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Taehyung

„Bitte sehr." Ich zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen und serviere zwei Stück Kuchen. Die jungen Frauen bedanken sich charmant und beobachten mich ganz genau, aber ich kehre ihrem Tisch nur den Rücken zu und widme mich dem nächsten Gast.
Einfach immer weiter arbeiten, arbeiten, arbeiten, arbeiten und dabei alles andere, um das ich mir Gedanken machen könnte, ausblenden.

Normalerweise funktioniert das auch einwandfrei, aber heute ist es anders.

Dank Seokjin sind all die Gedanken, die ich nach einem langen und anstrengenden Weg in einer Kiste tief in meinem Inneren verschlossen habe, wieder an die Oberfläche gekommen. Er hat das Schloss einfach so aufgebrochen, ohne sich darum zu kümmern, was er damit freilässt.

Kurz überlege ich, ob ich deswegen sauer auf ihn bin.
Aber eigentlich bin ich das nicht wirklich, in dem Moment war ich einfach nur überfordert. Er hätte vielleicht bei dem Thema sensibler vorgehen können, aber er hat mich nicht absichtlich verletzen wollen, da bin ich mir sicher. Er ist nun mal der Tod und für ihn ist das einfach etwas alltägliches. Das ich da selbst nach fünf Jahren so empfindlich bin, hätte er nicht erahnen können.

Natürlich, der Tod eines geliebten Menschen ist nicht etwas, was man irgendwann überwinden kann. Man kann nur lernen, damit zu leben und sich nicht davon fertig machen zu lassen.
Aber die Art, wie meine Mutter gestorben ist, verbietet es mir einfach damit abzuschließen.

Meinem Vater geht es immer noch so und ebenso wie ich, hat auch er regelmäßig den Psychologen besucht. Alleine hätten wir es nicht geschafft, damit umzugehen. Wir wären nur langsam von einem dunklen Loch der Trauer, Depressionen und Paranoia verschlungen worden. Auch jetzt, fünf Jahre später, gehen wir beide gelegentlich zu Doktor Hwang, wenn es uns wieder schlechter geht. Es ist nichts wofür ich mich schäme, denn ohne ihn wäre ich vermutlich schon längst zerbrochen.

„Du kannst Schluss machen, Taehyung. Heute ist nicht so viel los und ich weiß doch, das am Ende des Semesters immer viel los bei dir ist." Meine Chefin fängt mich ab, als ich gerade dreckiges Geschirr in die Küche bringe. Lieb zwinkert sie mir zu und ich erwidere ihr freundliches Lächeln ehrlich.

„Okay, danke dir."
Ich stelle noch das Tablett ab, werde meine Schürze los und verabschiede mich von meinen Kollegen. Dann mache ich mich auf den Weg nach Hause, auch wenn ich kurz überlegt habe, mir noch einen Kaffee zu gönnen und noch etwas zu entspannen. Aber seit Seokjin hier versucht hat eine Seele einzusammeln, ist das Café kein Ort mehr für mich, an dem ich mich auch privat aufhalten möchte.

Zuhause wartet tatsächlich ein riesiger Berg an Arbeit auf mich und nach dem ich verzweifelt versucht habe zu lernen, lege ich meine Notizen beiseite und räume erstmal ein bisschen auf. Eigentlich bin ich kein Ordnungsfreak, aber wenn ich mich auf etwas konzentrieren möchte, muss mein Umfeld sauber sein.

Morgen Abend war Freitag und es würde in der alten Kneipe wieder eine Studentenparty stattfinden. Eigentlich macht mir sowas immer Spaß, auch wenn ich mich nicht jedes Mal hemmungslos betrinke. Aber für einen Abend einfach nur feiern und tanzen hebt meine Laune meistens ungemein.
Trotzdem hadere ich jetzt mit mir, ob ich gehen sollte oder nicht.

Ich will nicht lügen, auf diesen Parties schleppe ich auch oft genug jemanden ab oder mache zumindest mit der ein oder anderen Person rum. Angetrunken lasse ich meinen Charme ab und an auf die uninteressanten Leute meiner Uni wirken und gönne mir jemanden. Ich bin am Ende nie wirklich zufrieden, aber auch ich habe so meine Bedürfnisse.

