sieben.

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Bereits zum zwölften Mal an diesem Tag klingelt Owens Mobiltelefon. Wie die vorangegangenen elf Anrufe nimmt er auch diesen nicht entgegen. Mit Sicherheit ist es sein nervtötender, in den Rücken fallender, verräterischer Witz eines Vaters. Der Alkohol vom Vortag hat für genügend Kopfschmerzen gesorgt. Owen legt keinen Wert dieses zu verschlimmern, indem er sich die geistigen Ergüsse seines Vaters zu Gemüte führt. Sein Anwalt brütet bereits über den Verträgen und sucht nach einer Lösung, die ihn aus der Verpflichtung gegenüber dem Hotel herausboxen kann. Endlich hat Owen die Zeit, sich den Dingen zu widmen, die in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen sind. Nur in einer Jeans bekleidet, die mit Farbspritzern übersäht ist und derart tief sitzt, dass sie droht jeden Moment von seiner Hüfte zu rutschen, steht er in dem Lieblingszimmer seines Hauses - dem Atelier. Mit gemischten Gefühlen betrachtet Owen die Leinwand direkt vor sich, auf der er, die letzten Stunden über, ein Kunstwerk geschaffen hat. Er blickt auf die Frau, von der er nicht weiß, ob sie real oder nur die Einbildung seines Nahtodmoments ist. Die Frage, ob sie es gewesen sein kann, die ihn aus den Fluten gezogen hat, lässt ihn nicht los. Ohne eine Antwort zu finden, ist er sich zumindest darüber sicher, dass sie das Schönste ist, was er jemals gesehen hat ... oder sich jemals eingebildet hat.

Er fühlt sich in seine Kindheit zurückversetzt, als er sich mit sieben Jahren seinen besten Freund eingebildet hat. Die Sache mit Mister Eight, dem Oktopus, liegt inzwischen neunzehn Jahre zurück, trotzdem erinnert sich Owen ganz genau. Mister Eight hat nicht nur ausgezeichnet an Land leben können, sondern den kleinen Jungen auch gewissenhaft vor allen üblen Mitspielern beschützt. Mit jedem seiner Tentakel hat der imaginäre Freund alle windelweich geprügelt, die Owen für sein damaliges Übergewicht verspottet haben. Heute ist Owen weit davon entfernt, übergewichtig zu sein. Er ist auch nicht mehr sieben, sondern vermutlich ist ihm zu viel Salzwasser zu Kopf gestiegen. Oder dieser verfluchte Scotch! Diese Trinkerei muss ein Ende haben!

Erschöpft von seiner Nacht und seinen Gedanken, fährt er sich über sein Gesicht und durch seine Haare, wo er ebenfalls Spuren von Farbe zurücklässt. Er legt den Pinsel zur Seite und geht auf die Veranda, um sein ausgelaugtes Gehirn mit frischer Luft zu versorgen. Während er tief ein- und ausatmet, lässt er seinen Blick, wie so oft, über den Strand und über das Wasser schweifen. Manchmal kommt es ihm so vor, als würde das Meer seinen Namen rufen. Seit er um ein Haar darin ertrunken ist, fühlt er eine unerklärliche Bindung. Gütiger Gott! Er schüttelt über sich selbst den Kopf.

Erneut klingelt sein Telefon. Er hätte wirklich große Lust, sein Handy im Klo zu ertränken. Was denkt sich dieser alte Stinker? Dass sie einfach so weitermachen wie bisher und ignorieren, dass er seinen Schwanz in Dinge gesteckt hat, die ihn nichts angehen? Owen will überhaupt nicht daran denken, wie lange es die beiden schon hinter seinem Rücken treiben. Wie oft hat er wohl schon, direkt nach seinem Vater, mit Lindsey geschlafen? All die frische Luft ist nicht hilfreich, um den Anflug von Übelkeit wegzuatmen. Das Klingeln an seiner Haustür reißt ihn aus seinen niederschmetternden Gedanken. Obwohl er keine Lust auf Gesellschaft hat, geht er dennoch nachsehen, wer es wagt, in seine Melancholie einzubrechen.

Als sich die Tür vor Ida öffnet und sie ihren Freund begrüßen möchte, bleibt ihr das Wort ihm Hals stecken. Sie hat nicht damit gerechnet, Owen derart freizügig präsentiert zu bekommen. Zu ihrer Verteidigung muss sie sagen, dass sie sich alle Mühe gibt, sich nicht auf seinen blanken Oberkörper, sondern auf sein Gesicht zu konzentrieren. Auf seine faszinierenden Augen, von deren Verlauf, von Blau zu Grau, sie jedes Mal aufs Neue in den Bann gezogen wird. Und auf seine markanten Wangenknochen, die sein wunderschönes Gesicht vollenden. Jenes Gesicht, das mit Farbe beschmiert ist. Irritiert folgt sie den Farbklecksen, die von seiner Wange über sein Kinn, bis hin zu seiner wohlgeformten Brust führen, hinab zu seinem definierten Bauch. Heiliger Strohsack! Sie wird sich nie daran gewöhnen, wie atemberaubend sein verfluchter Körper ist. Ihre Blickentgleisung endet damit, dass sie auf seine ausgeprägte V-Linie starrt, die nur spärlich von seiner Jeans bedeckt wird. Augenblicklich steigt eine verräterische Hitze in ihr auf. Willensstark lenkt sie, unter aussetzender Atmung, ihren Blick zurück auf sein Gesicht. Es ist nicht so, dass seine markanten Züge und sein durchdringender Blick weniger Effekt auf sie ausüben. Doch immerhin steht sie jetzt nicht mehr kurz davor, wie ein Hund, dem ein Knochen unter die Nase gehalten wird, zu sabbern. Sie wird sich über ihre längst überfällige Begrüßung bewusst. „Hi", bringt sie dünn und bebend über ihre Lippen, die sie gerne anderweitig einsetzen würde. Ihre notdürftige Begrüßung klingt mehr nach einem krächzenden Kehllaut, als nach einem klar formulierten Wort. Gedanklich rügt sie sich für ihr auffälliges Verhalten und bereut, hierhergekommen zu sein.

drOWNingWhere stories live. Discover now