Auf dem Hinterhof

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Betriebsfeier. Der selbsternannte Dj hat bedauerlicherweise zu modernen Schlagern gewechselt.
Friedemann lässt sich zum dritten Mal an diesem Abend Punsch einschenken. Seine Hand zittert, wobei etwas von dem Pusch daneben tropft und blutrote Flecken auf der weißen Tischdecke hinterlässt.

Blut. Ist das Erste, was ihm dazu einfällt, auch wenn es gar nicht wie Blut aussieht. Es ist viel zu hell und dünn. Blut ist dickflüssig, klebrig und dunkelrot.

"Ups, tut mir Leid." meint Friedemann entschuldigend und das bezieht sich schon fast nicht mehr nur auf den Fleck.
Georg, der sonst aus allem ein Problem macht, winkt lässig ab und tunkt die Punschkelle erneut ein.
"Lass gut sein, Mann. Nach diesem Zirkus wird's hier eh aussehen wie im Schlachthaus."

Er muss ziemlich laut sprechen, um gegen die laute Musik ankommen zu können. Nebenan gackern die Mädels von der Rezeption über irgendwas und haben sich offensichtlich schon zu viel gegönnt.
Eine von ihnen schließt sich jetzt der Gruppe männlicher Kollegen an, die zum momentan aufgelegten Ballermann-Hymne mitgrölen.
Friedemann hat ja eigentlich schon im Vorhinein geahnt, dass es schlimm sein wird. Vielleicht hat irgendwas in ihm gehofft, dass sein Chef aus dem Alter raus ist, in welchen man auf diese Art seinen Geburtstag feiert.

Als er diesen schließlich, unter dem enthusiastischen Anfeuern der anderen Kollegen, auf den Tisch steigen sieht, hat Friedemann endgültig genug.
Er lässt den Plastikbecher irgendwo stehen und sucht irgendeinen Ort auf, an dem er stattdessen sein kann.

Die Toiletten sind aus irgendeinem unerklärlichen Grund abgesperrt. Das wird bei diesem Ausmaß an Alkoholkonsum baldige Konsequenzen mit sich ziehen. Da sind die alle ja selbst schuld eigentlich.
Trotzdem braucht Friedemann einen Zufluchtsort.
Entnervt reibt er sich die Stirn und überlegt. Irgendwie muss er die Zeit totschlagen.
Er geht nach draußen auf den Hinterhof des Kurhauses, weil der dazugehörige Park gerade umgegraben wird. Aus welchem Grund auch immer. Friedemann ist nicht der Meinung, dass es gegen den alten Park irgendwas auszusetzen gab. Er fand ihn ganz in Ordnung, so wie er war. Aber es wäre wohl keiner auf die Idee gekommen, ausgerechnet ihn nach seiner Meinung zu fragen.
Hier hinten kommt man sich vor, als befinde man sich abseits jeglicher Realität. Hier hinten ist das Leben stehen geblieben wie eine kaputte Uhr.

Ein Wohnblock führt am Gelände vorbei und weiter hinten beginnt dann schon der Wald. Wie ein tiefschwarzer Schlund steht er da und scheint darauf zu warten, dass Friedemann zu nahe herantritt und hineingezogen wird.
Er zieht seine Jacke enger zu, weil es kalt ist. Dann holt er sein Handy aus der Hosentasche und schreibt Helena, dass sie ihn früher abholen kann als geplant. Friedemann muss ja nicht bis zum Ende bleiben. Die Leute müssen nur wissen, dass er da gewesen ist.
Eigentlich hat er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht, als die Leuten hin und wieder wissen zu lassen, dass er da gewesen ist.
Helena sieht die Nachricht nicht gleich, doch es eilt ja auch nicht unbedingt. Deshalb verstaut Friedemann sein Handy wieder und lehnt sich gegen die Wand.
Von drinnen klingt gedämpft Musik.

Er hört alte Herbstblätter hinter sich rascheln.

"Oh, tut mir Leid. Ich hab dich nicht gesehen." meint ein junger Mann, der gerade auf dem Hof aufgetaucht ist. Er hat vor kurzem als Finanzberater angefangen. Friedemann hat ihn schon öfters gesehen, der Mann hat ihm manchmal zugelächelt, wenn sie im Flur aneinander vorbeigelaufen sind.

"Alles gut." versichert ihm Friedemann. "Ich schlage hier bloß die Zeit tot."
Der Mann lächelt verständnisvoll und zündet sich eine Zigarette an. Er bläst den Rauch in die Luft, wo er aufsteigt und sich irgendwann auflöst. Friedemann hat nie geraucht, doch es mit anzusehen, hat etwas faszinierendes.
Der Mann bemerkt, wie sein Schauspiel beobachtet wird und bietet ihm eine Zigarette an. Aus irgendeinem Grund denkt Friedemann nicht im geringsten nach und nimmt sie an.
Der Mann hilft ihm beim Anzünden und Friedemann steht ihm dabei so nah, dass er die Körperwärme spürt, die von dem Mann ausgeht.

Dass ihr mir bloß nichts versprecht [Roman]Where stories live. Discover now