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Seokjin

Ob ich die Seele seiner Mutter kenne. Der Frau, die er augenscheinlich so sehr geliebt hat, dass jetzt Tränen in seinen sonst so leuchtenden Augen schimmern und seinen Blick ganz glasig werden lassen. Ich spüre fast schon seinen Schmerz und beiße mir unsicher auf die Lippen, unschlüssig darüber, wie ich jetzt reagieren soll.

Ich zögere. „Nein", murmele ich dann, möglichst sanft. „Ich kann mich an jede einzelne Seele erinnern, die ich je nach Hause gebracht habe. Aber die deiner Mutter war nicht dabei."
Vielleicht hätte ich ihn anlügen und ihm sagen sollen, dass ich ihre Seele kenne und weiß, dass es ihr gut geht. Aber irgendwie kann ich ihn nicht anlügen, auch wenn es ihm dann bestimmt besser gehen würde.

Taehyung schluckt kurz und sieht nach unten, auf seine zerwühlte Bettdecke. Ich weiß, dass er gerade versucht seine Tränen zurückzuhalten und ich spreche ihn nicht darauf an. Wie auch? Das, was er fühlt kann ich nicht nachvollziehen - ich bin der Tod und für mich ist es absolut nichts Grausames, wenn ein Lebenslicht zurückkehrt. Doch für Taehyung war es der Verlust eines geliebten Menschen.

„Okay", sagt er schließlich mit brüchiger Stimme und etwas in mir zieht sich zusammen. Ich kenne die Seele wirklich nicht, aber vielleicht kann ich herausfinden, wer sie damals mitgenommen hat.
„Wenn du magst, forsche ich nach, okay? Du musst wissen, das Lebenslicht was es einst gegeben hat, gibt es nicht mehr, aber ich werde versuchen rauszufinden, wie es der Energie geht, okay?"

Taehyung sieht mich verständnislos an und lächelnd lege ich meine Hände an seine warmen Wangen.
„Das musst du nicht verstehen, dass ist so typisches Arbeitsgeschwafel. Aber was ich damit sagen will, ist, ob ich für dich herausfinden soll, ob die Seele deiner Mutter Frieden hat."

Nicht immer schaffen es die eingesammelten Lebenslichter ihre Erinnerungen, Gefühle und Erfahrungen aufzugeben, da sie zu sehr daran hängen. Manchmal wandeln sie noch rastlos umher und verlieren dabei langsam ihre Energie und schließlich sich selbst. Das ist etwas, was ich mir für keine Seele wünsche.

„Das wäre lieb."
Er klingt rauer als sonst und ich kann nicht anders, als auf seine leicht geröteten Lippen zu starren, auf denen er bis eben noch herumgekaut hat.
„Du musst mir aber sagen, wann sie gestorben ist. Und am besten noch wo und wie, dann kann ich herausfinden, wer dort zuständig war", bitte ich ihn und zwinge mich, ihm in die Augen zu sehen. Nicht auf seinen verflucht roten Mund, den ich so gerne wieder küssen würde.

Taehyung aber bleibt still und weicht stattdessen meinem Blick aus. Ich warte geduldig, denn wenn ich eines aus dem Vorfall in dem Eiscafé gelernt habe, dann das der junge Mann vor mir viel zerbrechlicher und zärtlicher ist, als man es ihm von außen ansieht. Aber das macht ihn irgendwie auch so anziehend.

„Es war in der zweiten November Woche, 2015", antwortet er schließlich doch und eine meiner Augenbrauen zuckt kurz in die Höhe, als ich seinen abwesenden Ton wahrnehme.
„Damit kann ich leider nicht so viel anfan-"
„Mehr gibt es dazu aber nicht zu sagen!"
Plötzlich nimmt Taehyung meine Hände und reißt sie förmlich von sich, während er etwas von mir wegrutscht und wieder seine abwehrende Armhaltung einnimmt.

„Danke, Jin, aber ich glaube für heute habe ich genug über... dich gelernt. Ich würde das alles jetzt gerne verarbeiten."
Seine Stimme klingt mit einem Mal kühl und glatt, kein bisschen mehr verletzlich. Er hält sein Kinn hochreckt, während er zur Seite Richtung seines Bücherregals sieht, welches ich manchmal nachts nur zu gerne durchstöbere.

Taehyung würde mich vermutlich umbringen, wüsste er das. So ein bisschen fühle ich mich ja schon wie der Vampir in diesem Film, den die Menschen früher so viele geschaut haben. Wie hieß der noch? Eduard? Ewald? Egal, auf jedenfall hat der nachts dieses Mädchen auch immer beim Schlafen gestalkt.

„Ich... tut mir leid, wenn ich dir zu nahe getrete-"
„Schon gut", wehrt Taehyung ab, aber seine Körperhaltung zeigt, das absolut gar nichts gut ist.
„Geh jetzt am besten einfach."

Langsam stehe ich von seinem Bett auf und sehe ihn noch ein letztes Mal an. Er beißt sich auf die Unterlippe und blinzelt ein paar mal schnell hintereinander. Obwohl er gerade versucht stark zu wirken, weiß ich, dass er aufgewühlt ist.
Verdammt, warum musste ich auch nachhaken? Es hätte mir klar sein sollen, dass irgendetwas an ihrem Tod anders ist.

Taehyung reagiert so verdammt empfindlich darauf und obwohl es schon Jahre her ist, scheint er es nicht ansatzweise verarbeitet zu haben. Und ich bin ein Trottel und stochere noch richtig in der Wunde rum.

„Okay. Gute Nacht... vielleicht sehen wir uns morgen in der Uni", verabschiede ich mich und der Satz klingt so verdammt merkwürdig und menschlich.
Taehyung reagiert nicht und so löse ich mich einfach auf und verschwinde zurück in mein kleines Apartment. Auf der Erde immer materialisiert als Mensch rumzulaufen, ist anstrengend aber noch anstrengender ist es, zwischen meinem wahren Herkunftsort und diesem Planeten hin und her zu pendeln. Deswegen bevorzuge ich meine Zwischenform, die Taehyung ja auch sehen und berühren kann und in der ich einfach von Ort zu Ort springe.

Um nicht ständig von der Erde zu müssen, gönne ich mir mein Luxusapartment mit dem Whirlpool und dem Fitnessraum und tausend anderen Dingen.
Menschen würden vermutlich sagen, dass ich reich bin und mich glücklich schätzen kann, aber für mich ist dieser Schnickschnack nicht von Bedeutung. Natürlich, es ist wirklich angenehm, aber alles Materielle vergeht irgendwann und bleibt nicht für die Ewigkeit. Erinnerungen hingegen und Gefühle schätze ich viel mehr wert - denn anders als die Wesen von der Erde, vergesse oder verdränge ich nicht.

Ich kann mich immer an alles, jede noch so kleine Einzelheit erinnern und muss mich nicht limitieren. Theoretisch kann ich genau sagen, was für Werbung im Hintergrund an der Supermarktkasse von vor 7 Monaten lief - auch wenn es unnötig war, das ich überhaupt Essen kaufen war. Nur meine materielle Form verlangt ab und an danach.

Nachdenklich fahre ich mir über die Unterlippe, als ich zurück an den Kuss von Taehyung und mir denke. Wenn man das überhaupt als harmlosen Kuss beschreiben kann. Es war definitiv eher ein hemmungslosen Rummachen, oder eine kleine Fummelei und ich bin mir sicher es wäre noch viel weiter gegangen, hätten uns nicht seine dämlichen Freunde unterbrochen.

Dabei hat sich körperlicher Kontakt noch nie so gut angefühlt. Auch ein Tod kann Lust oder auch Liebe verspüren und gerade in meiner menschlichen Form, habe ich gut und gerne mal meinen Spaß. Aber das mit Taehyung war einfach anders und alleine der Gedanke daran, schickt Schauer über meinen Körper.

„Oh man Jin. Wenn du weiter so machst, entwickelst du noch Gefühle für einen Menschen."

Last OneWhere stories live. Discover now