Bloß keine Tricks

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Es gibt diese Art von Stille, die an sich eigentlich nicht still ist. Nicht in dem Sinne, dass es absolut nichts zu hören gibt. Sie wirkt fast wie maschinell erzeugt. Das klingt besonders plausibel, wenn man sich bewusst macht, wie viele technische Geräte sich mit einem Raum befinden. Nach den surrenden Neonröhren, Kopierern und PCs hören die meisten auf zu zählen. Meist handelt es sich dabei um relativ teure Geräte, deren Preis sich dennoch keineswegs in ihrer Kompetenz widerspiegelt, sondern in ihrer Bereitschaft, einem so viele Probleme wie möglich zu bereiten.

Friedemann war mit dem Kopf auf dem Schreibtisch eingeschlafen. Dazwischen klemmt die Tastatur des PCs. Halbwach blinzelt er das grelle Bild aus abertausend Pixeln vor ihm an. Eine lange Reihe von Fs, die in einen aufgeregt blinkenden Cursor münden.
Die Anzeige unten rechts weißt darauf hin, dass es kurz vor elf ist.
Sonst hatte ihn doch immer die Putzfrau geweckt.

Übermüdet reibt sich Friedemann die Augen. Eigentlich ist das ja unmenschlich.

Die Stille hält ausgesprochen lange durch. Ein ausgedehnter, sehr lange angehaltener Atem. Es schmerzt einem in der Brust, allein bei dem Gedanken.
Wie lange muss man eigentlich die Luft anhalten, bis der Tod eintritt?

Die Stille hält ungefähr so lange durch, bis sie von einem dumpfen Poltern im Untergeschoss gewaltsam aus dem Leben gerissen wird. Friedemann will das Geräusch einem Kollegen zuordnen, der wohl ebenso lange dageblieben war oder eventuell auch einer Putzfrau, die ihre Schicht in die Länge zog.
Er versucht, nicht länger darüber nachzudenken und sich stattdessen wieder der Verzweiflung zuzuwenden, die ihm aus einem Computerbildschirm entgegen flimmert. Doch nur Sekunden später vernimmt er dasselbe Geräusch noch einmal, auch wenn es diesmal länger anhält, so als sei jemand über etwas gestolpert.

Friedemann kämpft verbissen gegen seine anschwellende Paranoia und tippt irgendwas ein, dessen genauen Inhalt er kaum noch registriert, denn im selben Moment poltert es erneut in der Etage unter dem Büro. Er hält inne und lauscht eine Zeit lang. Ihm kommt kurzzeitig der Gedanke, nach unten zu rufen, um sich zu vergewissern, dass niemand bewusstlos am Boden liegt, doch verständlicherweise verwirft er das sofort wieder.

Das wäre ja, wie wenn im Krimi einer Ist da jemand? ruft und der Mörder, der ganz bestimmt nicht mit Ja, ich bin hier drüben! antworten würde, wartet mit der Brechstange hinter der Tür.
Der Cursor blinkt energisch. Friedemann blickt zur Tür.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, auf dem eigenen Arbeitsplatz ermordet zu werden?

Spinn nicht rum! herrscht Friedemann sich in Gedanken selbst an. Du machst dich schon wieder selbst verrückt.
Allerdings will ihm nicht einfallen, wann er sich das letzte Mal umsonst verrückt gemacht hatte. Seine Sorgen haben sich letztendlich immer als berechtigt herausgestellt. Jedenfalls würde ihm seine Angst keine Ruhe lassen, wenn er nicht umgehend diese Tür öffnet. Also steht er auf.

Langsam drückt er die Klinke herunter, die anfängt zu quietschen und er erschrickt, als die Tür letztendlich aufspringt.
Er kommt sich mit einem Mal unendlich bescheuert vor, wie er da so blöde herum steht und sich fast in die Hosen macht wegen etwas, das wahrscheinlich gar nicht da ist.

"Wenn da einer bei dir einbrichst, dann darfst du nicht herumschleichen. Du musst Krach machen. Mach dich bemerkbar, damit verwirrst du dein Gegenüber und zeigst Dominanz." hat Helena ihm einmal erklärt. Allerdings war sie damals zehn Jahre alt und Friedemanns Vater hatte große Angst vor Einbrüchen gehabt. Alarmanlagen und schwere Tresore hat er sich daraufhin angeschafft.
Einbrecher hat es nie gegeben. Wenn das kreischende Alarmgeräusch das ganze Haus aus dem Schlaf riss, stellten sie sich meist als Eichhörnchen oder Katzen heraus, die sich auf dem Grundstück verirrt hatten.
Friedemann kann sich auch noch gut daran erinnern, wie Helena nach der Schule öfters absichtlich an dem großen Eingangstor vor der Villa herumgefummelt hat, damit es den Alarm auslöst und Friedemann aus dem Haus jagt.
Sein Vater hat deshalb oft mit ihr geschimpft, weshalb sie es erst recht immer wieder gemacht hat. Irgendwann hatte sein Vater aufgegeben und die Alarmanlage komplett abmontiert.

Dass ihr mir bloß nichts versprecht [Roman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt