Eine Leiche im Keller

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"Also irgendwas stimmt da nicht." stellt Helena fest und beäugt misstrauisch die Sahnespritze in ihrer Hand, aus der einfach nichts herauskommen will, egal wie heftig das Ding gedrückt oder geschüttelt wird.

"Du musst ja auch erst das Plastik vorne wegmachen." belehrt Friedemann sie von der Seite. Er stützt sich mit den Ellenbogen auf der Küchenablage ab und schaut Helena bei ihrer vergeblichen Arbeit zu.
"Was? Mensch, du Depp, wieso sagst du denn nichts?"
Schnell zupft Helena die dünne Plastikschicht von der Tube.

"Ich dachte, du kommst schon selbst drauf." verteidigt sich Friedemann und schiebt sich schnell eine stibitzte Kirsche in den Mund.
"Du, wer hat dir eigentlich erlaubt zu naschen?" Helena zieht eine kleine Schüssel aus seiner Reichweite. "Lass die Kirschen in Ruhe, ich brauch die noch."
"Ich ess doch gar nichts." verteidigt er sich mit vollem Mund.

Falls der Buchclub als Hobby nicht ausreichen sollte, hat Helena noch eine Nebenversicherung gebraucht und deshalb hat sie angefangen zu backen. Ihre Mutter hat ihr schon früher immer eingetrichtert, dass sie das können müsse und eigentlich, hat sie gedacht, kann das ja nicht so schwer sein.
Ist es ja auch nicht.
Allerdings stellen sich jegliche Zufälle immer in einer ganz bestimmte Reihe auf, durch die Helenas vergebliche Backversuche oft schon zum Scheitern verurteilt sind, bevor sie überhaupt das Mehl aus dem Schrank nimmt.

Musik prasselt aus der Stereoanlage und die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld.
Oskar schleicht mit mehlweißen Pfoten um die Beine seines Frauchens herum, während diese Friedemann zum Probieren des Teigs auffordert.
"Und?" drängt Helena ungeduldig, da sie aus dem Gesichtsausdruck ihres Freundes kein genaues Fazit schließen kann.

"Ja, ist gut." meint er knapp.
"Bist du sicher?" hakt Helena nach, doch sie hat den Satz kaum fertig, da hängt Friedemann schon am Spülbecken und spült sich eilig den Mund aus.

"So schlimm?"

"Bitter." gurgelt Friedemann. "Viel zu bitter."
Enttäuscht lässt Helena den Löffel auf die Herdplatte fallen. "So'n Scheiß."
"Halb so wild. Wir probieren es einfach nochmal." ermuntert Friedemann, nachdem er den Wasserhahn wieder zugedreht hat. "Aller guten Dinge sind drei."

Es kostet sie noch weitere fünf Versuche, bis der Kuchen endlich in der Röhre liegt, allerdings hatten sie kräftig an Milch sparen müssen, die langsam ausging.

"It's not easy love, but you've got friends you can trust! Friends will be friends." versichert ihnen Freddie Mercury.
Es gibt Gründe, am Leben bleiben zu wollen und Helena findet, laue Abende mit Queen-Songs sind so ein Grund.
Sie und Friedemann sitzen auf der alten Holzbank auf Helenas Balkon und bewundern den Sternenhimmel. Nirgendwo sieht man die Sterne so klar wie hier oben, fern von den Lichtern der Stadt.

"Ich weiß nicht, was schlechter schmeckt: Diese fade Plörre oder meine Kotztorte." meckert Helena.
"So schlimm ist die doch nicht. Etwas hart vielleicht." behauptet Friedemann.
Helena wirft einen verachtenden Blick auf das vor sich hin bröckelnde Kuchenstück auf seinem Teller.
"Ach komm, tue nicht so, als ob du das wirklich essen wollest."

Friedemann schaut etwas verlegen auf den Teller und stellt ihn dann mitsamt der Gabel neben sich ab.
"Na schön okay, dann kannst du halt nicht backen. Ist doch nicht weiter schlimm, dann such dir halt was anderes."
Helena ärgert sich jedesmal, wenn ihr ihre Talentlosigkeit in so vielen Bereichen erst so richtig bewusst wird, aber schließlich muss sie sich eingestehen, dass sie in der Küche in etwa genauso viel taugt, wie ein Teelöffel beim Fechten.

Wenigstens lebt sie nicht in irgendeinem freudlosen Jahrhundert, in der ihr als Frau nichts anderes übrig bliebe, als am Herd zu stehen. Ihr stünde dann immerhin die Möglichkeit zur Verfügung, das Haus mitsamt aller anwesenden männlichen Wesen abzufackeln.
Bei dem Gedanken an ein brennendes Haus voller Fundamentalisten muss sie grinsen.
"Was ist so lustig?" will Friedemann wissen.
"Ach nichts." antwortet Helena und wischt sich das Grinsen aus dem Gesicht.
"Du hast mir übrigens noch nicht erzählt, warum deine Horror-Freundin heute morgen so ausgeflippt ist."

