Kapitel 44

19.1K 580 11
                                    

Mit jedem Meter den wir jetzt fahren, wird die Welt wieder bekannter. Die Häuser ziehen an uns vorbei und wir kommen immer näher an meine Wohnung. Ich sehe lächelnd zu Jack. Er sitzt hinter dem Steuer, weil er es tatsächlich geschafft hat mich zu überzeugen. Trotzdem bin ich mehr als die Hälfte der Strecke gefahren, aber eigentlich nur weil es mir Spaß gemacht hat. Dieser Wagen ist einfach super. Kein Vergleich mit denen die ich bis jetzt gefahren bin.

Wir biegen um die Ecke und ich sehe meine Straße wieder. Zuerst wird mir ein wenig mulmig zumute. Die Erinnerung an Blaulicht und Notärzten ist noch zu frisch, aber am Gehweg vor meiner alten Haustür stehen keine Polizeiwagen, sondern meine Familie. Ich lache als ich sie alle zusammen sehe. Mum, Pius und Mila sind da. Ich winke. Mila ist die erste die uns sieht und winkt begeistert zurück.

Sobald wir stehen, grinse ich Jack an und wir steigen aus. Sofort werde ich von Mila umarmt und alle anderen kommen nach der Reihe auch dran. Mum drücke ich besonders fest. Ich kann nur erahnen wie schwer dieser Schritt gewesen sein muss.

„Ich bin so stolz auf dich, Mum.“

„Danke“, flüstert sie und ich weiß sie meint damit mehr als nur meine Worte gerade. Diesen Schritt konnte sie nicht allein gehen, aber sie hat uns immer als Unterstützer hinter sich. Sie ist nie allein. Ich weiß nicht ob ihr das erst bewusst werden musste, oder ob sie dachte, dass sich das ändert, wenn sie sich von Dad trennt. Aber das hätte nie sein können.
„Komm gehen wir hoch. Ich erklär dir oben alles.“  Sie löst sich lächelnd von mir und drückt meine Hand noch einmal fest, bevor sie sich umdreht und mit dem Blick auf meine Wohnung tief durchatmet.

Jack lacht mit Pius, begegnet aber meinem Blick und hält mir seine Hand hin, sobald ich zu ihnen trete. Ich nehme sie liebend gern an.

„Mum?“ Sie dreht sich zu mir. Ich fische die Schlüssel aus meiner Hosentasche und halte sie ihr hin. Pius nickt ihr ermutigend zu und sie nimmt sie. Langsam geht sie auf die Tür zu und öffnet sie. Mila jubelt kurz auf, als sich die Tür öffnet und wir gehen alle zusammen die Treppe nach oben. Einer neuer Lebensabschnitt startet jetzt für Mum.

Oben bleibt sie im Eingangsbereich stehen und sieht sich die Wohnung an. Jetzt sieht sie sie bestimmt mit ganz anderen Augen. Davor hat ihre Tochter darin gelebt, jetzt ist es ihre.

„Fühl dich nicht genötigt diese Couch zu behalten. Ich habe sie gebraucht gekauft und sie ist schon ziemlich durch gesessen. Und du kannst auch die restlichen Möbel haben, wenn sie dir gefallen.“
Mum setzt zum Protest an, aber Jack unterbricht sie. „Nimm sie. Wir brauchen sie nicht.“
„Wenn du neue willst, verkauf diese hier. Schaff dir einfach dein Reich, ok?“, sagt Pius und tritt näher zu Mum.
Sie nickt tapfer.

„Also? Wollen wir erst reden, oder erst Ellas Sachen verladen?“, fragt Mila.
„Erst reden“, kommt es einstimmig von uns. Lachend setzten wir uns an den Tisch. Ich hole aus der Küche schnell noch etwas zu trinken und setze mich dann neben Jack. Er legt einen Arm auf meine Stuhllehne und sieht mich mit einem sanften Blick an. Ich bin ihm so dankbar hierfür. Er lässt mich spüren, dass er für mich da ist und mich stützt, wenn ich ihn brauche.

„Also...“, beginnt Mum und stoppt dann kurz. Sie atmet tief durch und richtet den Blick auf uns. Sie lächelt bei unserem Anblick. Ich sehe zu Pius und grinse. Er sitzt in der gleichen Pose wie Jack neben Mila.

