Susanne und das Glück

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Bei Susi klingelt es um zwei Uhr morgens an der Tür. Das ist nichts für normale Leute. Deshalb weiß auch jeder, dass sie um diese Uhrzeit noch erreichbar ist.
Eigentlich ist das jüngste Enkelkind vom Bauer Keimhofer zu jeder Zeit und überall erreichbar.
Susanne hat sich auf ihrer kleinen Couch in einem Berg von rosaroten Sofakissen eingerichtet. Die Kissen haben Rüschen und aufgedruckte Sätze, die positiv motivieren sollen. Susanne hat sie selbst gemacht, weil sie so etwas braucht.

Glücklich allein ist die Seele, die liebt.

Es ist ihre kuschelweiche Festung zur Verteidigung gegen das Böse.
Susanne wäre nicht einmal dazu imstande, zu definieren, was Glück überhaupt bedeutet. Dennoch hat sie immer wieder versucht, es sich anzueignen.
Immer wieder von Neuem. Öfters hat sie dabei ausprobiert, ob man es vielleicht einfangen kann. Das Glück.

In ihrem Wohnzimmerschrank ist das oberste Regal mit mehreren kleinen Streichholzschachteln gefüllt. In jedem befindet sich was anderes. In einem sind kleine Geldmünzen, die Susanne nicht wirklich benutzen kann, weil sie etwa aus dem Ausland stammen oder einfach zu klein sind. In einem anderen sind kleine Muscheln, im nächsten feiner Sand und in einem anderen befinden sich einzelne perlweiße Kieselsteinchen. Alles, was einem das Meer näher bringt, macht automatisch glücklich.
Susanne hat schon alles mögliche aufgehoben, was sie auf der Straße gefunden hat. Das Glück findet man in allen Ecken der Welt, in jeder ach so winzigen Lücke oder Ritze.

Durch die Glastüren des Schrankes kann sie die Streichholzschachteln sehen. Viel genützt haben sie ihr nicht. Glück kann man nämlich nicht einfangen und einsperren, wahrscheinlich kann man es nicht einmal in den Händen halten. Außerdem nutzt es sich in Anstadt mit der Zeit ab.

In der Vorabendserie, die Susanne immer schaut, hat der Mann schon wieder die Frau verlassen, der er zwei Folgen vorher noch großsätzig und langsilbig seine Liebe geschworen hat. Bei Kerzenschein und herzzerreißender Musik und sie hat mit glitzernden Augen immerzu genickt und eigentlich war es perfekt. Dann hat er sie einfach sitzen gelassen. Die gesamte Folge dreht sich im Prinzip darum, dass sie sich die Augen ausheult.
Susanne hat natürlich von Anfang an gewusst, dass das so endet. Trotzdem hat sie innerlich gehofft, dass es diesmal anders wird. Das alles gut wird am Ende. Aber so ist es nie.

Von derartigen Illusionen wie diese Frau sie vertritt, hat sich Susanne schon längst verabschiedet. Jeder Mann, auf den sie sich bisher einließ, hat sich als Glücksdieb herausgestellt. Irgendwann haben auch die Geldmünzen und die Kieselsteine nicht mehr helfen können.
Es läutet noch einmal. Susanne horcht auf. Verfügbarkeit hin oder her, sie hat nicht den geringsten Schimmer, wer um alles in der Welt jetzt vor ihrer Tür stehen könnte.

Vielleicht ist es Annie. Susanne hat Annie unglaublich lieb. Sie ist ihre beste Freundin. Manchmal wünscht sie sich, man könnte sich einfach in seine beste Freundin verlieben. Dann wäre alles so viel einfacher, findet sie.
Aber es kann nicht Annie sein. Annie ist an Ostern oft sehr beschäftigt. Vielleicht ist es Helena. Aber die kann es eigentlich auch nicht sein. Helena geht es an Ostern oft sehr schlecht. Vielleicht einer ihrer Brüder?

Tatsächlich bringt es Susanne über sich, aus ihrer rosaroten Ritterburg hervorzukriechen und sich in Richtung Tür zu begeben. Sie wirft einen Blick durch den Spion, wundert sich kurz und macht endlich auf.
Vor der Tür steht Annika und zwar klatschnass. Der nicht gerade sehr wetterfeste Mantel klebt an ihr wie eine zweite Haut, das Wasser läuft ihr von den blassblonden Haaren und den Klamotten herunter, es läuft in die Schnäbel ihrer Schuhe hinein und an den Hacken wieder heraus.
"Hi." schnieft sie traurig.
Susanne blinzelt einmal. "Hi."

"Ich hab dich hoffentlich nicht bei was wichtigem gestört?" fragt Annika besorgt.
"Äh.." Susanne wirft einen kurzen Blick über ihre Schulter, auf den zerrütteten Kissenhaufen, den laufenden Fernseher und die leere Schüssel auf dem Tisch, aus welcher sie vorhin noch eine Portion Müsli gelöffelt hatte. "Ich denke, ich kann dich dazwischen schieben." meint sie schließlich und mustert ihr Gegenüber noch einmal recht skeptisch. "Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass du mitten in der Nacht aus der Kreisstadt hergefahren bist?"

Dass ihr mir bloß nichts versprecht [Roman]Where stories live. Discover now