"Ich wunder mich schon die ganze Zeit, warum du mich einfach abschleppst, ohne zu wissen, was ich verbockt hab." antwortet Friedemann. "Im Prinzip könnte sie im Recht sein und du weißt es nur nicht."

"Lieber reiß ich mir die eigenen Gräten aus dem Leib, bevor ich der bei irgendwas recht geb!" erwidert Helena aufgebracht. "Jetzt sag schon. Hast du ne Leiche im Keller?"

"Ich hab niemanden umgebracht." beteuert Friedemann. "Es ist nur..., ich hab die letzten Wochen ernsthaft über etwas nachgedacht, schon ziemlich viele Wochen war'n das, aber ich war mir nie sicher, weil ich mir halt nie sicher bin bei irgendwas, wie du weißt. Ich bin mir auch jetzt nicht sicher und vielleicht klingt das verrückt, aber du weißt ja, wie das ist mit-"

"Mann, jetzt spuck's halt aus." unterbricht ihn Helena. Manchmal muss man diesem Kerl Feuer unterm Hintern zünden, sonst wird da in hundert Jahren nichts draus.
Friedemann holt tief Luft und in seinen tiefblauen Augen sammeln sich Furcht und Entschlossenheit gleichzeitig an. Eine ausgesprochen gewagte Mischung.
"Weißt du, ich bin...Ich denke...Ich hab überlegt...Ich glaub, ich bin bisexuell."

Helenas Blick heftet sich an ihm fest und sie legt den Kopf leicht schief, als warte sie auf mehr.

"Das...das war alles." bestätigt Friedemann unsicher.
"Das ist alles." wiederholt Helena langsam. "Das hast du der Sabine erzählt und deshalb das ganze Theater?"
Friedemann nickt leicht und ahnt, welcher Sturm darauf folgen wird.

"Das ist alles?! Deswegen rastet die so aus?" empört sich Helena. "Mensch, und ich dachte schon fast, du hättest echt Mist gebaut, aber nein. Nein, die Sabine ist einfach eine dumme Schlampe. Eine gewaltige sogar."
"Also das langt jetzt." findet Friedemann.

"Eine dumme Fotze ist die. Blödes, giftiges Miststück."

"Helena!"

"Was? Ich hab doch Recht! Verteidige sie nicht auch noch!"

"Du schimpfst wie ein Kleinkind."

"Oh, ich hab noch viel stärkere Sprüche auf Lager, das kannst du mir glauben!"

"Ich will das gar nicht hören."

Helena kommt erst jetzt richtig in Fahrt, aber sie sieht ihrem Freund an, dass sie nun vielleicht doch schon fast zu weit geht. Sie verflucht Sabine ein letztes Mal in Gedanken und nimmt sich zusammen.
"Willst du, dass ich mit ihr rede?"

"Gerade du." meint Friedemann. "Warum kannst du sowas nicht einfach mir überlassen?"

"Ist das ne ernst gemeinte Frage? Weil du es nicht kannst."

"Weil ich was nicht kann?"

"Aufstampfen kannst du nicht, Herrgott."

"Du willst, dass ich aufstampfe?"

"Ja!"

Friedemann wirft einen kritischen Blick auf die Holzbretter.
"Der Boden ist morsch." murmelt er und nippt weiter an dem Rotwein aus dem Laden. Helena seufzt nun zum zweiten Mal an diesem Tag. Es ist diese Art von Seufzen, das man macht, wenn man sein Gegenüber eigentlich sehr gern hat, ihm aber trotzdem widersprechen muss.

"Hör zu, ich habe absolut nichts gegen dich auszusagen. Ich hab dich echt gern, glaub mir das, aber manchmal ärgert es mich, dass du dich so behandeln lässt."

"Du bist nicht die Erste, die mir das sagt." meint Friedemann.

Helena strafft entschlossen die Schultern. Sie stellt endlich ihr Glas ab mit dem Wein, der ihr nicht schmeckt.
"Ja, aber vielleicht bin ich die Erste, die dir Folgendes sagt: Friedemann Hellsinger, es ist mir vollkommen egal, mit wem du zusammen bist, solange du nur glücklich bist dabei. Das hast du mir damals auch gesagt."
Friedemann nickt langsam. Helena klopft ihm kumpelhaft auf die Schulter. "Für mich bist du immer noch derselbe Spinner wie vorher."
Friedemann lächelt in sich hinein. "Ich weiß. Danke."

So war es immer. Sie beide gegen den Rest der Welt. Und die gemeinte Welt reicht nicht weiter als die nur noch teilweise vorhandenen Stadtmauern von Anstadt. Das mag nicht sonderlich viel sein, aber Helena und Friedemann haben jeden Winkel davon auswendig gelernt und das reicht fürs Erste.

Dass ihr mir bloß nichts versprecht [Roman]Where stories live. Discover now