Das Kapitel mit Yun Tsu Wing

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Susi stürmte gehetzt in Miras und Anastasias Zimmer, riss die Jalusien hoch und rüttelte dann an ihrer Tochter. "Mira! Mira, ihr habt verschlafen! Aufstehen, ich fahr' euch!" Mira drehte sich um und vergrub den Kopf unterm Kissen. Susi zog sie mitsamt der Decke vom Bett. "Spinnst du?", fauchte Mira. "Aufstehen!" Susi warf die Decke weg und rannte zu Anastasia. "Mädchen, ihr habt noch zehn Minuten, also beeilt euch!" "Ich komme mir vor wie bei der Bundeswehr, wenn du weiter so brüllst", brummte Ana mies gelaunt. "Dabei wohnen wir in einem Einfamilienhaus in Düsseldorf." Susi verdrehte die Augen, während sie ihrer Stieftochter ein paar Klamotten zuwarf. "Jetzt rede nicht so viel und zieh dich an, Mensch!"

Die drei schafften es tatsächlich, nach zehn Minuten im Auto zu sitzen. Allerdings sahen Ana's Haare aus wie ein Heuhaufen, Mira hatte nur ein geschminktes Auge und beide schlechte Laune. "Heute nach der Schule gehe ich mit euch shoppen", verkündete Susi in der Hoffnung, die Stimmung zu verbessern. "Was? Wieso das denn?", fragte Anastasia alamiert. "Hast du etwa vor, einen Frauennachmittag einzuführen?" Susi fuhr im Schneckentempo um die nächste Ecke. Sie hatte definitiv nicht genug Auto gefahren in ihrem Leben. Sicher brauchte sie gleich zwei Einparkhilfen... "Mit nur einem geschminkten Auge geh ich nirgendwo hin", keifte Mira von der Rückbank aus. "Das kannst du bei dm schnell nachschminken." Susi betrachtete ihre Tochter durch den Spiegel im Auto. "Kommt schon Mädchen, freut ihr euch denn gar nicht?" "Ich hab eher Angst", gab Anastasia zurück, die aus dem Fenster starrte und eine blonde Sexbombe beobachtete, die den Bürgersteig zu ihrem Laufsteg machte. "Warum willst du mit uns shoppen?", fragte Mira. "Weil heute Abend Oma und Opa zum essen kommen! Gut, Opa ist zwar farbenblind, aber Oma hat Augen wie ein Luchs. Und einen sehr eigenen Geschmack. Ihr könnt euch nicht einfach in Jeans und Bluse hinsetzen, ihr braucht etwas... edleres." "Rollt den Teppich aus, die Queen kommt...", murmelte Ana missmutig. "Die Frau ist eure Oma! Sie wird uns doch wohl akzeptieren wie wir sind." Susi schüttelte den Kopf. "Nein", sagten sie und Mira gleichzeitig. "Wir gehen vorher bei der Pizzeria neben eurer Schule was essen. Und danach werden hier die Läden unsicher gemacht!" Susi drückte freudig auf die Hupe. "Das wird toll. Ich freue mich." Mira auf der Rückbank lächelte gequält und Anastasia lehnte einfach ihren Kopf an das kühle Glas. Eigentlich konnte sie die Hoffnung aufgeben, dass ihr Leben jemals eine Form annehmen würde. Es blieb, wie es war und es machte, was es wollte.

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Stephen stellte den heißen Kaffee auf seinem Arbeitstisch ab und holte seinen Notizblock für den Antrag hervor. Was konnte er sich einfallen lassen, was Susis Ja-Wort unvergesslich machte? "Na, was haben Sie denn da?" Seine Sekretärin, Frau Könich, schaute neugierig über seine Schulter. "Ich will heiraten und weiß nicht, wie ich ihr den Antrag machen soll", gestand Stephen. "Hach, wie entzückend!", rief Frau Könich aus. "Gehen Sie doch mit ihr in dieses Riesenrad in der Altstadt. Oder bei einem Konzert. Sie wissen schon, Sie gehen auf die Bühne, ans Mikro..." "Frau Könich, sowas kostet Geld", empörte sich Stephen, obwohl ihm die Vorstellung gefiel, seine Liebste in aller Öffentlichkeit zu fragen. Frau Könich blickte ihn durch ihre Brille hindurch amüsiert an. "Herr Hoppe, bei den Zahlen, die ich am Ende des Monats im Ordner 'Gehalt' abhefte, können Sie sich sowas ja wohl leisten." Sie rollte kichernd mit ihrem Stuhl an ihren eigenen Tisch zurück. Stephen schaute auf den Ring in seiner Hand und dachte schmerzlich daran, dass Susi genauso einen für ihn hatte. "Es muss schnell gehen. Sie will den Antrag nämlich selber machen", sagte er zu seiner Sekretärin und seufzte tief. "Oh, da sind wohl die Krallen ausgefahren." Frau Könich zog eine Zigarettenschachtel aus ihrer Tasche und stand auf. "Kommen Sie mit?" "Danke, nein." Stephen winkte lächelnd ab. Irgendetwas war mit dieser Frau, dass sie ihn jeden Tag auf's Neue fragte, ob er auch eine rauchen wolle. Ob sie Alzheimer hatte? War sie dement? Er konnte sich beides sehr gut vorstellen, obwohl sie eine ziemlich unfehlbare Sekretärin darstellte. Es klopfte an der Tür zu seinem Büro. "Herein." Stephen packte den Notizblock und den Ring schnell weg. "Ich bin's, Henry." Henry kam in den Raum und setzte sich auf den Stuhl vor Stephen, der den Mund auf und zuklappte wie ein Fisch. "Warum bist du nicht in der Schule?" "Weil ich ganz dringend mit dir quatschen muss." Henry schaute auf den ordentlich gepflegten, dunklen Teppich in dem Büro seines Vaters. Die Wände hier bestanden lediglich aus Milchglas. "Wir wohnen in einem Haus! Warum redest du nicht dort mit mir?", fragte Stephen herausfordernd. Es regte ihn auf, dass ständig, aber auch wirklich ständig jemand aus seiner Familie bei ihm auftauchte, wenn es ihm gar nicht passte. "Ey, da sind wir nicht allein und so", erwiderte Henry. "Also, es geht um Anastasia -" Er konnte nicht weiterreden, weil Stephen ihm das Wort abschnitt. "Hat sie AIDS?" "Nein, Alter! Du musst mir helfen, sie vor Tim zu retten! Und zwar will er sie mit so 'ner heißen Blondine eifersüchtig machen, damit sie zurückgekrochen kommt und so. Aber das wird sie..." "zerbrechen", vollendete Stephen mit glasigen Augen. "Warum lernt meine Tochter eigentlich nur Idioten kennen?" Henry überging diesen Einwurf und fuhr fort:"Stephen, wir müssen Kai davon abhalten, sie so zu verletzen. Und vor dir hat er tausend mal mehr Respekt als vor mir, Mann! Kannst du ihn nicht mal zur Seite ziehen und ihn bedrohen?" Stephen zuckte zurück. "Sag mal Henry, spinnst du? Ich bin ein erwachsener Mann und kein halbstarker Proll. Warum imteressierst du dich eigentlich für die Liebesbeziehungen meiner Tochter?" Er lehnte sich vor und verengte die Augen zu Schlitzen. Was auch immer Henry im Busch hatte, er würde drauf kommen! "Sie ist meine Schwester! Ich kann sie nicht einfach vors Messer laufen lassen", sagte Henry. Stephen lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. "Nun gut", sagte er. "Mal sehen, was sich machen lässt. Und jetzt ab in die Schule!" 

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