Das Kapitel mit der Konfliktsituation

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Mira schlenderte mit Jerome über den Schulhof. Es war wieder Donnerstag und sie würde bis abends in der Schule bleiben, aber Jerome hatte sich angeboten, die Mittagspause mit ihr zu verbringen. Da Larissa heute krank war, musste Mira sich deswegen auch keine Sorgen machen oder gar ein schlechtes Gewissen haben. Jerome räusperte sich. "Was stört dich eigentlich an unserer Beziehung?" Mira sah perplex zu ihm auf. "Was sollte mich stören?", fragte sie schrill. "Es ist doch alles perfekt." "Deswegen", nickte Jerome, während er einen Arm um ihre Hüfte legte. "Aber warum bist du dann so wütend auf Anastasia?" "Ich bin nicht wütend auf sie." Mira holte tief Luft und richtete ihren Blick wieder geradeaus. Wohin führte diese Konversation? "Ach nein?" Jerome kickte ein Steinchen vor sich hin. "Warum zickt ihr euch so an? Nur weil ich schwarz bin, oder was?" Miras Kopf fuhr mit erschrockener Miene umher. Kurz musterte sie ihn forschend, aber dann brach sie in schallendes Gelächter aus. "Ach, Schatzi!" Sie drückte ihm gutmütig ein Küsschen auf der Wange. "Ich liebe dich so sehr." Jerome war stehen geblieben und legte schweigend auch seinen anderen Arm um ihre Hüften. Mira ließ sich nur allzu bereitwillig an ihn heranziehen. "Aber du warst beim Essen so feindselig zu ihr", fing er wieder von vorne an, woraufhin Mira tief seufzend durch seinen Afro fuhr. Sie liebte es, wie sich seine geschmeidigen Zottellocken zwischen ihren Fingern verhedderten. "Das musst du nicht ernst nehmen. Wir sind Mädchen, Schatz. Männer haben diese Spezies der Menschheit noch nie verstanden." Sie drückte ihm einen entschuldigenden Kuss auf die Lippen, in der Hoffnung, er würde sich von ihr mitreißen lassen. Doch stattdessen löste er sich von ihr. Okay, küsste sie so schlecht, dass er nicht einmal die Welt um sich herum vergessen konnte? Sie biss sich verlegen auf die Unterlippe. "Was ist?", fragte Jerome. "Ich küsse komisch, oder?", platzte Mira heraus und hätte die Worte am liebsten gleich wieder zurückgenommen. Jerome sah verdattert auf sie herab. "Wie kommst du denn darauf?" "Na ja", meinte Mira kleinlaut. "Mein Ex - oder eher mein Ex-Ex-Ex - hat gesagt, ich küsse wie ein Stacheldraht." Sie schlang ihre Arme um Jeromes Mitta und sah mit großen traurigen Augen zu ihm auf. "Küsse ich wie ein Stacheldraht?" Ihre Stimme war ganz zittrig geworden. Jerome fuhr sich durch die Haare. "Mira - nein. Du küsst wie... ein elektrischer Draht. Bei jeder deiner Berührungen stehe ich unter Strom-" an dieser Stelle lächelte Mira zufrieden "- aber sie Sache mit Ana macht mir zu schaffen. Also, was stört dich? Und wehe, du bist nicht ehrlich!" Mira biss sich so fest auf die Unterlippe, dass diese aufplatzte, woraufhin Jerome seine Augen zu Schlitzen verengte. "Du verheimlichst mir doch was." "Ja und nein", räumte Mira ein. "Ich habe Angst, dass du mich deswegen auslachst." Sie sah ängstlich zu ihm auf, aber er wartete bloß und zeigte keine Reaktion. Also gut. Mira gab sich einen Ruck. "Ich bin eifersüchtig auf Ana. Obwohl - eifersüchtig  ist vielleicht zu viel gesagt. Nennen wir es neidisch." Sie sah auf, um