Nur jetzt gibt es ein Problem, ein Problem auf zwei Beinen, welches auf den Namen Seokjin hört.

Dieser Mann... oder dieser Tod... ist die Personifizierung meiner Träume und wenn ich schon vorher von den Menschen um mich herum gelangweilt war, finde ich sie jetzt erst recht unspannend. Bisher hat mich niemand beeindruckt, keinen fand ich faszinierend genug - und dann kam Jin.

Wenn ich jetzt einfach auf die Party gehen würde, könnte ich mir garantieren, am Ende nicht glücklich zu sein. Noch nie hat mich jemand so fühlen lassen wie er, mein Körper scheint einzig und alleine ihm gehören zu wollen. Und auf irgendeine verdrehte Art und Weise will ich mich nur noch auf ihn einlassen, denn nur dann bringen mich Berührungen wirklich in den siebten Himmel. Natürlich bringt der Tod dich in den siebten Himmel, denke ich mir da ironisch.

Am Ende sage ich Hoseok und Jimin doch zu, dass ich komme und sogar Jungkook will mit, auch wenn er nicht auf meine Universität geht. Und wenn der Keks kommt, ist Yoongles auch nicht weit, er muss ja schauen, das niemand seinem Hasen zu nahe kommt.

Aber was mich viel mehr ärgert als diese blöde Party, ist die Tatsache, dass Jin kein einziges Mal ungebeten auftaucht. Dabei war ich sogar noch so blöd, in der Uni nach ihm Ausschau zu halten.
Und das ich mich ärgere, wenn der Tod nicht vorbeischneit, ärgert mich noch mehr, denn ich sollte mich deshalb nicht ärgern - denn das würde bedeuteten, dass ich so etwas wie Gefühle für ihn entwickeln würde.





Seokjin

Frustriert fahre ich mir durch die Haare und würde am liebsten einen Drink nach dem anderen sippen. Aber auch der Tod sollte auf seiner Arbeit nüchtern sein - auch wenn ich jetzt lieber mit Taehyung in die Uni gehen würde. Aber ich habe es schlichtweg zeitlich nicht einrichten können und irgendwie wollte ich den Menschen nach gestern auch nicht sehen. Das wäre total unangenehm geworden und ich hätte nicht gewusst, was ich jetzt machen soll.

Ein Klopfen. „Sir?"
„Ja, bitte", ich lasse den Tod vor meiner Tür herein. Ein kleiner, zierlicher Kerl dessen Namen ich nicht genau weiß, der mir aber seit einigen Jahrhunderten brav assistiert. Es ist nun mal so, dass nicht jeder Tod die Art von Außendienst hat, um die Lebenslichter einzusammeln. Auch wir brauchen eine Art Verwaltung um alles zu organisieren und tatsächlich habe auch ich, als größter und mächtigster Tod, einen Haufen an Papierkram zu erledigen.

„Haben Sie gefunden, wonach ich gesucht habe? Das Lebenslicht der Frau, die im November 2015 starb?"
„Nun, das war leider sehr wage - in dem Monat sind schließlich mehrere Millionen Lebenslichter eingesammelt worden. Aber dank Ihrer Angabe, dass das besagte Lebenslicht eine menschliche Hülle, mit einem Sohn namens Kim Taehyung hat, ist es mir gelungen, den Tod ausfindig zu machen, der das Lebenslicht eingesammelt hat."

„Und? Geht es der Seele gut?", frage ich neugierig und bin erleichtert, endlich den zuständigen Tod gefunden zu haben. Dann kann ich Taehyung wenn wir uns sehen sagen, dass es seiner Mutter gut geht und sie irgendwie an einem besseren Ort ist.

„Da ist ja das Problem, Sir", murmelt der zierliche Mann vor mir jetzt und rückt nervös seine Brille zurecht.
„Jetzt sprich schon. Wo liegt das Problem? Ist der zuständige Tod suspendiert?", frage ich ungeduldig, aber werde mit einem Kopfschütteln belohnt.

„Nein, viel schlimmer. Als die tote Frau gefunden wurde... gab es kein Lebenslicht was wir hätten einsammeln können. Sie hatte keine Seele mehr."

Last OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt