Epilog

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Ich schlendere den langen Gang entlang. Mein Herz rast wie verrückt. Denn wenn ich Recht behalte, dann werde ich jetzt jemandem begegnen, den ich schon so lange nicht mehr gesehen habe. Der mich aber schon viel länger nicht gesehen hat. Ich stehe vor der Tür. Zimmer 303. Ich zögere bevor ich klopfe. Doch dann klopfe ich. Vielleicht ein wenig zu laut. Im Inneren höre ich ein leises Murren. Also öffne ich die Tür ganz vorsichtig und langsam. Wer weiß, was mich darin erwartet. Entweder mach der Bewohner gleich Freudensprünge, oder er würde mich am liebsten umbringen. Das kann ich noch nicht beantworten.

Ich betrete den Raum und sehe einen alten Mann, der in einem Rollstuhl sitzt und zum Fenster hinaus starrt. "Gibt es schon wieder essen? Ich habe keinen Hunger, Fräulein.", seine Stimme wirkt bedrohlich. Am liebsten würde ich einen Rückzug starten. Aber jetzt ist es zu spät. Ich habe die Tür bereits geschlossen. Ich atme sehr tief durch, versuche mein Herz zu beruhigen. Aber es wird und wird nicht besser. Also Augen zu und durch.

"Nein, Hans.", antworte ich. "Ich habe nichts zum Essen dabei."

Ich sehe, wie sich seine Schultern entspannen und nach unten sinken. Hans dreht seinen Rollstuhl um und rollt zu mir. Ich grinse. Er steht direkt vor mir. Er hat kaum noch Haare auf dem Kopf und die letzten sind weiß. Er ist so dünn geworden, doch seine blauen Augen strahlen noch immer ganz genauso wie früher. Langsam greift er nach meiner rechten Hand und umfasst sie mit seinen beiden Händen.

"Bist du es wirklich? Bist du es Oskar?", fragt er und ich sehe Tränen in seinen Augen. Ich nicke nur und hocke mich zu ihm runter. Auch mir kommen die Tränen.

"Ich bin es.", wir umarmen uns. Wir lassen uns nicht los.

"Ich habe dich vermisst, Hans."

"Ich habe dich auch vermisst, Oskar. So schrecklich."

Und wir umarmen uns noch immer. Und wir lassen uns nicht los.

***

1941- Zwischen Verrat und FamilieOù les histoires vivent. Découvrez maintenant