zu prüfen, ob Jerome jegliche Reaktionen zeigte, aber sein Gesicht blieb unergründlich. Zögernd fuhr sie fort: "Erstens ist sie dünn wie eine Wespe und hat trotzdem Busen. Das ist so... ungerecht! Und ihr Gesicht ist ein einziger Traum. Sag doch mal: Ist es ein Traum, oder ist es ein Traum?" "Ja, es ist ein Traum", seufzte Jerome und zog sie näher an sich heran. "Aber deins ist schöner." Mira wollte schon losgrinsen wie eine Wahnsinnige, konnte sich aber gerade noch zusammenreißen. Mit der Zunge leckte sie sich das Blut von der aufgebissenen Lippe. "Und was hat das jetzt mit uns zu tun?", nuschelte Jerome gegen ihr Haar. Sie konnte die Erleichterung in seiner Stimme hören - er hatte wohl mit schlimmerem gerechnet. "Ich bin noch nicht fertig", sagte Mira warnend und löste sich ein paar Zentimeter von ihm, um ihn besser anschauen zu können. "Es nervt mich eben, dass bei ihr alles perfekt ist. Die Rosa-Rache ist perfekt, ihre Noten sind perfekt, sie hat die perfekte beste Freundin und die perfekte Beziehung mit dem perfekten Jungen. Ich bekomme Komplexe in ihrer Anwesenheit!" Furchen gruben sich in Jeromes braune Stirn, zwischen seinen Augenbrauen enstand eine steile Falte. "Heißt das, unsere Beziehung ist nicht perfekt?" Er wirkte so baff, als hätte er ein Einhorn gesehen. Oder eine Elfe. Oder beides zusammen. Mira rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn, ehe sie erneut "Ja und nein" sagte. "Das glaub ich jetzt nicht!", rief Jerome aufgebracht auf, während Mira eine Art Wimmern von sich gab. "Ganz ruhig. Ganz ruhig." Sie nahm sein Gesicht in beide Hände. "Das wollte ich nicht sagen. Es ist nur so... Ich finde dich perfekt. Aber die beiden haben, äh, viel mehr Möglichkeiten, eine besondere Beziehung zu führen als wir. Oder meinst du nicht?" Sie schlang ihre Arme nun wieder wie ein Klammeräffchen um seine Mitte, sodass sich Jeromes Mantel im auffrischenden Wind auch um sie legte. Die Pause war gleich vorbei. "Ich weiß nicht, was du jetzt meinst?", sagte er verwirrt. "Nun ja...", druckste Mira. "Sie sind eben älter." "Oh." Jeromes Gesicht hellte sich mit einem  Mal auf. "Ach so! Ich verstehe. Du hast also Angst, ihre Beziehung könnte schöner sein als unsere?" Mira nickte kleinlaut. Wie würde er nun wohl reagieren? Er grinste. Gott sei Dank, er war nicht sauer! Sie atmete leise auf. "Keine Beziehung ist schöner als unsere", sagte Jerome breit lächelnd. "Weil kein Mädchen so abwechslungsreich ist wie du. Aber wenn du willst, bereite ich ein paar Sachen vor. Morgen nach der Schule. Haupteingang." Er löste sich von ihr, weil sein Bus jeden Moment kommen würde. Mira runzelte die Stirn. "Was hast du vor?", fragte sie atemlos. "Ich lasse mir was einfallen." Jerome zuckte mit den Schultern, ehe er auf seine Armbanduhr sah. "So. Ich muss jetzt los." "Warte!", rief Mira, als er sich zum Gehen abwenden wollte. Ehe er sich versah, hatte sie ihm einen Abschiedskuss auf die Lippen gedrückt. Dann, ohne ein Wort zu sagen, ging sie zum Schulgebäude zurück. Als sie die Tür erreicht hatte, konnte sie jedoch nicht anders, als sich noch einmal nach ihm umzusehen. Jerome sah ihr nach. Und er lächelte.

Achtung Patchwork!Where stories live. Discover now