Das Kapitel mit dem dritten Weltkrieg

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Mira saß stillschweigend an dem roten Tisch mit der wild gemusterten Decke, nippte an der Mischung aus Zitronen- und Grüntee und lauschte Annabells Wortschwall. Sie war gekommen in der Hoffnung, Mareike vorzutreffen, um sie wegen der Partyplanung für Halloween zu fragen, doch sie war nicht da gewesen. Stattdessen hatte Annabell, die Mira heimlich 'Vampirmädchen' getauft hatte, sie ins Wohnzimmer geschleppt, wo sie Mira mit allem möglichen zuquasselte. Gerade war sie beim Thema Ausbildung und Mira durfte erfahren, dass Annabell nach der Schule einen Job als Hellseherin antreten würde, für welchen sie sich seit Jahren professionell vorbereitete. "Und du?" Mira kippte den Rest Tee hinunter. Was auch immer Annabell dahinein gezaubert hatte, es wirkte wunderbar auf ihre Trauer. "Wie und ich?", fragte sie verwirrt. Im Fernseher plärrte ein aufgeregter Sportreporter ins Mikro und Jochen trat fluchend vor den Wohnzimmertisch. "Was willst du mal werden?", strahlte Annabell. Dieses Mädchen war der einzige Mensch, der noch mehr lächeln konnte als Susi. Mira zuckte die Achseln. "Nichts abgedrehtes auf jeden Fall." Annabell musterte sie aus ihren roten Augen. "Was meinst du mit abgedreht?" "Weiß nicht", sagte Mira, "Heilpraktikerin, Sängerin... Hellseherin." Deutlicher konnte die Anspielung nicht sein. Annabell rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. "Ich find meinen Job auch super abgedreht. Toll, nicht?" Mira rang sich ein Nicken ab. Junge, Junge, Annabell besaß eine große Portion Selbstvertrauen! Schade, dass es nicht zu Mira übersiedelte... sie schob die Tasse von sich und starrte aus dem Fenster. Gut, es war zubehangen mit indischen Vorhängen, also starrte sie auf goldene, aufgestickte Elefanten auf orange-farbenem Hintergrund. "Vielleicht will ich Model werden", scherzte sie. Sie wusste selber, dass sie dafür einiges abzunehmen hatte. "Ja, du könntest zum Beispiel für meine Hellseher-Kampagne werben", kicherte Annabell zustimmend. Mira schüttelte ihren Krauskopf. "Nein, lieber nicht. Aber vielleicht werde ich Bankkauffrau oder so etwas. Wobei ich viel Geld verdiene. Oder ich angel mir 'n reichen Mann." Sie zuckte die Achseln. "Nein", sagte Annabell gewichtig, "nur wer erst in Armut lebt, kann den Reichtum schätzen." Mira verdrehte die Augen. "Und wenn ich ein Jahr lang als Penner nach Florida ziehe, geht es dann?", scherzte sie. "Du würdest das Flugticket nicht bezahlen können", gab Annabell zurück und nahm einen großen Schluck Tee direkt aus der Kanne. Danach lächelte sie Mira an, welche sich anstrengengte, das Lächeln zu erwidern. "War nur 'n Witz", murmelte sie. "War nur 'n Witz." In dem Moment schleuderte Jochen die Fernsehzeitung an die Wand. "Scheiße!", brüllte er. Mira musste schmunzeln - es gab also tatsächlich Menschen, die vor Wut rot anliefen. "Papa, ich hab's dir vorausgesagt, dass Schalke verliert", seufzte Annabell grinsend. "Scheiße!", brüllte Jochen wieder, dann sprang er auf und hastete in die Küche. Wenig später kam er mit einer Flasche Bier zurück. "Auch was?" Er sah die beiden Mädchen fragend an. So schnell seine Wut gekommen war, so schnell war sie auch wieder verschwunden. Mira schüttelte dankend den Kopf, aber Annabell strahlte ihren Vater an. "Gern." Jochen ließ den Deckel der Flasche aufploppen und hielt die Öffnung über Mira's leere Tasse, dann gab er sie Annabell und setzte sich wieder auf's Sofa. Mira musterte ihn abschätzend. Wahrscheinlich hatte dieser Mann eine Schilddrüsenüberfunktion und zeigte deswegen so stark Emotionen! "Wollen wir 'Ice Age' gucken?", fragte Jochen fröhlich. "Och nö." Annabell nahm einen Schluck Bier aus der Tasse. "Den haben wir schon so oft gesehen. Wie wär's mit 'Twilight'?" Mira's Herz machte Hüpfer, als sie an Taylor Lautner dachte, doch sie hielt sich zurück. Sie hatte nicht vor, mit Jochen und  Annabell eine DVD zu schauen. "Oder Starwars!" Jochen's Augen leuchteten vor Begeisterung. "Oder 'Traumschiff Surprise'!", rief Annabell und knallte die Tasse, nachdem sie sie in einem Schluck geleert hatte, auf die Tischplatte. "Au ja!" Jochen kniete bereits vor dem DVD-Player, um die CD einzulegen. Bevor das hier noch schräger wurde, entschloss sich Mira zu einem Abgang. "Bis später mal", sagte sie, während sie sich erhob. "War echt nett mit euch. Vielleicht ruft ihr einfach mal an, wenn Mareike wieder da ist." Annabell winkte lachend ab. "Glaub mir, das kriegst du auch ohne uns mit."

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Anastasia pulte einen Chipskrümel aus der Sofaritze, während Stephen sichtlich angespannt durch den Raum wanderte. "Du hast mir alles kaputt gemacht!", stieß er hervor. Anastasia steckte sich den Chipskrümel in den Mund. "Du hast es selber kaputt gemacht", schnaubte sie dann und Stephen's Schritte wurden energischer. "Das ist nicht wahr!", rief er aufgebracht. "Warum erzählst du mir nichts? Ich finde, ich habe ein Recht darauf zu erfahren, wer meine Stiefmutter sein wird. Und zwar bevor ihr beiden aus dem Standesamt kommt!" Ana verschränkte trotzig ihre Arme vor der Brust. "Ich finde, ich habe ein Recht auf eine angemessene Reaktion deinerseits!", konterte Stephen zornig. "Hast du nicht", erwiderte Anastasia. "Ich kann reagieren, wie ich will!" "Und ich kann heiraten, wen ich will!", sagte Stephen. "Oh, fein", entgegnete Ana, "dann stell dich doch mit einem Schild um den Hals auf den Marktplatz. 'Free marriage'." Sie lachte verächtlich. "Es wird sich für dich doch nichts ändern", sagte Stephen beschwichtigend. Inzwischen hatte er erkannt, dass er Gefahr lief, von fliegenden Messern getroffen zu werden, wenn er seine Tochter weiterhin provozierte. Außerdem war er der Erwachsene. "Dann hättest du mir auch davon erzählen können." Schulterzuckend griff Anastasia zur Fernbedienung und drückte auf den Knopf. Wenig später wackelten Spongebob und Patrick über den Bildschirm. "Komm, schalt die Flimmerkiste ab", seufzte Stephen. Im Gegenzug stellte Ana den Fernseher lauter. "Anastasia!" Noch lauter. "Du interessierst dich doch gar nicht für Spongebob!", schrie Stephen gegen die Lautstärke an. "Für dich auch nicht, falls es dir noch unklar sein sollte!", fauchte Ana zurück. "Dann brauchst du ja auch nicht erfahren, wen ich heiraten will!", sagte Stephen laut. "Ich hab nicht gesagt, dass mich deine Entscheidungen nicht interessieren!", schrie Ana. "Gibt es da einen Unterschied?" "Ja!" Sie stellte den Fernseher nun auf volle Lautstärke und Patrick's lächerliches Lachen dürfte im ganzen Neubaugebiet zu hören sein. Dagegen war Stephen nur noch ein aufgeregter Stummfilmdarsteller. Zufrieden lehnte sich Ana zurück und schloss die Augen. Wenig später jedoch wurde es still im Wohnzimmer. Empört ließ sie ihre Kinnlade nach unten fallen. "Warum ist der Fernseher aus?" Stephen stand am Ende des Raumes und hielt triumphierend ein Kabel in die Höhe. "Hab den Stecker rausgezogen." Knurrend sprang Ana auf und stürmte auf ihn zu. "Gib ihn her!" "Nein." Als er vor ihr floh, riss Stephen den Fernseher vom Regal und schleifte ihn hinter sich her.  "Du Idiot!", rief Anastasia, als die Hetzjagd um den Wohnzimmertisch begann. Stephen hatte das Kabel zwar losgelassen, aber er wusste, dass Ana trotzdem hinter ihm her war. Vor Angst schreiend umrundete er immer wieder den Tisch. Irgendwann prallte er gegen einen Körper und plumpste zu Boden. "Was war das?", rief er. "Ich bin stehen geblieben, Papa", sagte Ana kühl. Dann sauste die Bibel auf ihn hinab.

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Mira hatte inzwischen ihre alte Freundin Jessica zu sich eingeladen, um über die Sache mit Jerome zu sprechen. Frank lag in der anderen Zimmerhälfte auf Ana's Bett, da er von einem plötzlichen Migräneanfall geplagt wurde. Der Rest der Truppe war irgendwo im Garten und unterhielt sich mit Kai über seine Absichten. Und Anastasia und Stephen schienen im Wohnzimmer den dritten Weltkrieg anzufangen. Frank stöhnte, während er das Kühlpack auf seiner Stirn wendete. "Und du bist wirklich Chinese?", fragte Jessica amüsiert, dann öffnete sie ihren wasserstoffblonden Zopf. "Nein. Ich bin Schwede, weißt du?", gab Frank zurück. Jessica schreckte jedoch nicht vor seinem ironischen Ton zurück. "Ich mein ja nur. Chinesen sind sonst immer so klein." "Dann bin ich wohl ein genetischer Fehler, was weiß ich!" Frank stöhnte wieder. "Fehler muss man es nicht gerade nennen", plapperte Jessica gewichtig. "Es ist nur... wahrscheinlich waren deine Eltern schon groß und haben es weitervererbt. Das heißt nicht, dass es ein genetischer Fehler ist." "Boa, da bin ich aber froh", sagte Frank. Jessica zeigte ihm den Mittelfinger. "Ich wollte dir ja nur die Sorgen nehmen. Ich find's echt cool, dass es auch große Chinesen gibt." "Dann abonnier' mich doch auf Instagram." Frank's Unterton wurde immer sarkastischer. "Mach ich", gab Jessica zurück. "Gleich, wenn ich vom Tierarzt zurück bin. Mein Hund hat seit gestern so einen komischen Husten, weißt du, und essen will er auch nicht. Wahrscheinlich irgendein Virus, er braucht vielleicht Antibiotika." Sie klang auf einmal ganz traurig. "Oha, Alter." Frank setzte sich ruckartig auf und sah sie zornig an. "Hast du keinen Friseur, dem du die Scheiße erzählen kannst?" Bevor Jessica irgendetwas erwidern konnte, beendete Mira das Gespräch. "Frank, halt die Klappe und schlaf. Jess? Du bist hier, damit ich dir mein Herz ausschütten kann, nicht, um eine Soap zu drehen, die es unter Garantie zu RTL 2 schafft."

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Freunde, neues Kapitel *_* Wenn ihr einen Kommi schreiben würdet, wäre ich euch sehr verbunden, wie ihr wisst, haha ♥

Achtung Patchwork!Où les histoires vivent. Découvrez maintenant