Mit dieser Aussage beeindruckt sie Owen zutiefst. Kaum jemand würde sich die Gelegenheit nehmen lassen, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Ihre Selbstlosigkeit fasziniert ihn. „Darf ich Sie fragen, was Sie dazu veranlasst hat, nachts das Meer aufzusuchen?"

Sie hat nicht in Erwägung gezogen, dass er sie danach fragen könnte. Deswegen hat sie keine spontane Antwort parat. „Ich ... also ...", stammelt sie hilflos. „Ich versuche meinem Exfreund aus dem Weg zu gehen", hält sie sich einigermaßen an die Wahrheit.

Owen spielt mit dem Gedanken, ihr ein paar Fragen bezüglich ihres Exfreundes zu stellen. Doch er fühlt sich nicht in der Position dies zu tun. Bestimmt ergibt sich zu einem späteren Zeitpunkt eine Gelegenheit, die sich besser eignet. Außerdem ist da noch eine andere Sache, die ihm Kopfzerbrechen bereitet. „Nur noch eine Frage, dann werde ich damit aufhören, Ihnen mit diesem Thema auf die Nerven zu gehen."

„Okay", stimmt Tara zu, dankbar darüber, dass sie es nahezu geschafft hat, ihm Rede und Antwort zu sehen.

„Wie in Dreiteufelsnamen ist es Ihnen gelungen, gegen das Tosen des Meeres anzukommen und mich aus diesen gewaltigen Wellen zu ziehen?" Er bedenkt ihre zierliche Figur mit einem skeptischen Blick. Nicht weil ihm nicht gefällt was er sieht - Gott bewahre! Er ist sich sogar sicher, nie zuvor eine perfektere Figur gesehen zu haben. Ihm will es nur nicht in den Kopf gehen, wie ein Fliegengewicht, wie sie es ist, die Kraft aufbringen kann, einen gestandenen Mann aus den Rauen des Meeres zu hieven.

Hätte sie gewusst, was er im Begriff zu fragen ist, dann hätte sie wohl nicht so einfach zugestimmt. Chantara will ihn nicht permanent belügen. Aber sie kann ihm unmöglich die Wahrheit sagen. „Nun ..." Sie räuspert sich und räumt sich Zeit ein, um nachzudenken. „... es ist nicht so, dass Sie an Übergewicht leiden", sagt sie das Erste, was ihr in den Sinn kommt. Ihre Absicht ist es gewesen, seiner Frage mit ein wenig Witz die Bedeutung zu nehmen. Doch sie hat nicht bedacht, welche Erinnerung sie damit heraufbeschwört. Gedanklich blickt sie auf seinen ausgelaugten Körper hinab. Auf seinen Oberkörper, den sie genau im Auge behalten hat, um auf das Heben und Senken seines Brustkorbes zu achten. Dabei ist ihr nicht entgangen, dass an seinem Körper kein Gramm Fett zu finden ist, sondern betonte Muskeln, die keinesfalls übertrieben wirken, aber durchaus in der Lage sind, sie zu beschützen. Chantara ist überzeugt, dass sie in seinen starken Armen die Sicherheit und Geborgenheit erfahren würde, nach der sie sich so sehr sehnt.

Obwohl er keine eindeutige Antwort auf seine Frage erhält, ist er damit mehr als nur zufrieden. „Es scheint, als ob Sie sich die Zeit genommen hätten, mich genau unter die Lupe zu nehmen", bringt er mit einem schelmischen Grinsen hervor, dankbar darüber, zur gewohnten Form zurückzufinden.

Mit einem Konter dieser Art hat Chantara nicht gerechnet. Aber immerhin ist ihr Plan aufgegangen. Er stellt keine weiteren Fragen zu seiner Rettung. Doch seine Flirtlaune macht ihr nicht weniger zu schaffen. Was ist nur los mit ihr? Es hat ihr keinerlei Schwierigkeiten bereitet, es mit der arroganten Erhabenheit und den üblen Launen Zales aufzunehmen, aber dieser Menschenmann legt sie eins ums andere Mal lahm. „Nun, das Wasser aus Ihren Lungen zu pressen, ist mir nur möglich gewesen, indem meine Hände ihren Oberkörper berühren. Die Tatsache, dass Sport offensichtlich zu Ihren Hobbys zählt, ist mir dabei nicht verborgen geblieben", versucht sie das Gespräch wieder etwas zu entschärfen. Doch erst als sie es ausgesprochen hat, fällt ihr auf, dass dies nicht besonders geglückt ist.

