Oh Vater im Himmel

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In einem Interview meinte der Sänger Gerard Way Folgendes über sein Lied Drugstore Perfume: 
Seine Frau Lindsey habe die Idee für den Titel gehabt. Sie beide saßen eines Abends zusammen und unterhielten sich darüber, was es bedeutet, davon überzeugt zu sein, seinen Heimatort niemals verlassen zu können. 
Lindsey meinte, sie erinnere sich an billiges Parfüm aus den Drogeriemärkten ihres Heimatortes. Gerard fand, dass das ebenfalls ungefähr den Ort zusammenfasste, aus dem er stammte. Er dachte an die Zeit, in der er fünfzehn oder sechzehn Jahre alt gewesen war und nicht den geringsten Funken Hoffnung hatte, jemals aus seiner Heimatstadt herauszufinden.  

"This is a song about leaving home." sagte Gerard einmal auf einem Konzert, bevor das Lied spielen sollte.
"She waits at windows. Her dreams don't show in color and she sleeps for now." 

Sid Vicious, das Auto nicht der Sänger, schießt aus einem Kreisverkehr heraus und rammt damit beinahe, aber wirklich nur beinahe eine Fahrradfahrerin, die daraufhin verärgerte Handzeichen macht. Helena hat jetzt keine Augen dafür. 
Das Auto poltert durch die kleine Stadt. Am nächsten Kreisverkehr blinzelt Helena angestrengt durch die Windschutzscheibe und sucht nach einer Ausschilderung. Da steht alles mögliche, nur von einer Martinshöhe steht da nichts. 

"She just waits around, wishing she could leave single mothers in parking lots and wear another girl's evening out. This place lets you down easy." erzählt Gerard ungestört Helenas Lebensgeschichte. 

Ein Kreisverkehr nach dem anderen! Würde Helena nicht wundern, wenn die Italiener die genauso anbeten wie die heilige Maria. Dabei sind die meisten Einheimischen keine richtigen Italiener. In Südtirol kommt die österreichische und die Italienische Kultur zusammen. Ein riesen Kontrast zwischen neu und alt, zwischen Nord und Süd. 
Helena fährt ins nächste Dorf und ins übernächste. 
"There's something caught in her eye, she says that she can't change for love
and she explains how long she's waited for. She wanted more."

Auf einem Markplatz fragt Helena eine Frau, die aus einem alten Wohnwagen Wurst und Käse verkauft, nach dem Weg. Die Frau erklärt ihr geduldig die Strecke und gestikuliert dabei wild mit ihren dicken Armen herum.
"Dead leaves, desperate summers. All-ages clubs and metal shutters to keep you out. While we hang around factories." fährt Gerard fort, als Helena wieder ins Auto steigt. 
"Wenn ich auf Kerle stehen würd, wär Gerard Way meine erste Wahl." hat Helena einmal gesagt, da war sie sechzehn. "Geht mir genauso." hat Friedemann erwidert und Helena hat sich da nicht viel gedacht. 

Helena lenkt Sid durch gefühlt tausend Straßen und Gassen und tausende Hügel hoch, aber eine Martinshöhe findet sie nirgendwo. Keiner kann ihr den Weg so richtig erklären, schickt sie weiß Gott wo in der Welt herum und am Ende landet Helena in irgendeiner hinterletzten Gosse.

"Till we meet each other. Two discount lives and heavy numbers to keep you down." 
Wie hat Helena sich das Ganze eigentlich ausgemalt? Wie hat sie denn gedacht, wird das alles enden? 
Es war doch von Anfang an völlig aussichtslos. Wer auch immer ursprünglich dafür verantwortlich war, Helenas Geschichte niederzuschreiben, muss sich bei ihrer Geburt in ein tiefes Koma gesoffen haben und von da an ging es hauptsächlich abwärts. Helena fühlt sich seit Anbeginn der Zeit grundsätzlich einsam, auch wenn sie eigentlich Freunde hatte, obwohl sie doch gar nicht so allein war, wie es ihr vorkam. 
Aber das, was sie verloren hatte, alles, was das Leben ihr kaltblütig entrissen hatte, das alles grub einen noch tieferen Schmerz in sie hinein. Ein kalter Schmerz, einer der verhärtet und hin und wieder krampfhaft pulsiert. Meistens nachts. 

Irgendwann verjährt ein Schmerz. Irgendwann wächst man doch darüber hinaus. Nur Helena nicht. Helena ist dem Leben gegenüber bis aufs kleinste Detail hin sehr nachtragend. Jetzt hat sie keine Lust mehr. Die Welt ist ausnahmslos scheiße, langweilig und schrecklich. Sie macht Helena keinen Spaß mehr. Das hat sie noch nie.
Das Leben ist nicht schön! 

Dass ihr mir bloß nichts versprecht [Roman]Where stories live. Discover now