Sturm

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Sherlock PoV

In dem Moment, indem ich die Hand hob, um sie an Johns warme, unverletzte Wange zu legen, dachte ich nicht. Mein sonst so voller, niemals schweigender Kopf, hatte vollkommene Ruhe gegeben und alles, was ich hörte, war mein eigener, kräftiger Herzschlag und Johns Atem. Die Außenwelt schien komplett in den Hintergrund zu rücken, zu einem einzigen grau zu verschmelzen, während sich all meine Sinn auf den Menschen vor mir konzentrierten, dessen Wärme ich so deutlich spürte, als sei es meine eigene.

John hielt mich nicht auf, als ich meine Hand weiterwandern und sachte an seinem Hinterkopf ruhen ließ und einen Moment abwartend in seine tiefblauen Augen sah, als wartete ich auf eine unausgesprochene Erlaubnis, weiterzugehen.
Die Stille umschloss uns wie eine eigene Welt, führte uns zusammen in unsere eigene, nur für uns alleine existierende Realität und als Johns Blick einen Moment an meinen Lippen hängen blieb, ehe er zu meinen Augen zurückwanderte, wusste ich, dass er Recht gehabt hatte. Alles wird okay werden.

Und dann hob ich die zweite Hand, legte sie ebenso sachte Johns Taillie und im nächsten Moment hatte ich ihn bereits an mich gezogen, die letzten Zentimeter Luft zwischen unseren Körpern im Nichts verschwinden lassen.
Während sich die Hände meines Freundes vorsichtig um meinen Rücken schlossen, senkte ich langsam den Kopf, blickte ihn ein letztes Mal zwischen meinen dichten Wimpern hindurch an, dann schloss ich die Augen und das Nächste, was ich wahrnahm, war zu gefühlsüberladen, um es zu beschreiben, entsprach einem explosionsartigen Feuerwerk aus so vielem gleichzeitig.
Dieser Kuss fühlte sich an wie ein Sturm, von dem ich im ersten Augenblick an mitgerissen wurde.

Als Johns weiche Lippen drängend die meinen berührten, ohne jegliche Zurückhaltung, fielen all die Mauern in sich zusammen, die ich über die Jahre hinweg so sorgsam um mein Herz gebaut hatte und heraus strömte eine Flutwelle aus Verlangen, Zuneigung und purer Verzweiflung, die mich überkam, als ich das Gefühl hatte, unendlich tief zu fallen.
Noch nie zuvor hatte sich ein Kuss so angefühlt.

Doch dann spürte ich Johns Lippen erneut auf meinen, wild, angetrieben von einem Fluss aus lange unterdrückten Gefühlen und mein Fallen fand ein Ende, wurde zu einer Landung und schließlich einer Ankunft.
Genau hier gehöre ich hin.

Und als mich diese Realität traf, die ich so lange versucht hatte zurückzuhalten, löste ich meine Lippen vorsichtig von John Watson, beendete den Druck meiner Hände, der ihn zu mir gezogen hatte und sah ihn schwer atmend aus halbgeöffneten Augen an, als er ebenfalls seine Augen öffnete und zu mir nach oben sah.
"Tut mir leid, ich... ich dachte", begann er stotternd, Panik in den leuchtenden Augen, als ob er offenkundig missdeutete, warum ich den Kuss unterbrochen hatte.

"John, nicht.", murmelte ich nur, schüttelte langsam den Kopf, ein Lächeln auf den Lippen, als ich sah, dass er endlich verstand.
Dieses mal war es John, der mich zuerst küsste, noch verlangender als zuvor, während seine Hände unaufhaltsam über meinen Rücken wanderten, wir gegenseitig unsere Körper ebenso erkundeten, wie wir in diesem Moment unsere Gedanken teilten.
Aufgeregt, unnachgiebig, verlangend.

Und wäre in diesem Moment nicht Lestrade zurückgekehrt, der in der Sekunde, in der er uns erblickte, erschrocken direkt einige Schritte zurücktaumelte und sich die Hände vor die Augen hielt, hätte ich nicht sagen können, wie lange es noch gedauert hätte, bis ich bereit war, mich wieder von John zu lösen.

"Um Himmels Willen, Jungs !", rief der Inspector aufgebracht, immer noch von uns wegblickend, als mein Freund und ich augenblicklich außeinanderstoben, wie aufgescheuchte Hühner.
Na toll.
"Gavin...", murmelte ich gezwungen freundlich lächelnd, den Kopf leicht schiefgelegt, sodass offensichtlich war, was ich von dieser Unterbrechung hielt.
"Greg !", zischte John jedoch nur grinsend hinter mir hervor, ehe er neben mich trat, ein schelmisches Funkeln in den Augen.

"Äh... Ja, also...", begann Inspector Lestrade mit weit aufgerissenen Augen, kratzte sich dabei am Hinterkopf und sah angestrengt auf einen der alten Strohballen, als er hätte er diesen noch nie zuvor gesehen.
In dieser Situation fühlte ich mich überfordert, mein Herz pochte noch immer unglaublich schnell und jetzt stand Lestrade vor uns, der eigentlich vom nun hoffentlich endlich abgeschlossenen Fall hatte erzählen wollen.
Fühlen sich Johns Lippen immer noch so warm an ?

Gerade schien das überraschte Schweigen auf beiden Seiten einer peinlichen Stille zu weichen, da machte mein Mitbewohner einen Schritt nach vorne, ein unterdrücktes Grinsen auf dem aufgeschürften Gesicht und sah Lestrade voller Selbstbewusstsein an, als er verkündete :" Was schauen sie denn so, Greg ? Sie haben es doch schon lange geahnt."
Hatte er ? Warum ist mir das nie aufgefallen ?!
"Ja, äh... ich bin nur nicht davon ausgegangen, dass es -", begann er, schüttelte dann jedoch nur kurz den Kopf, als Donovan hinter ihm im Türrahmen erschien, die Augenbrauen kritisch nach oben gezogen.

"Wo bleiben sie denn ? Hamiltons Wunde wurde versorgt und er muss nun aufs Revier gefahren werden.", sprach sie ihrem Kollegen etwas angespannt zu und sah dann kurz verwirrt von diesem zu John und mir, verschwand dann jedoch eine ein weiteres Wort wieder.
Ihre Beobachtungsgabe war noch nie von besonderer Ausprägung.
Stören sollte mich das in diesem Moment jedoch nicht.
Viel mehr achtete ich darauf, John nicht aus den Augen zu lassen.
Momentan verdrängt er, dass er mit einer Leiche im Kofferraum gelegen hat. Aber es wird ihn wieder einholen und dann wird er im Schock sein.

"Genau. Ihr zwei könnt in Donovans Wagen mitfahren.", murmelte der Inspector dann und als wir alle drei die Scheune verließen, stellte ich meinen Mantelkragen nach oben und streckte die Hände in die Seitentaschen.
Hamiltons Wagen stand noch immer auf der Rasenfläche, doch nun tummelte sich die Spurensicherung darum herum, ein Krankenwagen hatte schräg geparkt und neben Lestrades Wagen, durch dessen dunkle Scheibe man Hamiltons Umrisse nur erahnen konnte, stand nun auch noch der von Sergeant Donovan.

"Bereit, nach Hause zu gehen ?", fragte ich dann, einen offenen Blick zu John werfend, der neben mir stehengeblieben war, um das Szenario in sich aufzunehmen.
"Bereit.", murmelte er nur und sah mich dabei mit einem vorsichtigen, nach den Ereignissen leicht müden, Lächeln an.

It is what it is - JohnlockWhere stories live. Discover now