei, der mir noch immer nicht erzählen möchte, wo er den ganzen Morgen war.

1941- Zwischen Verrat und FamilieWhere stories live. Discover now