Menschen

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Sherlock PoV

Wenige Minuten später erschien Lestrade in der Eingangstür, mit ihm zwei mir Unbekannte Kollegen von der Spurensicherung.
"Warum bringen sie die Spurensicherung mit, Lestrade ? Dafür würde ich sie nicht brauchen.", murmelte ich abweisend vor mich hin, während ich den schmalen Gang in schnellen Schritten auf und ab ging, den Blick auf den Boden gerichtet, meine Fingerspitzen vor den Lippen aneinandergelegt, so wie ich es immer tat, wenn ich nachdachte.

"Das ist fürs Protokoll, Sherlock.", erklärte der DI nur angespannt und schob sich dann an mir vorbei zu Mrs. Hudson, um der Vermieterin beruhigend die Hand auf die Schulter zu legen. Arme gefühlsduselige Frau. Das ist ein Fall. John kann nicht weit sein. Ich muss mich konzenztrieren.

Doch die zwei Beamten in ihren weißen Anzügen hinderten mich daran, standen mir nun im Weg herum, weshalb ich mein angespanntes Gehen beenden musste und wütend aufsah :" Stehen sie woanders dumm rum ! Ich versuche hier zu denken !" Dabei riss ich die Arme in die Luft, meistens half das dabei, die anderen Menschen im Raum einzuschüchtern. Den erschrockenen Blicken der Männer nach, auch dieses Mal.

Schnaubend drehte ich mich zu Lestrade und riss ihn von Mrs. Hudson los, die immer noch nicht aufgehört hatte, zu jammern. "Hier. Die Frau ist ca. 163cm groß, zierlich, dunkle, schulterlange Haare, braune Augen -", begann ich draufloszureden, während ich dem DI die Visitenkarte hinhielt, die ich vom Boden aufgehoben hatte. Doch Lestrade unterbrach mich verwirrt, hob dabei die Hand und fragte :" Sherlock, stopp ! Von vorne. Wer ist die Frau und warum suchen wir sie ?"

Aggressiv machte ich wieder einen Schritt zurück und riss erneut die Hände in die Luft, dieses Mal aus Reflex, nicht, um die Männer von der Spurensicherung einzuschüchtern, die ihre Arbeit mittlerweile vor die Haustür verlegt hatten. Besser so.
"Warum versteht denn nie jemand die einfachsten und offensichtlichsten Dinge ? Ich dachte sie seien bei Scottland Yard !", rief ich aufgebracht, was Mrs. Hudson ängstlich zusammenzucken und erneut aufschluchzen ließ.

Verdammt. Alles zu viel. Zu viel. Zu viel.

"Vergessen sies. Ich mach das alleine.", murmelte ich verspannt, griff nach meinem Mantel, der über dem Treppengeländer hing und zog ihn mir über, während ich schnellen Schrittes aus dem Haus trat, nur, um dabei erneut in die zwei Herren hineinzulaufen, die wie aufgescheuchte Hühner auseinanderstoben. "Aus dem Weg.", stieß ich laut aus, während ich mich durch sie hindurchquetschte und mitten auf der Straße die Hand hob, um ein Taxi zu rufen. Lestrades :"Sherlock, jetzt warten sie doch !", ging dabei unter, als ich die Tür des haltenden Wagens hinter mir zuschlug und mich auf den Rücksitz fallen ließ.

"Chelsea Library.", murmelte ich schnell, dann lehnte ich mich zurück, zog meine ledernen Handschuhe aus der Manteltasche, um meine kalten Finger zu wärmen. Mein Schal lag im Wohnzimmer auf der Couch.
Sie haben ihre Jacke vergessen, John.

"Fährt das Ding denn nicht schneller ?", beschwerte ich mich dann, die Kieferknochen aufeinanderpressend. Meine Hände konnten einfach nicht stillhalten.
John kann nicht mehr als zwei Minuten verschwunden sein, bevor ich die Treppe hinuntergestürmt bin. Er muss in der Nähe sein. Er muss einfach.

Doch bei diesen Gedanken kniff ich nur angestrengt die Augen zusammen, während ich mit den Fingern ungeduldig auf meine Kniescheibe trommelte. Das sind die falschen Gedanken, Sherlock ! Das bringt dich nicht weiter ! Vera Reynolds. Ihre Karte. Warum genau ihre Karte ?

Natürlich konnte es sein, dass die Karte zufällig als Objekt gewählt worden war, das man unauffällig fallen lassen konnte. Aber John hatte seine Jacke getragen, ihm war in der Wohnung so kalt gewesen. Seine Jackentaschen sind voll von unnötigen Dingen. Er hätte alles mögliche herausfallen lassen können. Die Karte war Absicht.

Endlich hielt das Taxi und hätte mich der Fahrer nicht empört zurückgerufen, als ich die Tür hinter mir zuschlagen hatte wollen, hätte ich vergessen, ihn für die Fahrt zu bezahlen. Unachtsam reichte ich ihm ein paar Scheine aus meinem Geldbeutel, es war wahrscheinlich zu viel, doch darauf konnte ich gerade nicht achten und beschweren tat sich der Herr auch nicht.

Die Kälte schlug mir erneut entgegen, als ich zum zweiten Mal in dieser Kürze vor dem hohen Bibliotheksgebäude stand und ich beeilte mich, die schwere Tür aufzustoßen und ins Innere zu gelangen. Vera Reynolds, Vera Reynolds. Reynolds.
Die Gedanken in meinem Kopf jagten hin und her, während ich zur Rezeption eilte, versuchte, mich an alles zu erinnern, was ich bei unserer ersten Begegnung an ihr wahrgenommen hatte.

Viel zu hohe Stimme für das Alter, sie verstellte diese,
Johns Gesicht,
billiger Schmuck, unauffällige Kleidung,
der Ausdruck in Johns Augen,
der Uniform der Bibliothekare angepasst. Leichte Schatten unter den Augen, ein Rest Rotwein im Mundwinkel.
John.
Früh für Rotwein, wenn sie Vormittags arbeitet...
John.
Wütend über mich selbst schüttelte ich den Kopf, versuchte meine Gedanken dazu zu zwingen, meinen Freund aus meinen Gedanken zu verbannen, um mich konzentrieren zu können. Es gelang mir nicht.

"Entschuldigen sie bitte, suchen sie etwas bestimmtes ?", wurde ich an dieser Stelle von einem jungen Mann unterbrochen, der fast noch ein Teenager zu sein schien. Sein Hemd saß viel zu locker an seiner schmalen Brust, der Bart an den Wangen und Kinn war eindeutig noch Flaum und die leichte Unsicherheit in seiner Stimme ließ mich die Augen verdrehen. Praktikant. Der hilft dir hier nicht weiter.

"Ich muss mit einem ihrer Vorgesetzten sprechen. Qualifiziertere Mitarbeiter, am besten weiblich, arbeitet schon mehr als zwei Jahre hier.", wieß ich den Jungen an, wobei ich die dumpfe Stille des Gebäudes unterbrach und meinen stechenden Blick in die groß werdenden Augen von Mr. Ridge brannte, wie es mir sein schiefes Ansteckschild verriet.

"J.. Ja... Na.. Natürlich, Sir.", begann dieser zu stammeln, ehe er sich schnell umdrehte und das Weite suchte, wobei er auf halben Wege einen gehetzten Blick zu mir zurückwarf, was mich bewusst soziopathisch grinsen ließ. Menschen.

It is what it is - JohnlockWhere stories live. Discover now