„Eigentlich wollte ich warten bis du aus deinem Urlaub wieder zurück bist. Ich wollte das mit der ganzen Familie besprechen. Doch je länger ich über diese ganze Sache nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich so nicht mehr weiter machen will. Das Gespräch war unausweichlich.“ Sie hebt die Hände. „Es verlief gut, aber uns war beiden klar, dass das hier das Ende ist. Und es ist ok.“

Mum klingt zwar ziemlich überzeugt, aber es wird noch eine Zeit lang dauern bis alles wirklich wieder ok ist.

„Danach hat sie mich angerufen“, sagt Pius, „Und wir haben sie abgeholt. Die letzen zwei Tage hat sie bei uns übernachtet.“

Und ihm dabei wahrscheinlich alles erzählt.

Mum nickt. „Ich wollte einen klaren Cut. Nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte zu gehen, musste ich es auch durch ziehen.“

„Du musst nichts erklären. Ich  verstehe dich. Alles gut.“

Sie richtet den Blick auf den Tisch vor ihr und seufzt. „Es gibt noch eine Neuigkeit. Eine gute aber. Ich werde wieder als Restaurantleiterin arbeiten.“

„Das ist großartig“, ruft Mila.

„Glückwunsch, Mum!“  Sie baut sich ein neues Leben auf. Stück für Stück.

Ein scheues Lächeln huscht über ihr Gesicht. „Montag geht's los. Es ist gegenüber des Bäckers, der diese fantastischen Hörnchen macht. Wisst ihr wo?“

„Im Javis?“, lacht Jack.

„Ja genau.“ Mum sieht ihn überrascht an und dann auch mich, als ich kichere.

„Da hatten wir unser erstes Date.“

„Oh! Dann nehme ich das mal als ein gutes Omen“, meint Mum lächelnd.

„So und jetzt packen wir noch schnell Ellas Sachen bevor es dunkel wird, ok? Ihr wisst ja was in dieser Gegend sonst passiert...“, murmelt Pius und steht auf. Mila wirft ihm einen warnenden Blick zu, aber Jack winkt ab.
„Halb so schlimm. Mich kann so schnell nichts ausnocken.“
„Das will ich hoffen. Schließlich müsst ihr noch die letzten drei Spiele gewinnen  um in die Play-Offs zu kommen.“
„Und das ist mein Stichwort. Ella nehmen wir das Schlafzimmer, während die Herren das Sportthema noch weiter ausdehnen?“
Lachend gehe ich Mila nach. Sie hatte noch nie viel für 'brutalen Sport' übrig, schaut es Pius zu liebe aber trotzdem an.

*

Drei Stunden später haben wir es tatsächlich geschafft alle meine restlichen Sachen in den Lamborghini zu bekommen und fahren nach Hause.

„Mum wirkte in Ordnung, oder? Ich meine man hat ihr angesehen das sie traurig war, aber sie war...“

„Gefasst.“

„Genau.“

„Ihr geht es in dieser Wohnung gut. Es muss sich alles erstmal einspielen, aber schon bald wird sie wieder lachen können.“

„Das hoffe ich.“

„Da bin ich mir sicher.“ Er lächelt mich an und fährt in unsere Einfahrt. „Willkommen zu Hause.“

Schwungvoll steigt er aus und öffnet den Kofferraum. „Wollen wir damit nicht bis morgen warten? Ich überlebe gut und gern eine Nacht länger ohne meine Sachen.“ Ich habe keine Kraft mehr noch weitere Kisten zu schleppen. Das heute war genug Workout für einen Monat - zumindest für mich.

„Nein. Wir können doch hier gleich weiter.“

Er trägt die ersten Koffer schon an die Tür.

„Kompromiss: Wir tragen alles rein, aber packen morgen aus", rufe ich.

„In Ordnung, aber dann richtig! Die Pokale kommen endlich in den Fitnessraum und die leeren Bilderrahmen füllen wir mit unseren Fotos und... “

„Das machen wir, aber erst morgen. Heb dir die Ideen bis da hin auf, ok?“

Jack nickt und trägt einen weiteren Karton an die Tür. Über die Schulter ruft er mir zu: „Du wirst dir meine Ideen aber noch anhören müssen. Sonst vergesse ich sie bis morgen.“

Lachend mache ich mich daran die Tür aufzuschließen. „Wir schreiben sie einfach auf.“

„Perfekt. Unser zu Hause.“ Stolz sieht Jack am Haus hinauf und zieht mich dann hinein.

Jetzt beginnt mein neuer Lebensabschnitt.

FootballgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt