28. Bimbo

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„Werden Sie uns jetzt endlich sagen, was dieser Marcus mit dem Rechten Arm zu tun hat? Warum gehen wir zu ihm?", fragte Minho, als wir das Gebäude verließen und durch eine schmale Gasse liefen.
„Er hat Kontakte zu ihnen. Er weiß, wo wir sie finden können."
„Und warum wollen Sie so unbedingt zu ihnen? Sie hatten doch ein zu Hause. Warum haben Sie uns nicht einfach an WICKED ausgeliefert und einfach weiter gelebt wie zuvor?", fragte ich.
„Weil das kein 'zu Hause' war, wie du es nennst. Es war viel mehr ein Gefängnis. Es heißt, der Rechte Arm bringe Kids wie euch an einen Ort, den sie den Sicheren Hafen nennen. Dort will ich hin. Und da kommt ihr ins Spiel."
„Sie wollen uns also als Freifahrtschein benutzen, um Ihr eigenes Leben zu retten?", fragte Fry Pan.
„Meins – und das von Brenda. Und glaubt mir, das ist mir tausend Mal mehr wert als mein eigenes."
Wir erreichten jetzt eine freie Fläche, wo einmal ein Marktplatz gewesen sein musste. Ich sah zum Himmel, immer noch in der Angst, dass ein Helikopter auftauchen könnte, und stellte fest, dass es bereits dämmerte.
„Ist sie Ihre Tochter?"
Newt brach die Stille, die wieder eingekehrt war.
„Nein. Aber es fühlt sich so an, als wäre sie es. Ich würde für sie sterben."
Mein Herz ging auf, als ich seine Worte hörte. Plötzlich sah ich ihn mit ganz anderen Augen. Aus dem Verbrecher von eben wurde ein Mann, der sich mehr um ein Mädchen, das er wie seine Tochter aufgenommen hatte, sorgte, als um sich selbst.
Ich wusste, dass Minho noch viel mehr hatte fragen wollen, aber wir schwiegen, denn ich war offensichtlich nicht die Einzige, die seine Aussage berührt hatte. Newt warf mir einen warmen Blick zu und ich lächelte schwach zurück. Jetzt war ich mir schon sicherer, dass es Thomas gut ging, denn ich glaubte, dass Jorge anders drauf wäre, wenn er denken würde, Brenda sei etwas passiert.
Das sagte ich nach ein paar Minuten auch Teresa. „Hey, mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, die beiden haben es raus geschafft. Wir treffen Thomas bei diesem Marcus."
Sie nickte, sah mich aber nicht an. Stattdessen hatte sie ihre Hand die ganze Zeit schon in der Tasche, in die sie vorhin etwas gesteckt hatte, das ich nicht hatte sehen können. Erst jetzt fragte ich mich so richtig, was es wohl gewesen war und weshalb sie sich so merkwürdig verhielt.
Allerdings blieb mir keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn wir erreichten einen Teil der zerstörten Stadt, durch die wir uns bewegten, der nicht verlassen war, so wie die anderen Teile. Hier lag überall Müll am Straßenrand, kaputte Autos standen herum und vereinzelt liefen Menschen umher. Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit, als wir wieder so angestarrt wurden. Würde das denn nie aufhören?
„Verhaltet euch so normal wie möglich. Wir dürfen nicht auffallen", wies Jorge uns an.
Also folgten wir ihm schweigend und versuchten, uns nicht großartig umzusehen, was mir wirklich schwer fiel. Viel zu fasziniert war ich von den anderen Menschen und dem immer regeren Treiben, desto näher wir dem Stadtkern kamen, wo Jorge uns anscheinend hinführte.
Newt nahm meine Hand und ich war dankbar für diese kleine Berührung, die mir neue Kraft gab. Zum ersten Mal seit des Gewitters fragte ich mich, wie lange wir wohl nach unserer Wanderung durch die Wüste geschlafen hatten. Es konnte nicht besonders lange gewesen sein, denn es waren noch so viele Sachen passiert, bis es jetzt erst wieder langsam Tag wurde.
Desto tiefer wir in die Stadt vordrangen, desto mehr Menschen waren auf den Straßen und desto häufiger fielen mir Flaggen mit der Aufschrift 'Zone A' ins Auge. Gerade, als ich Jorge fragen wollte, was das zu bedeuten hatte, kam ein Tier angerannt, etwa kniehoch und mit einem hin und her wackelnden Schwanz – und blieb direkt vor mir stehen.
Ich hielt abrupt an und ließ Newts Hand los. Es gab nur eine Spezies, der dieses Tier angehören konnte. Ich merkte, wie mein Herz einen freudigen Satz machte, als der Hund zu bellen begann und mit wedelndem Schwanz an mir hochsprang.
Tränen stiegen mir in die Augen und ich ging in die Hocke, nur um mir durchs Gesicht lecken zu lassen. Und wieder durchfuhr mich plötzlich ein stechender Schmerz im Kopf. Dieses Mal war ich allerdings vorbereitet und schloss nur die Augen, während die Erinnerung sich ihren Weg in meinen Kopf bahnte.
„Ich will später mal einen Hund haben, weißt du?"
„So ein Quatsch, Hunde sind doch schon lange ausgestorben."
Gally lachte laut auf. Es war ein Kinderlachen und nicht das, was ich von dem Gally aus dem Labyrinth kannte.
„Dr. Mary hat gesagt, dass es noch welche gibt, in den äußeren Zonen. Manche von ihnen sind wild, aber andere sind noch zahm und leben bei Menschen."
„Hat sie das wirklich gesagt?", fragte der junge Gally und setzte sich auf seinem Bett auf.
„Ja." Ich nickte aufgeregt mit dem Kopf. „Und schau mal, sie hat mir ein Bild von einem Hund gezeichnet. Wir haben ihn Bimbo getauft. Sie sagte, er ist ein Schäferhund."
Jetzt stand Gally auf und setzte sich neben mich.
„Wow!", machte er und nahm mir das Blatt, das ich gerade aus meiner Hosentasche geholt hatte aus der Hand, um die Zeichnung darauf genauer zu betrachten.
„Cool!"
„Frag sie doch morgen mal, ob sie dir auch einen zeichnet – das macht sie bestimmt", sagte ich und steckte das Papier wieder in meine Tasche, als Gally zurück zu seinem Bett ging und wir das Licht ausmachten.
„Gute Nacht, Gally."
„Gute Nacht, Kleine. Wenn wir groß sind, schenke ich dir einen Schäferhund."
Mit einem Grinsen auf dem Gesicht schlief ich ein.
Langsam öffnete ich die Augen wieder und sah in die des Hundes, die fast schwarz waren. Behutsam strich ich ihm durch sein langes Fell und kostete das Gefühl seiner weichen Haare aus. So fühlte sich also ein echter Schäferhund an.
„Anna? Was ist los? Warum weinst du?", fragte Newt besorgt und hockte sich neben mich, nur um ebenfalls einen feuchten Kuss von dem Hund zu bekommen.
Erst jetzt bemerkte ich, dass die Tränen mir die Wangen hinunter liefen und wischte sie schnell weg. Dann grinste ich ihn an.
„Es ist nichts. Ich wollte nur schon immer mal einen echten Hund sehen."
„Nun, das hast du jetzt. Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich gerne weiter gehen. Was ihr da gerade macht sieht nämlich nicht gerade nach 'keine Aufmerksamkeit erregen' aus."
Jorge sah mich ziemlich verständnislos an. Klar, er hatte keine Ahnung, was ich gerade gesehen hatte.
Ich hatte mich schon wieder an etwas erinnert und dieses Mal war es etwas aus meiner Kindheit gewesen. Der Gally aus meiner Erinnerung war maximal zehn oder elf Jahre alt gewesen.
„Na komm, gehen wir weiter", flüsterte Newt und streichelte dem Hund ein letztes Mal liebevoll über den Kopf.
Dann stand er auf und ich tat es ihm gleich, nachdem ich mich ebenfalls von dem Schäferhund verabschiedet hatte.
Gerade als wir uns schon ein Stück entfernt hatten, kam ein kleines Mädchen um die Ecke gerannt und rief einen Namen, den ich nicht verstehen konnte. Im nächsten Moment bellte der Hund fröhlich und lief auf sie zu. Sie schlang ihre Arme um den Hals des Tieres und drückte ihn fest an sich. Wieder ging mir das Herz auf und ich musste mich zusammenreißen, um nicht schon wieder zu weinen anzufangen, weil der Anblick mich so sehr rührte.

Through The WICKED Scorch | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now