Owen zieht scharf die Luft ein. Himmel, sie lässt erste Hilfe Maßnahmen wie den Beginn eines Vorspiels klingen. Seine Gedanken driften zu besagter Nacht ab. Auch wenn er diesen Moment nur bruchstückhaft abrufen kann, glaubt er sich daran zu erinnern, wie ihre Hände seinen Körper berührt haben. Er lechzt danach, erneut in diesen Genuss zu kommen. Unter vollem Bewusstsein. Mit der Möglichkeit, es ihr gleichtun zu können. Allein daran zu denken, wie ihre zarten Hände über seinen Oberkörper streichen, sorgt für ein beachtliches Pulsieren in seiner Körpermitte. Räuspernd schiebt er seine verräterischen Gedanken zur Seite. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Gästezimmer", sagt er, um mehr Gastfreundschaft und weniger Lustmolchgehabe zum Besten zu geben.️

•••

„Du willst mit mir sprechen?", lässt Yarrow verlauten, kaum dass er in Zales Grotte angekommen ist.

„Ja", bestätigt der Anführer, der aufgewühlt hin und her schwimmt. „Danke, dass du gekommen bist."

Verwundert über Zales freundlichen Empfang neigt Yarrow seinen Kopf leicht zur Seite. Er wirft dem angespannten Oberhaupt einen skeptischen Blick zu. „Um was geht es?"

„Um Aenon", liefert Zale Aufschluss. „Ich brauche deinen Rat."

Es liegt eine Weile zurück, dass er von Zale als Berater herangezogen worden ist. Seit dem Zwischenfall mit Chantara dient für gewöhnlich als Frustablass und nichts darüber hinaus. „Aenon?", wiederholt Yarrow und gibt vor, keine Ahnung zu haben, warum dieser Meermann mit einem Mal von derartiger Bedeutung ist. Auf keinen Fall darf er durchblicken lassen, die beiden belauscht zu haben.

Der Anführer schwimmt auf seinen Freund und rechte Hand zu. Dabei wird deutlich wie viel größer und stärker er im Vergleich zu Yarrow ist. „Ich traue ihm nicht", wirft Zale verärgert aus. Seine dunkelblauen Augen sind zu schmalen Schlitzen zusammengepresst und seine Fangzähne stark ausgeprägt. „Er belügt und hintergeht mich", donnert er durch das Gewässer, welches unter seinem Groll zu tosen beginnt. Seine Haarpracht bauscht sich auf und verleiht ihm jene dunkle Aura, für die er gefürchtet ist.

„Und wozu brauchst du mich?", fragt er, auch wenn er es im Grunde nicht wissen will.

„Du wirst herausfinden welchen Grund Aenon hat, mich für dumm zu verkaufen!" Zale legt seine Hand auf den nebenstehenden Felsen, der säulenartig seine Grotte schmückt. Das Gestein beginnt zu bersten und bröckeln. Augenblicklich fühlt Zale sich besser. Wenn er dies doch nur mit Aenon getan hätte, bevor er dieser Bastard die Chance gehabt hat, zu verschwinden. „Sobald ich die Beweise habe, dass er mich hintergeht, wird er das Ausmaß meines Zorns zu spüren bekommen!", setzt sich Zales donnernde Drohung über den Lärm des zerspringenden Felsens hinweg.

Yarrow nickt. Er hält es für unnötig etwas darauf zu erwidern. Zale duldet keinen Widerspruch. Außerdem wäre es ohnehin schwer, sich über die Detonation hinwegzusetzen.

Zale zieht seine Hand zurück. Der Felsen ist nicht länger existent. „Und jetzt schick mir Noelani! Ich brauche einen guten Fick, um auf andere Gedanken zu kommen."

Zales Worte legen sich wie ein Band um Yarrows Herz und schnüren dieses gewissenhaft ab. Die Enge, die er in seiner Brust fühlt, raubt ihm nahezu die Besinnung. Er presst seine Kieferknochen fest aufeinander, um zu verhindern, dass seine Fangzähne zum Vorschein kommen. Zornentbrannt fällt sein Blick tiefer, direkt auf Zales gewaltige Ausbeulung, die sich unter dessen Schuppen bemerkbar macht. Gerne würde Yarrow damit ebenso verfahren, wie Zale zuvor mit dem Felsen. Sich auszumalen, wie Zale seine Männlichkeit einsetzt und besitzergreifend in Noelanis Mitte versenkt, um sich gierig zu nehmen, was ihm nicht zusteht, gibt dem Wort Wut eine vollkommen neue Bedeutung. Auch wenn Yarrow der Sinn danach stünde, sich an Ort und Stelle zu übergeben, bemüht er sich nach Leibeskräften seinen Abscheu und Ekel hinunterzuschlucken. „Natürlich", presst er unter zusammengebissenen Zähnen hervor. Er kann sich nicht daran erinnern, dass seine Fänge jemals zuvor derart ausgeprägt gewesen sind.

drOWNingWhere stories live. Discover now