fünfzehn.

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Chantara ist nicht in vielen Gebäuden des Festlandes gewesen, trotzdem ist ihr sofort klar, dass Owen über dem Durchschnitt lebt.

Sein Haus steht nicht nur in exklusiver Lage, sondern ist zudem ein architektonisches Meisterwerk. Die Räume erstrecken sich über Halbebenen und sorgen für eine offene Atmosphäre. Eine schlichte Einrichtung lässt die gewagte Bauweise in bodenständiger Moderne erstrahlen.

„Ich zeige Ihnen das Gästezimmer", bricht Owen in Chantaras erste Eindrücke ein. Er ist bemüht um einen neutralen Tonfall, der nicht verrät, wie durcheinander er ist. Es gibt so vieles, was er sagen und fragen möchte, doch die Emotionen, die über ihn einbrechen, lassen ihn keine passenden Worte finden. Er erkennt sich selbst kaum. In seinem Tatendrang hat er ihr schneller seine Gastfreundschaft angeboten, als er sie nach ihrem Namen gefragt hat. „Ich heiße übrigens Owen", bringt er dann doch über seine Lippen und hofft, dass sie es ihm gleich tut.

„Tara", enthüllt sie ihren Namen, den er durch die Blume erbeten hat. Zumindest einen Teil davon. Sie erachtet es für ratsam, ihm nur die Kurzform zu nennen. Sicher ist sicher.

Vor der Tür des Gästezimmers hält Owen inne. „Es gibt keinen Grund, mir zu danken. Ich bin derjenige, der Ihnen zu danken hat", betont er ein weiteres Mal.

Verlegen senkt Tara ihren Blick. Sie hat gehofft, dass sie nach der Rettungsaktion schnell genug verschwunden wäre, bevor er so weit bei Bewusstsein gewesen ist, um sie zu bemerken. Anscheinend ist dies fehlgeschlagen. Massiv fehlgeschlagen. Im Grunde ist sie erfreut darüber, dass sie sich in seiner Erinnerung eingenistet hat. Das Problem findet sich an anderer Stelle. Wenn die Geschichte der heroischen Lebensretterin die Runde machen würde, wäre es gut möglich, dass Zale Wind davon bekommen würde. Das darf nicht passieren! Je weniger Aufmerksamkeit sie erregt, desto besser. „Wäre es möglich, dass wir diese Sache für uns behalten?"

Owen zieht seine Augenbrauen eng zusammen und verleiht seinem Gesicht damit die Ausstrahlung eines Fragenzeichens. Er ist sich nicht sicher, ob er ihre Bitte richtig verstanden hat. „Ich soll niemandem davon erzählen, dass Sie mich vor dem Ertrinken gerettet haben?"

Vorsichtig hebt Tara ihren Kopf und nickt kaum merklich. Diesen wundervollen Mann anzusehen, kommt einem Schmerz gleich, den sie nicht zu benennen vermag. Sie verliert sich in seinen Augen, deren Farbe nicht mit einem Wort zu beschreiben ist. Im ersten Moment wirken diese blau, ähnlich wie der Ozean, der unter Sonneneinstrahlung funkelt. Darunter mischen sich grün-schimmernde Nuancen, vergleichbar mit Seetang im Wellengang. Doch da ist auch ein Hauch von Grau. Wunderschön und geheimnisvoll zugleich. Tara schickt ihren Blick weiter zu seinen markanten Wangenknochen, die trotz der Bartstoppeln klar zu erkennen sind. Sie kämpft gegen den Drang an, mit ihren Fingerspitzen darüber streichen zu wollen, um das Ausmaß seiner Schönheit fühlen zu können. Ihr Augenmerk fällt auf seine sinnlich geformten Lippen, aus denen diese wohlklingende, dennoch tiefe Stimme dringt, die ihr, mit jedem einzelnen Wort, einen Schauer über den Rücken jagt. Sie ertappt sich bei der Frage, wie es wäre, wenn diese Lippen anstatt Worte, Taten sprechen lassen würden? Nur allzu gerne würde sie in den Genuss kommen, von seinen starken Armen eingeschlossen, von seinen Händen berührt und von seinen Lippen liebkost zu werden. Sie brennt darauf, zu erfahren, wie sich Zweisamkeit in Menschengestalt anfühlen mag. Dieser Mann weckt ein Verlangen in ihr, das ihr vollkommen neu ist. Ein menschliches Verlangen - weit davon entfernt, jener Trieb zu sein, den sie gewohnt ist.

„Tara?", fragt Owen. Sie wirkt abwesend. „Geht es Ihnen nicht gut?"

Oh, wenn er nur wüsste, dass er es ist, der ihr derart zu schaffen macht. Sie blendet seine anziehende Erscheinung aus und lenkt ihren Fokus zurück auf die Unterhaltung. „Ja", antwortet sie. „Ja, es geht mir gut." Wo ist das Gespräch noch gleich stehengeblieben? Sie hat komplett den Faden verloren. „Ähm ... es ist selbstverständlich gewesen, Sie nicht ertrinken zu lassen. Ich möchte mich damit auf keinen Fall in den Mittelpunkt stellen. Vor allem möchte ich nicht darauf reduziert werden."

drOWNingWhere stories live. Discover now