zwei.

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Owen tritt durch die gläserne, doppelgeflügelte Eingangstür des Night Dew, das Hotel seines Vaters. Vor ihm offenbart sich ein lichtdurchfluteter Empfangsbereich. Auserlesener, italienischer Steinboden ist auf Hochglanz poliert. Von der hohen Decke hängen pompöse Leuchter, die mit der Sonne in ernstzunehmender Konkurrenz stehen. Das kostspielige Mobiliar ist aus keinem Katalog, sondern speziell nach den Wünschen und Vorstellungen des Hotelbesitzers, Gabriel Rockwell, angefertigt worden. Owen hasst jedes noch so kleine Detail davon. Immer wieder ertappt er sich bei der Frage, was in Dreiteufelsnamen er eigentlich hier sucht. Obwohl sich das Hotel seines Vaters, in dem er so viel seiner Zeit verbracht hat, wie ein zweites Zuhause anfühlen sollte, was es zweifelsohne auch ist, bleibt dieses Empfinden dennoch aus. Darüber bewusst, auf welch hohem Niveau er jammert, ermahnt er sich, sich zusammenzureißen. Andere würden sich die Finger lecken, wenn sie mit ihm tauschen könnten. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Mit schnellen Schritten lässt Owen den protzigen Eingangsbereich hinter sich und steuert direkt auf die Büroräume zu, die sich im Erdgeschoss befinden. Kaum, dass er die Tür zu seinem Büro hinter sich zugezogen hat, klingelt das Telefon auf dem Schreibtisch. „Rockwell", meldet er sich nicht ganz so formell, wie er es, gemäß den Wünschen seines Vaters, tun soll. Und vielleicht auch nicht ganz so freundlich, wie dies gewünscht ist.

„Ähm ... guten Tag", stammelt der Anrufer.

„Guten Tag", grüßt Owen zurück und wartet darauf, dass der Gegenpart sein Anliegen vorträgt.

Doch am anderen Ende herrscht verunsichertes Schweigen.

„Hallo?", vergewissert sich Owen, ob noch länger jemand in der Leitung ist.

„Bin ich hier richtig im Night Dew?", erkundigt sich der Anrufer.

„Ja", bellt Owen wortkarg in den Hörer.

„Ähm ... ja, also ... mein Name ist ..." Der stammelnde Gesprächspartner macht erneut eine Pause, ganz so, als ob er zuerst darüber nachdenken muss, wie sein Name lautet. „Chester", lässt er schließlich verlauten.

„Sehr erfreut", quält Owen die längst überfällige Höflichkeit heraus und wundert sich, warum er lediglich einen Vornamen genannt bekommt.

„Ich rufe wegen ..." Wieder gerät der Anrufer ins Stocken. „... Ihres Nebengeschäfts an."

Owen legt seine Stirn in Falten, weil er nicht den Hauch einer Ahnung hat, was es mit diesem Gespräch auf sich hat. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, worauf Sie hinauswollen."

„Ich bin hier ganz sicher im Night Dew?", vergewissert sich Chester ein weiteres Mal, der nicht weniger verwirrt scheint, als Rockwell.

„Ja", bestätigt Owen erneut.

Schwarze Lilie", schmettert Chester mitten in das Telefonat.

Owen wirft einen Blick auf das Display der Telefonstation, in der Hoffnung, dass die Nummer Aufschlüsse liefert, was es mit diesem eigenartigen Anruf auf sich hat. Doch er findet keine hilfreichen Ansätze.

Chester ruft mit unterdrückter Nummer an.

„Von was für einem Nebengeschäft sprechen Sie?", versucht Owen, sich Klarheit zu verschaffen.

„Ähm, ich -" Chester, oder wie auch immer er in Wirklichkeit heißt, legt auf ohne etwas Weiteres zu sagen.

Irritiert blickt Owen erneut auf das Display, um die Gewissheit zu finden, dass der Anruf tatsächlich beendet ist. „Was zur Hölle?", zetert er, bevor er den Hörer zurück auf die Station legt. Ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen, zieht er seine Anzugjacke aus und hängt diese über einen der Stühle der kleinen Besprechungsecke, die er kaum in Anspruch nimmt. In Jeans und T-Shirt fühlt er sich deutlich wohler. Um sich etwas von diesem Wohlgefühl zurückzuholen, krempelt er die Ärmel seines Hemdes ein Stück zurück und öffnet den obersten Knopf. Diese verfluchten Hemdkragen geben ihm ein Gefühl von Enge. Er atmet einmal tief durch, um sich die gewonnene Freiheit zu verdeutlichen.

drOWNingOnde histórias criam vida. Descubra agora