Das Dachzimmer

31 9 0
                                    


"Was wollte diese Schwarze gestern schon wieder von dir?" fragt Leonard, als er in die Küche kommt. Er muss sich dabei immer ein bisschen ducken, weil der Türrahmen zu klein für ihn ist. Allerdings nicht für Johanna. Sie hätte da mindestens noch zweimal durchgepasst.
"Wer?" fragt Johanna nach, obwohl sie weiß, wer gemeint ist. Ihr ist es jedoch lieber, wenn sie sich nicht angewöhnen, die Leute, über die sie sprechen, mit Attributen zu benennen anstatt mit ihrem eigentlichen Namen.
"Du weißt schon. Die von dem evangelischen Jugenddings." meint Leonard. "Annie, oder wie sie heißt. Die quatscht dich jedes Mal an. Nervt dich das nicht?"

Johanna stellt ihm eine Kaffeetasse hin. "Nein. Überhaupt nicht."
Im Gegenteil. Jedes Mal, wenn die katholischen und evangelischen Leute der Stadt aufeinandertreffen, wartet Johanna fast darauf, dass sie von Annie angesprochen wird. Meistens braucht sie da nicht sehr lange zu warten. Annie hat diese wundervolle fürsorgliche Ausstrahlung. Man fühlt sich von ihr umarmt, wenn sie einen nur ansieht. Und erst vor kurzem hat sie ihr ein Angebot gemacht. Sie muss es nur noch ihrem geliebten Leon beibringen. Sie stellt ihm noch einen Teller zum Kaffee. Darauf ist Brot belegt mit Butter und Kochschinken, so wie er es mag. Johanna eilt zum Herd und holt mit der Zange vorsichtig die Eier aus dem kochenden Wasser.

"Du weißt ja wie es steht zwischen mir und den Protestanten." redet Leonard weiter, während er die Zeitung nach irgendwas lesenswertem durchsucht. "Für mich sind das einfach furchtbar unsympathische Leute. Machen immer eins auf scheißfreundlich und in ihrem Gottesdienst schimpfen sie dann nur über uns. Ich sag dir, manche von denen glauben heut noch, dass wir täglich Ablassbriefe kaufen." Er schüttelt die Zeitung aus. "Könnte man fast meinen, wenn man dieser Pfarrerin zuhört. Meiner Meinung nach, ist das sowieso ein Unding."

Johanna würde irgendwas erwidern, wenn sie diese Rede nicht etwa schon hundert Male in exakt demselben Format mitbekommen hätte. Lange Zeit hat sie nicht begreifen können, warum er immer wieder davon anfängt, wenn er doch genau weiß, dass er ihr nichts neues erzählt und sie es ohnehin nicht leiden kann, wenn er so über die Leute herzieht. Johanna hatte nie ein Problem gehabt mit Protestanten.
Irgendwann kam sie zu der Erkenntnis, dass manche Menschen einfach gerne mehrmals darüber sprechen, was sie verärgert und Johanna leiht ihrem Mann gerne ein offenes Ohr, wenn ihm das hilft. Vielleicht ist das in gewisser Weise auch von Vorteil. Immerhin ist sie manchmal ein bisschen zu gutgläubig mit den Leuten und es könnte ja tatsächlich sein, dass sie was übersieht.

Er macht es ihr mit diesem Gerede aber auch nicht unbedingt einfach, ihm von ihrem Anliegen zu erzählen. Johanna richtet ihm das Frühstück und nimmt dann all ihren Mut zusammen. "Ist wohl kein guter Zeitpunkt, aber...Wenn du schon von der Annie redest. Sie hat mich eingeladen. Sie trifft sich jede Woche mit ein paar Freundinnen und die lesen da Bücher und reden darüber...und so." Johanna verstummt und merkt aufs neue, dass sie sich immer wieder viel zu enthusiastisch in Sätze stürzt, die im Nichts enden.
Leonard lässt die Zeitung sinken und wirft ihr einen argwöhnischen Blick zu. "Also Hannelchen, das ist doch jetzt wirklich völlig unter deinem Niveau."

Johanna knetet unsicher die Kante der Stuhllehne, an der sie sich stützt. "Nun, was besonderes ist es wahrscheinlich nicht, aber-"
"Das ist mit Sicherheit nichts gescheites." versichert ihr Leonard nachdrücklich. "Jemand wie du hat es nicht nötig, sich mit nem Haufen geschwätziger Waschweiber in ein Wohnzimmer zu zwängen. Glaubst du echt, da wird gelesen? Von wegen. Da wird gehässig gelästert. Die schmieren sich gegenseitig Honig ums Maul, wenn sie beieinander hocken, aber sobald man sie trennt, erzählen sie dir, wie arg sie einander nicht leiden können. So ein artiges Wesen wie du kommt denen doch gerade recht."

Johanna seufzt innerlich. Leonard bekommt es aber trotzdem irgendwie mit.
"Ich mein's nur gut." stellt er klar. "Auch wenn du mir jetzt wieder böse bist."
"Ich bin dir nicht böse." erwidert Johanna sofort. "Da ist nur...die Tatsache, dass ich schon irgendwie zugesagt habe."

Dass ihr mir bloß nichts versprecht [Roman]Where stories live. Discover now