Das Kapitel, in dem offene Türen herrschen

4.5K 174 14
                                    

Da Mira gerade die Höhen ihrer Girly-Phase durchlebte, musste Anastasia sich das Zimmer nicht nur mit einem heftig pubertierenden Teenager, sondern auch mit zahlreichen nackten Männern teilen, die überall an der Wand verteilt hingen. Bis gestern Abend war sie im Glauben gewesen, ihre Zimmerhälfte sei verschont worden, doch als sie am ersten Morgen im neuen Heim die Augen öffnete, landete ihr Blick direkt auf dem nackten Po von David Beckham. Zu ihrem Entsetzen stand Mira auf ihrem Bett und versuchte vergeblich, einen Nagel mit ihrem Highheel in die Wand zu hauen. Entsetzt schubste Anastasia sie von ihrem Bett und sie landete unsanft auf dem dunklen Laminat. Der Nagel verschwand für immer hinter Anastasia's Bett und das XXL-Poster von Mario Gomez segelte in Zeitlupe auf ihr Bett herab. Einige Minuten funkelten die Mädchen einander an, dann geriet Leben in Anastasia. "Willst du mich verarschen?! Warum hängst du den Scheiß in meiner Zimmerhälfte auf?" "Ich sammel sie. Sie brauchen ihren Platz an der Wand." "Du sammelst nackte Männer?!" "Ja." Ungläubig blickte Anastasia Mira an und schüttelte schließlich an deren Schulter. "Alles in Ordnung mit dir? Hast du deine Pille schon genommen?" "Klar, ich will ja nicht schwanger werden", sagte Mira mit ernster Miene. Anastasia ließ entgeistert den Arm sinken und das spöttische Grinsen verließ ihre Lippen. Sollte das etwa heißen, dieses aufgeblasene Mädchen war entjungfert und sie war es nicht? Jetzt war Mira diejenige, die spöttisch grinste. "Oh, da schämt sich aber jemand für seine Jungfräulichkeit." Anastasia lachte unruhig, hüstelte und streckte den Rücken durch. "Ach was, ich hab schon mit tausenden Männer geschlafen!", entgegnete sie schließlich. Dann verließ sie ohne ein weiteres Wort das Zimmer und steuerte auf das Badezimmer zu, um zu duschen.

Na toll... Es gab keinen Badezimmerschlüssel! Gut, dann würde sie einfach den Duschvorhang zuziehen und gut war's. Diese Menschen waren schließlich ihre Familie, nicht? Doch dann stellte sie fest, dass ein solcher ebenfalls nicht existierte und sie geriet ins Zögern. Sie würde diesen Tag eigentlich nur ungern ohne eine heiße Dusche einleuten und bitte - wer ging in ein Bad, wenn er von draußen schon die Dusche rauschen hörte?

Also zog sie sich aus und begab sich unter den herrlich heißen Strahl.

Sie spülte gerade das Shampoo aus den Haaren, da wurde die Tür doch geöffnet. "Henry, verschwinde!", quietschte sie, als sie seinen dichten braunen Haarschopf durch die Tür kommen sah. Doch anstatt sich dafür zu entschuldigen und hinauszurennen, trat er ganz getrost ein und schloss die Tür hinter sich. Schlaftrunken musterte er sie, was sie noch unruhiger werden ließ, da sie splitterfasernackt vor ihm in der Dusche stand und nichts hatte, wohinter sie sich hätte verstecken können. "Henry", murmelte sie nervös und blickte in das tiefe Braun seiner Augen. "Stell dich mal nicht so an, okay! Du bist schließlich nicht das erste Mädchen, das ich nackt sehe", meinte er und verdrehte die Augen. Dann wandte er sich ab, um seine Zähne zu putzen, aber er nahm sie durch den Spiegel in Augenschein.

Anschließend zog er sich bis auf die Boxershorts aus, um in seine Klamotten zu steigen. Heimlich warf Anastasia einen Blick auf ihn. Sein Körper war ja schon toll... Erschrocken von ihren Gedanken wandte sie den Blick aus dem Fenster und seifte sich ein. Wenig später wurde die Tür erneut aufgerissen und der kleine Moritz kam hereingerannt. "Ich muss mal", quängelte er und ließ sich mit erleichtertem Seufzen auf der Toilette nieder. "Könntet ihr mal bitte die Tür zumachen?", schrie Anastasia aufgewühlt, doch da kam Mira angelaufen und warf ihr einen bitterbösen Blick zu. Dann sah sie sich suchend um, während Moritz die Spülung drückte. Die Tür stand übrigens immer noch offen... "Hat jemand mein Deo gesehen?", fragte Mira gereizt und riss einige Schubladen des kleinen Schrankes auf. "Nö", erwiderte Henry, der inzwischen seine Haare gelte, während Anastasia am liebsten im Boden versinken würde. Als wäre das alles nicht genug, kam jetzt auch noch Susi ins Bad, um ihren Mascara aufzutragen. "Du hast einen tollen Körper", schwärmte sie und drehte sich zu Anastasia um. "Äh danke", antwortete diese etwas unbeholfen und hangelte sich ein Handtuch. Ihr Vater kam durch die Tür und sie war erneut kurz vorm explodieren. Wenn das so weiterging in dieser Familie, würde sie den ersten Herzinfakt mit Mitte zwanzig bekommen! "Frühstück ist fertig!", sagte ihr Vater lächelnd, dann schüttelte er vorwurfsvoll den Kopf. "Ana, dein Körper sieht aus wie der eines Pornostars!", raunte er. "Mann, ist das hier das Bad der offenen Tür, oder was?! Ein bisschen Privatsphäre wird doch wohl drin sein!", schimpfte sie und raufte sich die nassen Haare. Das Handtuch rutschte ihr vom Leib und sie hangelte es hochrot und äußerst unbeholfen vom Boden auf. "Oh nein, Anastasia, wir wollen keine verschlossenen Türen in diesem Haus. Wir sind eine Familie, die über alles offen redet, es muss dir ja nicht peinlich sein, wenn du nackt bist", sagte Susi lächelnd. Oh, die edle Dame war ja ganz aufgeklärt. Anastasia ließ sich gereizt auf den Wannenrand sinken. Wie es aussah, hatte sie doch keinen Keil zwischen sich und die anderen getrieben!

Achtung Patchwork!Where stories live. Discover now