Prolog

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Die kühle Nachtluft trocknete ihre warmen Tränen und hinterließ einen stechenden Schmerz auf ihren Wangen.

Sie unterdrückte ein letztes Wimmern und ballte dann ihre kleinen Hände zu zierlichen Fäusten.

"Mach auf, ich weiß, dass du da bist.", keifte sie schluchzend und schlug dreimal mit den Fäusten gegen die schwere Tür. Als von innen Schritte zu hören waren, biss sie die Zähne aufeinander und wich ein Stück zurück. Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen.

"Verdammt! Was willst du hier?! Mitten in der Nacht?! Hast du immer noch nicht kapiert, dass du mich in Ruhe lassen sollst?!" Während sie schweigend den Kopf hängen ließ, beruhigte sich ihr Gegenüber etwas. Er verstummte dann ebenfalls, da er sie etwas genauer angesehen hatte. Seine Wut, die seinem Schmerz entsprang, wandelte sich augenblicklich in Verwirrung und Besorgnis um.

"Ist das da Blut an deinen Händen? Und auf deinen Sachen auch?! Was hast du bloß wieder angestellt?! Hast du dich selbst verletzt?!" Er sprach es zwar aus, aber glaubte nicht daran. Es sah ihr nicht ähnlich auf die Art Schwäche zu zeigen. Das Mädchen versteckte ihre Hände nun hinter ihrer Tasche und ihrem Rücken.

"Antworte mir!", forderte ihr Gegenüber, der noch im Türrahmen stand.

"Was hast du gemacht und was willst du jetzt hier?!" Nun hob sie ihren Kopf wieder an und traf ihn sofort mit ihrem aufdringlichen, stechenden Blick. Er zuckte zusammen und ging einen Schritt zurück ins Haus. Ihr Gesicht zierte ein breites, abartiges Lächeln. Er empfand es als unmenschlich. Es erinnerte ihn an zuviel.

"Warum ich hier bin?", fing sie ganz leise an, ihn zu wiederholen. Sie lehnte ihren Kopf etwas zur Seite. Doch darauf wollte ihr Gegenüber keine Antwort mehr.

"Verschwinde! Du bist verrückt!" Innerhalb eines Augenzwinkern wich er zur Seite, hinter die Tür und wollte sie zuwerfen. Das Mädchen trat blitzschnell so fest wie möglich dagegen, sodass die Tür sofort wieder auf ihn zukam. Bevor er eine weitere Chance bekam, sie zuzudrücken, stand das mit Blut verdreckte Mädchen schon neben ihm. Er ging erschrocken soviele Schritte zurück wie er konnte, aber dann spürte er auch schon eine Wand hinter sich. Zitternd schrie er sie an, dass sie verschwinden sollte. Er wusste nicht einmal, weshalb sie ihm nun solche Angst machen konnte und weshalb er nicht in der Lage war, sie einfach zu packen und hinaus zu werfen.

"Du weißt doch, warum ich hier bin ..." Sie stellte sich vor ihn, die Hände noch hinter ihrem Rücken. Obwohl sie kleiner und gebrechlicher als er war, fühlte er sich bedroht. Kaum einen Moment später, bestätigte sich dann seine schlimmste Vermutung. Als sie ihre Hände wieder zeigte, umklammerte eine davon ein großes, glänzendes Messer. Es war bereits blutverschmiert, genauso wie sie selbst. Nun wurde der Junge ruhiger. Er murmelte:

"Ich glaub, jetzt verstehe ich. Das warst alles du, ist es nicht so? Das waren keine Unfälle. Nicht ein einziges Mal. Stimmt es nicht?!" Das schäbige Lächeln des Mädchens verschwand. Sie sah unzufrieden aus.

"Natürlich ist es so. Sieht so aus, als könntest du tatsächlich wieder klar denken." Sie brachte diese Worte lustlos, fast enttäuscht heraus. Daraufhin rollten ein paar Tränen über das Gesicht des Jungen. Erst nur ein paar, dann immer mehr. Er schluchzte aufgebracht:

"Warum hast du das getan? Das ergibt doch gar keinen Sinn! Hast du sie alle aus Spaß getötet oder was?! Das haben sie nicht verdient gehabt! Keiner von ihnen!" Das Mädchen schien wütend. Sie antwortete enttäuscht:

"Sie alle haben den Tod verdient gehabt. Weil. .. Sie standen... Zwischen uns ... Und das könnte ich nicht ertragen. .. Weil ich dich so ..." Nach ihrem letzten Satz formten ihre Lippen stumm das Wörtchen Liebe. Beide ließen den Köpf sinken, sodass ihre Stirn seine berührte. Ganz leise sprach er:

"Du bist wahnsinnig. Und trotzdem liebe ich dich genauso." Es war kurz still, während sich auf den Gesichtern beider heiße Tränen sammelten, die schließlich abwechselnd zu Boden tropften.

"Ich wollte nicht, dass es so kommt." Sie schaffte es nicht, sich tatsächlich zu entschuldigen. Seine Lippen setzten zu einer Antwort an, aber er brachte kein Wort mehr heraus. Sie hatte ihr Messer tief in Seinen Oberkörper gerammt und zog es am Griff nach unten, immer weiter durch sein Fleisch.

"Du Idiotin. Du warst mein Ein und Alles.", hauchte er ungleichmäßig, als sein Körper zu Boden glitt. Danach rührte er sich nicht mehr. Das Mädchen zog ihr Messer aus ihm heraus und ging dann zurück in die kühle Nacht. Die eiskalte Luft trocknete ihre Tränen und hinterließ erneut ein furchtbares Gefühl.

YanderellaWhere stories live. Discover now